✴︎ Kapitel 7 ✴︎

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„Da ist ein Notruf eingegangen ... wegen eines Jungen, der einen ... warten Sie mal ... ja, doch. Wegen eines Jungen, der einen Zeitungsständer in die Luft geworfen haben soll."

„Also Sachbeschädigung ... Schicken Sie eine Streife."

„Nein, nein, Sie verstehen nicht. Der Junge hat einen Zeitungsständer ... in die Luft geworfen. Er ist aber nicht mehr auf dem Boden aufgekommen."

„Aha."

Der Mann am Schreibtisch fuhr sich durch die kupferfarbenen Haare und überlegte einen Moment, ob er nicht den Notarzt schicken sollte, entschied sich dann aber doch für die Streife.


***


Welcher kleine Junge träumte nicht davon, einmal in einem echten Polizeiauto mitfahren zu dürfen? Wer fände es denn nicht cool, wenn dabei auch noch Blaulicht und Sirene allen auf der Straße verkündeten: macht Platz, hier kommt die Polizei! Dabei war es auch ganz egal, ob man selbst irgendwann einmal Polizist werden wollte oder nicht. Als Kind hatte Sandro sich selbst immer als Sportler gemalt. Was willst du mal werden? Hockeyspieler.

Hockey hatte er als Siebenjähriger gespielt und zwar für genau zehn Monate ehe es ihm langsam aber sicher keinen Spaß mehr bereitet hatte. Doch in der Zeit, in der er den Sport ausgeübt hatte, konnte der kleine Sandro sich keinen spannenderen Beruf vorstellen. Kein Polizist, kein Feuerwehrmann - professioneller Hockeyspieler. Und trotzdem hatte er sich der Faszination nicht entziehen können, wenn er als kleiner Stöpsel mit Mama an der Hand gelaufen war und ein Martinshorn oder eine Polizeisirene ertönt war und kurz darauf das zu dem Geräusch gehörende Fahrzeug wie ein Blitz an ihm vorbeigeschossen war. Ein wohliger Schauer war Hand in Hand mit einer Gänsehaut über seinen Rücken und die Arme gekrochen, denn ihm selbst war es in dem Moment gut gegangen. Im Gegensatz zu den Leuten, zu denen das tönende Fahrzeug auf dem Weg war.

Dann hatte er manchmal gedacht, wie cool es wäre, dort mit drin zu sitzen. Heute, an diesem besonderen Tag, für den er eigentlich ein Kreuz in den Kalender hatte machen wollen, dachte er ein wenig anders darüber. Jetzt saß er tatsächlich in einem Polizeiauto, aber nicht auf dem Beifahrersitz, sondern eine Reihe dahinter. Jemand hatte die Truppe mit den dunkelblauen Uniformen gerufen und es war ja auch kein Wunder. Es flog nicht alle Tage ein Zeitungsständer per One-Way-Ticket kilometerhoch in die Luft.

Tja, aber was hatte nun Sandro mit der ganzen Sache zu tun? Das wusste er selbst nicht. Und so komisch es klang - er wusste ebenfalls nicht, wie er in einer solchen Situation fühlen sollte. Er hatte sich immer vorgestellt, dass ein Verbrecher, der von der Polizei erwischt wurde, entweder vor Angst zittern oder vor Wut beben würde. Ein Verbrecher war sich ja dessen bewusst, was er getan hatte und schätzte, während er auf den Polstern der Rückbank saß, in etwa ab, wie viele Jahre oder Monate ihn erwarten würden. Das war sicherlich keine schöne Situation. Dementsprechend hatte Sandro es sich immer sehr beklemmend vorgestellt, hinten im silber-blauen Wagen zu sitzen und nicht zu wissen, was als Nächstes passieren würde.

Aber jetzt musste er feststellen, dass das nicht so war. Der menschliche Geist war ein phänomenales Ding. Oft war es so gewesen, dass Sandro sich eine Situation im Vorhinein in den grausigsten Schwarztönen ausgemalt hatte und dass es dann im Endeffekt ganz anders gekommen war. Aber diesmal? Was sollte man diesmal sagen?

Mit einer seltsam betäubenden Faszination saß er in dem unpersönlichen Fahrzeug und nahm die Eindrücke wahr. Der Geruch nach neuem Auto, die Polizisten, die vor dem Wagen herumliefen und in Funkgeräte sprachen. Sie hatten ihn nicht festgenommen. Nicht direkt. Aber die Tatsache, dass er vor Ort gewesen war, als etwas Komisches passiert war, als schon wieder etwas Komisches passiert war, hatte dafür gereicht, ihn lieber auf der Rückbank des Autos zu wissen.

Tief verborgen - Das Refugium | Thriller x FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt