✴︎ Kapitel 30 ✴︎

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Wohin auch immer die nette Pilotin mit der sexy Lederjacke hatte fliegen wollen, es musste wohl nur eine kurze Strecke gewesen sein, mit der sie geplant hatte. Oder aber das Leichtflugzeug war für eine lange Strecke ganz einfach nicht ausgelegt. Mit einem besorgten Blick auf den Füllstand des Tanks fiel Dennis auf, dass eine baldige Landung erforderlich sein könnte. Dabei hatte er sein Ziel noch gar nicht erreicht. Das Ziel, das er gar nicht hätte verbalisieren können, wenn man ihn danach gefragt hätte. Doch tief in ihm drin, irgendwo in den Gehirnwindungen, die er schon länger nicht mehr angesteuert hatte, wusste er, wohin er musste.

Ja, viel wusste Dennis wirklich nicht. Das hätte Gerd sicherlich mit größter Freude bescheinigen können. Und die ganzen ehemaligen Lehrer von Dennis. Und ... ach, egal. Er war im Moment wie ein blinder Passagier im eigenen Körper. Was er aber wusste, war das hier: Er flog gerade über Okzitanien, das er, wenn man ihn vor einer Woche gefragt hätte, für eine Südfrucht gehalten hätte. Jetzt gerade spürte er, dass es eine Region im Süden von Frankreich war, in der sehr hübsche Dörfer zu bewundern waren - zumindest demnach zu urteilen, was er von hier oben sah.

Berge hoben sich ab, auf denen zwischen den vielen Bäumen lauter kleine Häuschen standen. Süß und klein wie Lebkuchenhäuser, nur ohne Schnee aus Puderzucker drauf. Wunderschönes türkisblaues Wasser glänzte an diesem herrlichen Spätnachmittag. Hier wäre Dennis am liebsten gelandet, einfach nur, um sich die Umgebung anzuschauen und sich am Strand auf dem angewärmten Sand auszuruhen. Er hätte auch sehr gerne ein paar Fotos gemacht, doch trottelig wie er manchmal war, hatte er sein verdammtes Handy liegen lassen. Oder noch besser: Er hatte es irgendwo verloren. Egal, landen konnte er jetzt gerade sowieso nicht. Er musste weiter.

Der Zugvogel war noch nicht an seinem Ziel angekommen. Gen Süden, ja, dorthin war er unterwegs. Aber es war noch ein ganzes Stück zu fliegen. Und gerade sah es danach aus, als ob dem Vogel die Power ausging. Intuitiv wusste er zwar, dass er irgendwie an sein Ziel kommen würde, doch der lästige Verstand, der sich immer wieder dazwischen schaltete, sendete rotes Warnlicht aus. Was nun?

Dennis sah nach draußen und stellte fest, das hier keine Tankstelle war. Wo um alles in der Welt tankte man denn überhaupt ein Flugzeug auf? An einer normalen Tankstelle bestimmt nicht, so viel war selbst Dennis klar. Bekam man eigentlich einen Strafzettel für ein falsch geparktes Flugzeug? Fragen über Fragen, die sich seltsamerweise in Dennis regten. Und je mehr die Fragen kamen, desto unsicherer fühlte er sich zusehends. Unsicherheit war schlecht, sehr schlecht. Sie brachte nicht nur Dennis' Verstand ins Schlingern, sondern auch das Flugzeug. Scheiße, was tun?

Nun merkte Dennis auch, dass er einen ganz trockenen Mund hatte. Wie viele Stunden war die letzte Flüssigkeitsaufnahme denn schon her? Und gegessen hatte er auch eine ganze Weile schon nichts mehr. Das alles bemerkte Dennis, doch das, was er nicht merkte, war, dass sich seine normale graue Augenfarbe den Weg durch die bunten Lavalampenschimmer drängte. Je mehr seine natürliche Färbung der Iris hervorkam, desto mehr verlor das Flugzeug an Höhe. Und letzteres bemerkte er mit in Panik mündender Besorgnis.


***


Auf die Frage, wer Kathrin Meyer war, hatte das Internet schnell und unkompliziert eine zufrieden stellende Antwort bereit. Die drei ersten Einträge, die die Suchmaschine lieferte, waren vielversprechend. Paul wurde auf die Schulwebsite des Buchenecker-Gymnasiums geleitet. Das kannte er zu gut, da er es auch besuchte. So weit alles easy. Diese Kathrin Meyer war selbst Schülerin des Gymnasiums wie auch Mitglied bei der dortigen Schülerzeitung gewesen. Interessant. Und auch nicht verwunderlich, wenn sie nun als Erwachsene tatsächlich als Journalistin arbeitete.

Tief verborgen - Das Refugium | Thriller x FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt