❈ Epilog ❈

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Tock-tock-tock.

Eifrig klopfte ein Specht mit seinem spitzen Schnabel in fünf Metern Höhe unablässig gegen die rissige Rinde einer Eiche. In Sekundenschnelle bewegte sich der Kopf mit dem roten Tupfen darauf. Der Stamm war mächtig - es würde sicher mindestens sechs Menschen brauchen, um ihn zu umarmen. Doch den Specht störte das nicht. Er klopfte wie ein gefiederter Presslufthammer gegen die Rinde.

Tock-tock-tock.

Der Tag war angenehm und recht windstill. Daher war das Klopfen des Vogels deutlich hörbar. Neben dem Gesang eines Schwarms kleiner Meisen. Dies war der erste Tag, an dem er den Stamm bearbeitete. Irgendetwas an diesem Baum gefiel ihm. Sein Vogelhirn wusste nicht, was es war, aber in seinem Vogelherzen spürte er eine Zuneigung zu diesem Ort. Auf jeden Fall war dieser Baum deutlich heimeliger als die verkohlten Exemplare, die ganz in der Nähe standen. Wie abgebrannte Streichhölzer standen sie da und schauten traurig in den Himmel.

Tock-tock-tock.

Ein leises Rascheln ließ den Vogel aufhorchen. Seine kleinen schwarzen Augen erfassten eine Bewegung in einem Gebüsch, das ein paar Meter von der einladenden Eiche entfernt wucherte. Eigentlich war er so weit oben in Sicherheit vor den allermeisten Angreifern. Doch plötzlich war er beunruhigt.

Der Vogel legte den Kopf schief und wartete eine erneute Regung ab. Eine Weile lang passierte nichts, doch der Specht traute dem Frieden nicht so ganz und hielt die glänzenden Augen weiterhin auf das verdächtige Gebüsch gerichtet. Auf einmal entzündete sich rauschend eine schwarze Flamme. Erfüllt von Panik breitete er seine schwarz-weißen Flügel aus und flatterte davon, dem hellblauen Himmel entgegen.

Der ehemals grüne Busch, der seine unbeschwerte Existenz bis zum heutigen Tag irgendwo tief in den Pyrenäen verbracht hatte, färbte sich immer dunkler. Die Blätter rollten sich erst ein, bevor sie eine bläulich-schwarze Färbung annahmen.

Die Flamme wuchs, ernährte sich von dem Sauerstoff, den es hier reichlich gab und streckte seine Arme nach den umliegenden Gewächsen aus. Schemenhaft erhob sich eine Gestalt daraus. Erst nur ganz klein, der Umriss eines Kopfes, dann die Schultern. Die Gestalt erwuchs aus dem Gebüsch und je größer sie wurde, desto kleiner wurde das entfachte Feuer.

Schließlich stand da die Silhouette eines erwachsenen Mannes von stattlicher Größe. Die breiten Schultern waren eingehüllt von einem dunklen Umhang, der ihm bis zu den Knöcheln reichte. Lange Haare flossen vom Scheitel über die Schultern bis fast zur Taille des riesenhaften Mannes. Im Gegensatz zu seiner Kleidung waren sie schlohweiß. Das Gesicht hingegen, das nun immer besser erkennbar wurde, sah fast jugendlich aus. Es gehörte keinem alten Mann.

Allmählich wurde alles an ihm immer besser erkennbar. Die Augen waren tiefblau, aber unvergleichlich. Sie waren nicht so blau wie der Ozean oder wie eine Kornblume. Das passte alles nicht. Denn sie waren tiefer als jedes Gewässer. Strahlender als jede Blume. Der Mann strich sich eine Strähne hinters Ohr und sah sich um, als würde er den Wald zum ersten Mal erblicken. Es war in der Tat schon länger her, seitdem er zuletzt hier gewesen war.

Er trat aus dem abgebrannten Gebüsch heraus und sah an der Eiche hoch, in die kurz zuvor ein Specht geklopft hatte. Dann ließ er seine Hand in die Tasche seines Umhangs gleiten und holte einen kleinen Gegenstand hervor. Es war ein Würfel aus Glas. Verträumt betrachtete ihn einen Moment, ehe er ihn unter der Eiche platzierte. Dann trat er einen Schritt zurück und begann damit, seine Energie darauf zu fokussieren.

Tief verborgen - Das Refugium | Thriller x FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt