✴︎ Kapitel 33 ✴︎

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Ohne großen Appetit drehte Dominik Kämper sich seine Spaghetti auf die Gabel. Die Bolognese, die zu stark nach Oregano duftete, stammte aus dem Glas wie so vieles in seiner Küche. Doch das war nicht das Problem. Zu sehr verstopften die ganzen Gedanken über die neue Richtung, die die Ermittlungen an genommen hatte, Kämpers Kopf und unterdrückten damit auch auf sein Hungergefühl. Wann hatte er sich zuletzt so beschissen gefühlt?

Ach ja, als Jens Casper ihm seine Freundin abgezogen hatte, ja ... Scheppernd ließ Kämper bei dem Gedanken an den falschen Fünfziger die Gabel auf den Tellerrand fallen und raufte sich die Haare. Jetzt waren sie wieder vereint. Sie kämpften zusammen, denn beide hatten in diesen Ermittlungen Niederlagen einstecken müssen. Doch ein Team machte das lange nicht aus den beiden. Was eigentlich schade war, denn Jens war ein intelligenter Typ mit einem schnellen Köpfchen. Alles wäre gut, wenn er einen privat nicht hängenlassen würde.

Kämper griff nach seinem Smartphone und scrollte durch eine online Nachrichtenseite. Das Interview, das Henry Schneider mit Dorothea Wislow abgehalten hatte, war von der Startseite zugunsten einer Eilmeldung über einen Flugzeugdiebstahl verdrängt worden. Doch der interessierte Dominik im Moment herzlich wenig. Seltsam war es nicht, dass das Interview so schnell wieder weg war, denn irgendwie waren in sehr kurzer Zeit alle Meldungen über den übersinnlichen Vorfall in der digitalen Versenkung verschwunden.

Gedankenverloren öffnete Kämper eine Videoplattform, um ein bisschen Musik laufen zu lassen. Er hatte vor längerer Zeit eine Playlist aus seinen liebsten Musikvideos zusammengestellt, die er in der letzten Zeit nur noch selten angehört hatte. Zu selten, fand er. Und jetzt, am Ende dieses verkorksten Tages, waren ein paar Klänge guter Countrymusik das beste, um ihn abzulenken.

Auf der Startseite der Videoplattform wurde ihm als erstes ein kurzes Video vorgeschlagen, wie man einen platten Fahrradreifen in unter fünf Minuten selbst reparieren konnte. Das machte Kämper neugierig. Er fügte das Video zu der Playlist mit dem Titel Praktisch hinzu. Er scrollte weiter, wo er schon mal dabei war. Ein Lehrvideo über Kontinentalplatten ... Erdkunde hatte er in der Schule immer langweilig gefunden, also weiter ... Ein Video, wo jemand zehn Tafeln Schokolade futterte ... Ach du Scheiße, den Zuckerschock würde Kämper nicht erleben wollen ... Halt! Wozu hatte er denn überhaupt die Seite geöffnet?

Kämpers Finger schwebte schon über dem Icon, das zu den Playlists führte, da erregte der obere Ausschnitt des nächsten Videos seine Aufmerksamkeit. Ein roter Haarschopf ... Er scrollte ein Stück weiter herunter.

„Junge, Junge", entfuhr es ihm, als er auf dem Videovorschaubild seinen Neffen erkannte. Und als er den Titel des Videos las, wurde ihm heiß und kalt, ohne dass er genau sagen konnte, aus welchem Grund. Vielleicht, weil Paul verbotenerweise - hundertprozentig verboten - einen Account auf dieser Videoplattform erstellt hatte und nun Kurzfilme mit irgendwelchen Behauptungen über irgendwelche Wahrheiten ins Internet stellte, in denen er selbst zu sehen war? Seine Mutter würde im Viereck springen, wenn sie das sah.

Dominik Kämper war schon seit dem ersten Kennenlernen der Ansicht gewesen, dass seine Schwägerin eine Meise hatte. Ihre Fürsorge in Ehren, doch die machte sich und damit auch den Jungen einfach nur verrückt damit. Dominik konnte nicht verstehen, wie sein Bruder diese wahnhafte Sorgsamkeit süß finden konnte. Das Video ging nur knappe zwei Minuten. Seine Neugier war geweckt. Nachdem er es gesehen hatte, seufzte er schwer und schloss die App. Ihm war die Lust auf Musik vergangen.


***


Zielstrebig und mit der geübten Geschicklichkeit einer Bergziege lief Andor die Böschung hinab. Georgina folgte ihm mit etwas Abstand. Sie hatte zwar nicht die endgültige Bestätigung für ihren Verdacht, aber die Zeichen standen eindeutig. Bei dem Versuch, in Morgans Sphären einzudringen musste er sich Andors Körper zueigen gemacht haben. Diese Erkenntnis fühlte sich an wie ein Schnitt mit einer eisigen Klinge. Es war fürchterlich und gleichzeitig unfassbar schmerzhaft.

Tief verborgen - Das Refugium | Thriller x FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt