✴︎ Kapitel 24 ✴︎

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Auf sein Geheiß hin hatte man die hohen gotischen Fenster, deren Ausblick Morgan sonst so viel Energie gab, mit schweren dunklen Tüchern verhangen. Seine Schritte hallten auf dem Steinboden, als er sein Refugium betrat. Hinter ihm folgte die elfengleiche Gestalt. Ihre Schritte waren kaum hörbar. Es war, als würde sie über den Boden schweben.

Ihre Hände waren mit einem Strick zusammengebunden. Morgan zog sie hinter sich her. Er fühlte sich gedemütigt bis auf die Knochen. Die hohe Fistelstimme sprach hinter ihm, aber er wollte sich nicht umdrehen und ihm ins Gesicht sehen. Morgan war gerettet worden. Das wäre für andere - für Normalsterbliche - ein Grund zur Freude. Doch das Passiv war Morgans Problem. Er war gerettet worden. Niemand rettete Morgan. Morgan rettete sich stets selbst.

„Ich habe den Ursprung dieser Energieformation noch nicht ausfindig machen können, aber ...", setzte die hohe Stimme an, bevor Morgan ihr mit einer schneidenden Handbewegung Einhalt gebot.

Nichts wollte er im Moment hören. Kein einziges Wort. Es war die Aufgabe seines Handlangers gewesen, die Abtrünnigen im Auge zu behalten. Aber auf niemanden konnte man sich verlassen. Wenn man wollte, dass etwas gut gemacht wurde, dann musste man es immer selbst in die Hand nehmen. Immer.

Morgan hatte Nika angeboten, eine Allianz mit ihm einzugehen. Doch so wie immer hatte sie sich stur gestellt. Sie hatte die Zeit verstreichen lassen. Bis schließlich Morgans rechte Hand aufgetaucht war. Er hatte zwar nicht den Hauch der Fähigkeiten, die der große Magier Morgan besaß, doch er hatte ihn irgendwie ausfindig machen können und hatte sich wenige Meter von Morgan entfernt materialisiert.

„Ich werde mich der Sache annehmen. Und du, du wirst dich um meine liebe Freundin hier kümmern", befahl Morgan und nickte in Richtung der Weißhaarigen.

„Sehr wohl", antwortete die hohe Stimme untergeben und verneigte sich leicht. Nika würdigte Morgan keines weiteren Blicks. Der Handlanger würde sie in den hauseigenen Kerker werfen. Ebenso wie die formschönen Fenster war auch das Verlies mit seinem Gewölbe und den schweren eisenbeschlagenen Holztüren der gotischen Zeit zumindest sehr detailliert nachempfunden.

Morgan ließ sich auf einen mit dunkelrotem Samt bezogenen Stuhl fallen, sodass dieser unter dem Gewicht des stattlichen Mannes ächzte. Er musste nachdenken. Sein Energiefeld war von außen manipuliert worden, das stand fest. Und obwohl seine rechte Hand noch nichts Konkretes herausgefunden hatte, war sich Morgan absolut sicher darüber, wer dahinterstecken könnte. Wer es gewagt hatte, sich mit dem größten Magier der vielen vergangenen Dekaden anzulegen.


***


Wieder zurück im Spiel fühlte sich Dennis gleich viel besser. Ob man nach ihm suchen würde? Einige Fragen gingen ihm durch den Kopf, als er sich zu Fuß auf den Weg nach Hause machte. Er hatte es ganz schön eilig, denn auf seinem T-Shirt war eine Schliere getrocknetes Blut, das aus seiner Nase gelaufen war. So sollte man ihn besser nicht in der Öffentlichkeit sehen. Zuhause würde er sich wieder auf Vordermann bringen und dann würde es direkt weitergehen. Doch vorher schadete es nicht, sich ein wenig ... umzustylen.

Schnurstracks lief Dennis ins Bad. Die blonden Haare fielen in strohigen Büscheln ins Waschbecken, als Dennis seiner Igelfrisur mit der Haarschneidemaschine zu Leibe rückte. Nun waren seine von Natur aus hellbraunen Haare raspelkurz, aber er fand, dass er so viel seriöser aussah. Schnell stellte er sich unter die Dusche und rasierte sich. Verflixt, das hatte er die letzten Tage vernachlässigt! Er fand, dass er aussah wie ein Penner. Das wurde jetzt aber geändert.

Er öffnete ein Aftershave, das ihm seine Mutter zu einem Weihnachtsfest irgendwann in den letzten Jahren geschenkt hatte. Es roch nach Sandelholz. Ganz was Feines. Wer roch auch immer nach Sandelholz? Bei dem Gedanken wurde Dennis übel. Gerd. Verdammter scheiß Gerd. Er betrachtete das Fläschchen in seiner Hand und schmetterte es unvermittelt auf den Boden. Der kleine gläserne Behälter zerbrach und der intensiv riechende Inhalt breitete sich auf den hellen Fliesen aus. Nun roch sein ganzes Badezimmer nach Gerd. Wunderbar.

Tief verborgen - Das Refugium | Thriller x FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt