Charlie
Charlie wartete.
Die anderen schliefen bereits, doch er war wach. Er saß neben seinem schnarchenden Bruder und starrte auf das Wasser des Flusses. Im sanften Schein der glühenden Bäume konnte er wie in der vorherigen Nacht bis an das andere Ufer sehen.
Dann, endlich, schwirrte eine kleine Gestalt auf ihn zurück und landete auf seinen Knien. Das Irrlicht trug einen dünnen Zweig mit ein paar herrlich aussehenden Beeren mit sich und hielt diese Charlie hin.
„Hallo." Charlie lächelte das Irrlicht an, welches ihm aufgeregt etwas erzählte. Er nahm die Beeren entgegen und bedankte sich, doch das Irrlicht erzählte weiter und wedelte dabei wild mit den Armen.
„Es tut mir leid, aber ich spreche deine Sprache nicht."
Das Irrlicht ließ den Kopf hängen und seufzte. Dann schwirrte es nah an seinen Kopf und zog an seinen Haaren. „He!", beschwerte Charlie sich.
Zwitschernd zeigte das Irrlicht auf das Flussufer.
„Du willst zum Fluss?"
Es nickte.
Joris drehte sich im Schlaf um. „Bleib hier... Wer bist du?", murmelte er.
Das Irrlicht betrachtete ihn skeptisch.
„Er hat eine Nymphe getroffen... Zumindest glauben wir, dass es eine Nymphe war", erklärte er dem kleinen Wesen. „Es hat ihn schlimm erwischt. Er hat kaum aufgehört von dieser Schönheit zu schwärmen."
Das Irrlicht kicherte, dann zeigte es wieder auf das Flussufer. Kopfschüttelnd legte er die Beeren beiseite. Charlie folgte dem Irrlicht, welches an seiner Kleidung zog. „Du bist sehr ungeduldig, kleiner Freund. Oder Freundin? Du siehst wie ein kleines Mädchen aus. Also, kleine Freundin."
Das Irrlicht rollte mit den Augen und zog weiter an ihm, bis er sich lachend an das Flussufer setzte.
„Meinst du wir sehen die Nixe noch einmal?", fragte er.
Das Irrlicht zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder auf seine Knie.
„Ein paar Nixen haben heute versucht mich und meine Freunde in das Wasser zu locken. So einen schönen Gesang habe ich noch nie gehört."
Das Irrlicht schnaubte und zeigte auf sich.
„Ja. Dein Gesang war auch wundervoll."
Es nickte und sagte wieder etwas in der fremden Sprache. Dann stand es auf und begann zu singen. Wieder erklang die süßliche Melodie mit der es ihn hatte davonlocken wollen. Charlie schmunzelte. In diesem Wald muss man mit Musik vorsichtig sein. Irrlichter, Nixen... Ob es noch mehr Wesen gibt, die Musik für verheerende Zwecke nutzen?
Das Irrlicht beendete sein Lied mit einer Verbeugung.
„Wundervoll!" Charlie klatschte leise in die Hände, woraufhin das Irrlicht stolz durch die Luft schwirrte. Dann hörten sie etwas plätschern. Die beiden sahen neugierig zum Fluss. Jemand beobachtete sie. Jemand mit hellen Haaren und blasser Haut. Sofort verschwand die Person wieder unter Wasser.
„Warte!" Charlie sprang auf und wollte in das Wasser laufen, doch das Irrlicht hielt ihn an den Haaren fest. Mit mehr Kraft, als er einem so kleinen Persönchen zugetraut hätte. „Aua!"
Es zwitscherte etwas verärgert und zeigte auf das Wasser. Die Person war zurück. Näher als vorher. Nun konnte Charlie erkennen, dass es sich um einen Jungen handelte, der in etwa so alt wie er zu sein schien. Der Junge betrachtete ihn neugierig aus eisblauen Augen. Zwischen seinen weißen und grauen Locken konnte Charlie auch ein paar hellblaue Strähnen entdecken. Der Junge war hübsch. Er trug Schmuck aus Perlen und Muschelschalen, die seltsamen Licht des Waldes funkelten. Durch das Wasser sah Charlie die Umrisse einer schillernden Schwanzflosse.
„Das Irrlicht..." Der Junge legte den Kopf schief. „Es mag dich."
Charlies kleine Freundin streckte der Nixe die Zunge raus.
„Warum?" Der Junge blieb auf Abstand. „Und warum hast du dunkle Haut?"
„Was?" Die Frage brachte ihn zum Lachen. „Warum ich dunkle Haut habe? Wirklich?"
Die Nixe blinzelte. „Nixen haben immer helle Haut. Ich wusste nicht, dass es Menschen mit dunkler Haut gibt..."
„Ah... Nun, es gibt Menschen mit dunkler Haut."
„Gibt es auch andere Farben? Grün?", fragte der Junge weiter.
Das Irrlicht kicherte amüsiert und setzte sich auf Charlies Schulter. Dort lachte es weiter.
„Nein. Kein Grün. Auch kein Blau... Nein... Nur hell oder dunkel", erklärte Charlie. „Ich heiße Charlie."
„Charlie... Hm... Und was ist mit dem Irrlicht? Wir essen Irrlichter..." Er betrachtete es. „Warum bist du bei einem Menschen? Essen Menschen Irrlichter? Nein, oder? Aber sie schmecken gut."
Nun schimpfte besagtes Irrlicht laut. Charlie verzog das Gesicht. Es schrie direkt in sein Ohr.
„Ich denke, meine kleine Freundin hat da etwas gegen."
„Ja." Der Junge grinste. „Sie hat mir gerade angedroht mir alle Haare auszureißen, sollte ich es versuchen."
„Du verstehst Irrlichter?"
„Ja. Du nicht?"
Charlie schüttelte den Kopf. „Auch keine Feen. Nein."
„Oh. Das wusste ich auch nicht. Das ist interessant. Gut, dass William dich nicht gegessen hat. Ich weiß kaum etwas über Menschen." Der Junge nickte und schwamm noch ein bisschen näher. „Auch wenn du köstlich aussiehst..."
„Danke?" Nervös rückte Charlie etwas vom Wasser weg. Die gesamte Situation erschien ihm seltsam. Verwunschen. Die Schwanzflosse schillerte unter dem Wasser.
„Hm... Keine Sorge, ich habe gerade keinen Hunger." Der Junge zwinkerte ihm zu. „Jetzt gerade nicht. Warum bist du hier? Im Grün?"
Im Grün? „Weil ich nicht zuhause bleiben konnte. Warum bist du hier?", fragte Charlie zurück.
Der Junge schnaubte. „Ich lebe hier!"
„Nein. Warum bist du hergekommen?"
„Ah... Aus Neugier. Ich habe das Irrlicht bei dir gesehen... Das ist ungewöhnlich. Daher... Ich sollte jetzt nach Hause... Es ist spät."
„Warte. Wie heißt du?", fragte Charlie schnell, bevor die Nixe tief im Fluss verschwand.
„Nanno!" Mehr sagte die Nixe nicht. Der Junge tauchte unter und war fort.
Das Irrlicht sagte etwas. Es klang erfreut.
„Hast du auch gehofft, dass er sich noch einmal zeigt?", fragte Charlie es.
Das Irrlicht setzte sich wieder auf seine Knie, damit er es besser sehen konnte und nickte.
„Warst du auch neugierig?"
Es schüttelte den Kopf und zeigte auf Charlie.
„Ja. Ich war neugierig." Er gähnte. Es war Zeit, dass er etwas Schlaf bekam.
(c: sasi)
Das Irrlicht (KI-Kunst)
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NIXE - Zwischen Wasser und Wald (BL)
FantasíaNanno lebt in einer unterirdischen Stadt. Charlie, sein Bruder und ihre Freunde sind auf der Flucht. Doch die Menschen verirren sich im Feenwald. Was passiert, wenn Mensch und Nixe aufeinandertreffen? (Dies ist ein weiterer Kurzroman zu den Hexe-Bü...