✴︎ Kapitel 9 ✴︎

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„Welcher Lehrer bei euch heißt denn mit Vornamen René?"

Wow, was für eine Begrüßung. Paul hatte die Haustür noch gar nicht hinter sich geschlossen, da stand seine Mama im Flur und sah aus, als hätte sie den achtbeinigen Flamingo aus dem Schulflur ebenfalls gesehen. Was hatten die Leute denn an diesem Tag? Gab es da etwas, das Kinder nicht sehen konnten, sondern nur Erwachsene? War es ein bisschen so wie in Des Kaisers neue Kleider? Nur war die Frage hierbei, ob Paul den Kaiser mit oder ohne Kleider sehen würde ...

„Keine Ahnung", antwortete Paul desinteressiert und warf seinen Schulrucksack auf die Treppe, die in den ersten Stock führte. Das mochte Mama nicht, weil er somit eine Stolperfalle darstellte, aber sie war gerade so aufgebracht, dass sie dafür gar keine Augen hatte. Nervös lief sie im Flur auf und ab.

„Warum ist das denn wichtig?", hakte Paul nach.

„Nichts, nichts", wimmelte Mama ihn auf einmal ab. Dabei war da etwas, da konnte sie ihm nichts vormachen. Nichts, nichts. Drauf geschissen! Dachte sie, dass Paul noch ein kleines Kind war, das nicht merkte, dass da etwas war?

„Herr Flamm war schon so komisch und jetzt du. Was ist denn los?"

Paul schaute sie aus großen, anklagenden Augen an. Mama seufzte. Jetzt gab sie sich geschlagen. So lief das auch, wenn Paul noch einen zweiten Nachtisch wollte. Es funktionierte einfach immer!

„Ein Lehrer an eurer Schule ist mit einem Schüler geflohen, den die Polizei in Gewahrsam genommen hat", sagte sie und spielte nervös mit ihren Fingern am Saum ihrer Bluse herum. Ach, daher wehte also der Wind! Mama musste ja wie auf heißen Kohlen gesessen haben, darauf wartend, dass Paul endlich von der Schule nach Hause kam.

„Wow", sagte Paul und nickte anerkennend. Damit hatte er nicht gerechnet. Da wohnte Paul seit ein paar Monaten hier und schon gab es Action in der Kleinstadt. Die Sensation war natürlich nur halb so groß, da er weder wusste, wer der besagte Schüler sein sollte noch diesen Herrn René wie-auch-immer kannte, aber doch, es war aufsehenerregend. Und er wollte mehr darüber erfahren. Seine begeisterte Reaktion war aber nicht gerade das, was seine Mama hatte hören wollen, denn sie runzelte nun die Stirn.

„Ich geh hoch und mache meine Hausaufgaben", sagte Paul schnell, bevor sie noch etwas sagen konnte, schnappte sich den Rucksack und lief in sein Zimmer. Seine Mama ließ er am Fuß der Treppe stehen. Sie hatte gar keine Zeit mehr, zu fragen, warum er sich ausgerechnet hier und heute freiwillig an seine Hausaufgaben setzte.


***


Der Familienvan hatte eine gehobene Ausstattung. Sitzheizung, integriertes Navigationssystem, Multifunktionslenkrad, Rückfahrkamera ... alles, worauf Dennis beim Autokauf Wert legte und noch viel mehr. Eine richtige Hightech-Familienkutsche. Auch wenn der Wagen nicht einer von der Sorte war, bei dem man an einem sonnigen Tag ein Lied mit harten Bässen laufen ließ und mit heruntergelassenem Fenster durch die Stadt fuhr, so machte es doch Freude, ihn zu fahren.

Die ganzen kleinen technischen Assistenten waren eine nette Sache. Jedoch brauchte Dennis heute nichts davon. Für die Sitzheizung war es zu warm, für die Klimaanlage zu kalt und das Navi ... war für ihn vollkommen unnötig. Denn aus genau derselben Quelle, von der er plötzlich das Wissen darüber hatte, wie man Autos klaute, wusste er, wohin er fahren musste.

Taten das nicht auch Zugvögel? Dennis meinte sich zu erinnern, dass die gefiederten Kollegen so etwas wie einen integrierten Kompass in sich hatten. Wie sonst kam es, dass sie zum nahenden Winter zielstrebig meilenweit an den richtigen Ort flogen und wieder zurückkehrten, sobald die Temperaturen wieder vogelfreundlich waren?

Tief verborgen - Das Refugium | Thriller x FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt