Kapitel 11

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Felix' Sicht:


Hätte ich nicht fragen sollen? War es zu aufdringlich? Sofort bereute ich meine Frage.

Sie blieb immer noch still. Das Schweigen macht mich verrückt.


„Es war mein Vater."

Tränen bildeten sich in ihren Augen.

„Was war er?"

„Alles"

Sie deutete an sich runter.

„Er hat dir das alles angetan?"

„All die Narben, die Schläge und die Verletzungen kommen von ihm."

„Warum hat er das getan?"

„Meine Eltern haben sich vor ungefähr einem Jahr getrennt, oder besser gesagt, meine Mum ist abgehauen. Und sie hat mich bei ihm gelassen. Sie nahm nur meine kleine Schwester mit. Was mit mir war, war ihr egal. Und mein Vater kam mit der Trennung nicht klar. Er fing an zu trinken, mich zu schlagen. Jeden Tag warf er mir Beleidigungen an den Kopf. Wenn ich auch nur einmal etwas machte, was ihm nicht gefiel, schlug er mich. Irgendwann schloss er mich dann in meinem Zimmer ein und damit fing alles an. Ich bekam immer weniger essen. Er mochte es, wie ich litt. Er genoss es, mich schreien und weinen zu sehen. Irgendwann sperrte er mich dann in den Keller. Darin stand nur ein Bett. Mehr nicht. Und jeden Tag kam er. Schlug mich mit seiner Hand oder mit einer Peitsche. Und dann kam auf einmal eine Klinge mit ins Spiel. Als er den ersten Schnitt setzte, schrie ich und versuchte mich loszureißen. Dabei schlug ich um mich und traf ihn ausersehen. Das war das schlimmste, was ich je gemacht hatte. Er rastete total aus, sagte, dass ich ein Misststück wäre und das ich ihm gehorchen sollte. Und er verpasste mir das"

Sie schob ihr Shirt etwas hoch und zeigte auf eine Wunde etwas unterhalb ihrer Rippen. Sie war komplett verheilt und schon älter, trotzdem sah man, wie groß und tief sie gewesen sein müsste.

„Und seitdem ließ ich alles über mich ergehen. Ich unterdrückte den Schmerz, schrie nicht und weinte auch nicht. Als er dann aus dem Zimmer war, schrie ich in mein Kissen, weinte mir die Seele aus dem Leib und wünschte ihm immer wieder aufs neue den Tod. Du kannst dir nicht vorstelle, wie schlimm es für mich war. Ich hätte mich umgebracht, hätte ich die Möglichkeit dazu gehabt. Alles war besser als das. Ich bekam alle 3 Tage eine Scheibe Brot und ein Glas Wasser. Wenn er gütig war, gab er mir auch mal wann anders ein Glas, aber das kam nicht oft vor. Und jeden Tag aufs neue verletzte er mich. Ich sehe sein breites, ekelhaftes Grinsen noch genau vor mir. So oft hatte ich mir gewünscht, ihn einfach schlagen zu können. Und so oft war ich kurz davor. Aber was hätte er dann mit mir gemacht? Er hätte mich nicht umgebracht. Er hätte mich noch mehr leiden lassen. Wahrscheinlich mit Salz in den Wunden oder so. Ich traue dem alles zu! Und dann irgendwann habe ich einen „Plan" geschmiedet, wie ich es hinkriegen könnte, ihm zu entwischen. Als er dann wieder kam und grade die Klinge ansetzte, griff ich die Hand in der die Klinge war und rammte sie mit voller Wucht in sein Bein. Dann rannte ich so schnell ich konnte weg. Auf dem Weg klaute ich mir noch aus einem Garten den Pulli und die Hose und rannte dann weiter. Und bei euch vor dem Haus setzte meine Kraft dann komplett aus."

„Lea... das ist schrecklich."

Sie nicke und nun fing sie an richtig zu weinen. Ich ging auf sie zu uns als sie weder wegrutschte oder zusammenzuckte, nahm ich sie in den Arm. Erst nur leicht, denn ich hatte Angst, ihr irgendwas zu brechen, wenn ich sie fester drückte, doch dann krallte sie sich an meinen Pulli und ich festigte meinen Griff. Sie saß halb auf meinem Schoß und weinte sich die Seele aus dem Leib. Dieses Mädchen tat mir so unglaublich leid.

Was wäre, wenn sie nicht so einen Vater gehabt hätte? Dann hätte sie wahrscheinlich einen Freund und war glücklich. Sie war bildhübsch. Aber ihr Vater machte ihr komplettes Leben kaputt. Er machte sie kaputt. Hass staute sich in mir an. Ihr Vater war der grausamste Mensch, den ich kannte. Ihre Schultern bebten immer noch. Mein Pulli war nass von ihren Tränen, doch es machte mir nichts. Ich war froh, dass sie meine Nähe suchte und sich nicht komplett abschottete. Ich mochte sie. Andere würden sagen, sie wäre gestört, aber ich denke, dass sie einfach nur verletzt ist. Sie ist nicht psychisch krank. Aber hätte ihr Vater noch ein bisschen weiter gemacht, wäre sie es geworden.

„Willst du ihn anzeigen?", fragte ich sie, als sie sich etwas beruhigt hatte.

„Nein!"

„Warum?"

„Was ist, wenn er es erfährt? Wenn er rausbekommt wo ich bin? Ich weiß nicht, was er mit mir anstellen würde, aber ich weiß, dass es schlimm sein wird. Ich will ihn einfach nicht mehr sehen. Nie wieder."

„Aber er kann doch nicht ungestraft davon kommen, wenn er dir so etwas angetan hat!"

„Wird er aber. Er ist mein Vater. Er kann genauso gut sagen, dass ich das selbst war. Ich kann nichts beweisen"


Hurt (Dner FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt