Malon & Naneah - Die 20. Hungerspiele | Kapitel 9 Malon

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„Du musst etwas essen.", sagte Tampit schon zum hundertsten Mal, doch ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nichts essen. Denn immer wenn ich etwas aß musste ich daran denken, dass Malie nie wieder etwas essen würde. Sie war tot.

„Jetzt lass ihn.", mischte sich Nyerte ein und sah ihn böse an. Dass war das Gute an ihr, sie hielt, seit ich aus der Arena zurück war, immer zu mir.

„Aber sie ihn dir mal an! Am Ende heißt es noch wir haben uns nicht gut um ihn gekümmert.", beschwerte sich mein Betreuer, jedoch ohne Erfolg. Ein wütender Blick von Nyerte brachte ihn zum Schweigen.

Ich starrte weiter aus dem Fenster und sah die Landschaft an mir vorbei ziehen. Der Zug fuhr schnell, bald würden wir Distrikt 7 erreicht haben. Meinem Zuhause, welches ohne Malie viel einsamer war.

Kälte kroch in meinen Körper und ich schlang die Arme darum. Wieder spürte ich diesen Schmerz und die Leere in mir. Dasselbe Gefühl wie am gestrigen Tag bei der Siegesfeier. Lange wurde sie verschoben, da ich nach der Arena Probleme mit meinen Augen hatte, da sie sich nur sehr langsam wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten. Erst nach etlichen Augentropfen konnte ich ohne Sonnenbrille nach draußen und meine Siegerehrung antreten. Das hatten sich die Spielmacher sicher anders vorgestellt. 

Doch dort zu sitzen, alles noch einmal erleben zu müssen, war schrecklich. Ich wollte es mir nicht noch einmal ansehen, aber ich konnte nicht anders.

Das Gemetzel war grauenhaft. Wie bereits vermutet war es das reinste Chaos, weshalb auch so viele ihr Leben lassen mussten. Doch am schlimmsten war Malie zu sehen, denn ich wusste, dass ich sie so nie wieder erleben würde. Ich versuchte mir jede ihrer Bewegungen einzuprägen, ihr Lächeln in mir zu bewahren. Aber dann kam die Situation, die sich am tiefsten in mein Gedächtnis gegraben hatte. In der einen Sekunde lief sie noch quicklebendig hinter mir, in der anderen lag sie sterbend am Boden. Eine Giftschlange war aufgetaucht und hatte sie ins Bein gebissen, ehe sie genauso schnell wieder verschwand. Das Kapitol hatte sie getötet, hatte sie mir genommen ohne mir eine Chance zu lassen. Diese Erkenntnis, zusammen mit ihrem letzten Atemzug, ließ mich zusammen brechen.

„Wir sind da.", sagte Nyerte und automatisch zuckte ich zusammen.

Sie legte eine Hand auf meine Schulter und drückte sie leicht, bedeutete mir damit aufzustehen. Wie schon die Tage zuvor gehorchte ich als wäre ich eine Maschine. Anweisungen ausführen, danach wieder in Gedanken verschwinden. In Gedanken und in den Schmerz.

Der Zug wurde immer langsamer bis er hielt und die Türen öffneten sich automatisch. Licht blendete mich, etwas was meinen Augen nach der langen Dunkelheit immer noch Schmerzen bereitete. Dennoch trat ich hinaus und stellte mich der Menge. Ich hatte eh keine andere Wahl.

Die Menschen jubelten, doch ich konnte nicht verstehen warum. Ich war kein Gewinner. Ich hatte es nicht geschafft meine Schwester zu retten.

Mein Vater kam auf mich zu und sofort blickte ich beschämt zu Boden. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, hatte Angst vor der Enttäuschung die darin stehen könnte. Doch als er bei mir ankam sah er mich nicht abwertend an sondern zog mich in seine Arme.

Ich war überrumpelt, hatte nicht damit gerechnet. Irgendwie verkrampfte ich sogar dabei und schaffte es nur mit Mühe und reichlich Verspätung die Umarmung zu erwidern.

Er gab mich frei, doch ich konnte ihn immer noch nicht ansehen. Ich hatte versagt. Er hatte einen Versager als Sohn. Malie sollte bei ihm sein, nicht ich.

Viele riefen meinen Namen, doch ich reagierte nicht. Erst als sich erneut Arme um mich schlossen hob ich den Kopf, ehe auch schon Lippen auf meinen lagen.

Wieder war ich überrumpelt, wusste nicht wie ich reagieren sollte. Doch ich kannte diese Lippen, wusste wie gut sie sich anfühlten, weshalb ich den Kuss doch erwiderte. Es war Naneah. Ich war wieder bei ihr, konnte sie in den Armen halten und spüren. Auch wenn ich das nicht verdient hatte.

Ich löste mich von ihr und Tränen drohten in meine Augen zu treten. Malie war tot und ich dachte nur daran wie gut sich Naneahs Lippen anfühlten? Ich war erbärmlich.

Doch Naneah lies mich nicht gehen. Sie hielt mich fest an sich gedrückt, wollte mir zeigen wie froh sie war dass ich wieder hier war. Und ein Teil in mir schaffte es sich ebenfalls zu freuen. Jedoch nur bis er vom Schuldgefühl wieder unterdrückt wurde.

"Ich will hier weg.", flüsterte ich in ihr Ohr und war selbst überrascht von mir. Ich hatte seit Malies Tod kein Wort mehr gesprochen.

"Natürlich.", antwortete sie und nahm meine Hand vorsichtig in ihre. Wieder dauerte es kurz bis ich das realisiert hatte, doch dann umklammerte ich sie beinahe krampfhaft. Niemand sollte sie anrühren oder sie mir von hinten wegnehmen. Dann, wenn ich nicht aufpasste, leise und dennoch tödlich.

Ich hörte wie Boho, der es sich nicht nehmen ließ meine Ankunft live zu berichten, etwas sagte, doch was es war verstand ich nicht. Jedoch hatte ich schon lange damit begonnen alles zu ignorieren was er sagte. Die Frage, wie es mir nun ginge nachdem ich meine Zwillingsschwester verloren hatte, ob ich da etwas spürte, war einfach zu viel. Wäre ich nicht so erschöpft gewesen hätte ich ihn vor laufender Kamera von der Bühne geworfen.

Naneah zog mich vorsichtig mit sich und ich versuchte einen Fuß vor den anderen zu setzen. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her, während Blitzlicht meine Augen zusätzlich blendeten. Es dauerte jedoch nicht lange, dann blieben wir wieder stehen und langsam hob ich den Kopf. Doch es war nicht mein Elternhaus vor dem wir standen, sondern ein viel größeres. Natürlich, das hatte ich ganz vergessen. Ich war jetzt ein Sieger, weshalb mir ein Haus im Siegerviertel zustand.

Naneah zog mich weiter und schloss dann die Türe hinter uns. Endlich war es ruhig und außerdem nicht mehr so hell.

Sofort schloss ich meine Augen und rieb darüber, als würde es danach besser gehen.

Doch dabei hatte ich ihre Hand losgelassen, weshalb ich mich eine Sekunde später panisch nach ihr umblickte. Doch Naneah war hier, hatte sich nicht von der Stelle gerührt und lebte noch. 

"Du gehst nicht?", fragte ich hoffnungsvoll. Ich konnte es nicht ertragen wenn sie mich jetzt verließ, denn dann konnte sie mir genommen werden ohne dass ich es mitbekam. Ohne dass ich es verhindern konnte.

"Nein, ich geh nicht, wenn du es nicht willst.", antwortete sie und ich nickte erleichtert.

"Nein. Nie.", flüsterte ich und meine Sicht begann zu verschwimmen. Nie war das Wort das perfekt zu Malie passte, denn sie würde ich nie wieder sehen. Ich würde nie wieder ihr Lachen hören, sie nie wieder bei mir haben. Nie würde ich wieder ganz sein.

Doch plötzlich verschränkten sich Finger mit meinen und holten mich wieder zurück.

"Willst du was essen?", fragte Naneah, doch ich schüttelte den Kopf.

"Wir könnten nachsehen wo das Schlafzimmer ist.", schlug ich stattdessen vor und mein Mund verzog sich zu einem leichten lächeln, auch wenn sich danach wieder ein beklemmendes Gefühl in mir breit machte.

Doch bevor wir uns auf die Suche machen konnten zog ich sie in meine Arme und hielt sie fest. Naneah konnte Malie nicht ersetzen und auch die Leere in mir nicht verschwinden lassen, doch sie schaffte es dass ich mich besser fühlte.

"Ich liebe dich.", sagte ich, auch um zu sehen wie es sich anfühlte wenn ich es aussprach. Es hatte sich nichts daran geändert.

„Ich liebe dich auch Malon.", sagte sie, „Ich liebe dich auch."


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