Nanno
Das Leben im Grün war ruhig.
Der Silberfluss bahnte seinen Weg durch den verwunschenen Wald, wie eine schimmernde, wunderschöne doch unberechenbare Schlange. Nachts leuchteten die Bäume und Pflanzen und Irrlichter lockten reisende in das Nichts.
Feen spielten zwischen den Blättern und suchten nach süßen Früchten. Wichtel versteckten sich im Unterholz und phantastische, wundersame Tiere durchstreiften den Wald. Der Wind erzählte vom Lachen der Nymphen und Sylphen. Zeitlosen Wesen.
Tief im Fluss lebten die Nixen. Die schönen Bewohner des Wassers konnten bis zu vierhundert Jahre alt werden. Und alterten dementsprechend, ab einem bestimmten Zeitpunkt nur sehr langsam. Ihre Stadt lag versteckt in einer Höhle, welche nur vom Wasser aus erreichbar war. Die Stadt glänzte silbern, hellblau und weiß wie Perlmutt. Sie wurde von leuchtenden Kristallen erhellt, und war umgeben von Eis und blühenden Pflanzen. Nixen waren ein verspieltes und auch gefährliches Volk. Sie waren Jäger, die ab und an verirrte Wanderer aus Spaß in das Wasser lockten. Die Menschen verließen das Wasser nie mehr. Sie endeten als Mahlzeit oder ertranken.
Nanno der jüngste Sohn seiner Eltern schwamm gerade durch den Fluss und pflückte Seegras und Algen, um beides zu trocknen. Die Algen aßen Nixen und aus dem Seegras machten sie Körbe und Matten. Mit seiner silbernen und blau schimmernde Schwanzflosse bewegte er sich schnell durch das kalte Wasser. Nanno war ein guter Schwimmer und das Sammeln der Algen und des Seegrases war sein erster, eigener Job. Der Achtzehnjährige fühlte sich erwachsen. Vor ein paar Tagen hatte er seine erste eigene Wohnung bezogen.
Darauf war er besonders stolz. Auch wenn seine Eltern ihn genau genommen vor die Tür gesetzt hatten, als sie ihn mit einer hübschen Nixe beim ‚Entdecker spielen' im Bett erwischt hatten. Bedauerlicherweise hatte die Nixe kurz darauf verkündet, er sei ein Schlechter ‚Entdecker' und sie wäre daher an weiteren Expeditionen nicht interessiert. Der Name der jungen Dame war Linnea und sie war eine Kindheitsfreundin. Nanno war lange in das Mädchen mit der fliederfarbenen Schwanzflosse verliebt gewesen, doch ihre Worte hatten seinen Stolz gekränkt.
„Nanno!", sein bester Freund schwamm zu ihm. William grinste. Seine braunen Haaren waren mit Muschelschalen geschmückt. William war ein Jahr älter als Nanno und hatte grüne Augen und einen ebenso grünen Fischwanz. Das war normal bei Nixen. Die Augenfarbe war immer genau dieselbe wie die Farbe der Schwanzflosse, oder sie kam der Farbe der Schuppen zumindest nahe.
Nanno hatte blasse eisblaue Augen, während seine Schuppen silbern waren und blau schimmerten.
„Gibt es was neues?", fragte er seinen Freund.
„Etwas neues? Die Sylphen erzählen, dass Irrlichter gestern auf eine Gruppe Menschen getroffen sind! Die Menschen irren nun durch unser Grün!"
„Wirklich?" Nanno grinste erfreut. „Meinst du, sie kommen zum Fluss?"
„Ich weiß nicht." William griff nach ein paar Algen und zog daran. „Vielleicht? Wenn sie Durst bekommen?" Er zwinkerte Nanno zu.
„Das würde mir gefallen. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen! Oder gegessen..."
„Ich schon. Gesehen. Nicht gegessen. Vor einiger Zeit kamen ein paar Elfen und Menschen durch den Wald. Aber sie waren weit weg. Es war unmöglich, sie zum Wasser zu locken!" William biss in eine der Algen und lächelte.
„Hm... Ich frage Ehlin!" Nanno reichte William seine gesammelten Algen und das Seegras. „Gibst du das bitte, bitte für mich ab? Danke!" Ohne die Antwort seines Freundes abzuwarten, schwamm Nanno flink davon.
Ehlin, ein weiterer Freund, gehörte zu den Sylphen. Geschlechtslose Luftgeister, die oft am Rand des Flusses zu finden waren. Sylphen waren schöne Wesen. Allerdings auch sehr scheu. Wenn sie es wollten, verschwanden sie spurlos in ihrem Element.
„Ehlin!" Nanno tauchte an der Oberfläche auf und rief nach seinem Freund. Er sah sich um und schwamm zum Ufer. Dort setzte er sich in das Gras und sah dabei zu, wie seine Schwanzflosse zwei dünnen Beinen wich. Grinsend wackelte Nanno mit den Zehen. Dann wartete er. Meist war Ehlin hier zwischen dem gelb blühenden Schilf anzutreffen.
„Hallo Nanno." Ein geisterhaftes Wesen mit rosa Haut, grauen Augen und schwebenden grauen Haaren tauchte vor ihm auf. Blaue Lienen zogen sich in Schnörkeln über die Haut der Sylphe. Heller, fast durchsichtiger Stoff schwebte um den Körper des zarten Wesens. Ein seltsames doch edel aussehendes Kleid.
„Ehlin! Ist es wahr? Sind Menschen hier? William hat mir davon erzählt!"
Ehlin kicherte leise. Die Stimme der Sylphe hallte dabei etwas. Nannos Freund, oder Freundin, Sylphen war es grundsätzlich egal, als was man sie bezeichnete, setzte sich zu ihm. „Ein paar Nymphen sprachen davon, ja. Ich habe keine gesehen."
„Also sind Menschen hier?" Nanno zupfte an ein paar Perlen, die seine Arme schmückten. „Meinst du, wir können sie in das Wasser locken?"
„Wieso? Hast du Hunger?" Ehlin verzog das Gesicht. „Du weißt, ich halte nichts von solchen Spielen. Wenn Menschen hier auftauchen, verstecke ich mich in der Luft. Bis sie wieder weg sind. Vermutlich spielen Feen gerade ihre Scherze mit ihnen... Oder sie versorgen sie mit Essen. Bei Feen weiß man nie..."
„Ich habe keinen Hunger, nein. Aber... William sprach davon sie in das Wasser zu locken. Ehrlich gesagt, weiß Ich nicht, was ich mache, wenn ich einen Menschen sehe... Ihn erschrecken?"
„Sicher nicht. Ihr Nixen belasst es nie dabei!", maulte Ehlin. „Und ich werde dir dabei nicht helfen, auch wenn wir Freunde sind."
Nanno nickte. „Dann halt nicht..." Ob Menschen gut schmecken? Wenn nicht, spiele ich nur etwas mit ihnen.
Ein paar Äste knackten. Sofort verschwand Ehlin, als wäre er nie dagewesen und Nanno sprang zurück ins Wasser, um im Schilf Schutz zu suchen. So viel zu die Menschen erschrecken...
Nanno seufzte und sah vorsichtig durch das Schilf.
Stimmen waren zu hören. Jemand stritt.
Ob das die Menschen waren? Oder nur ein paar Nymphen? Baumnymphen? Oder Wassernymphen? Sie trafen sich oft am Fluss, um dort zu tanzen oder zu singen, oder was auch immer ihnen gerade in den Sinn kam.
(c: sasi)
Nanno
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NIXE - Zwischen Wasser und Wald (BL)
FantasiaNanno lebt in einer unterirdischen Stadt. Charlie, sein Bruder und ihre Freunde sind auf der Flucht. Doch die Menschen verirren sich im Feenwald. Was passiert, wenn Mensch und Nixe aufeinandertreffen? (Dies ist ein weiterer Kurzroman zu den Hexe-Bü...