✴︎ Kapitel 15 ✴︎

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Er hatte erwartet, dass ein silber-blauer Schutzwall vor den Toren von Siltingen ihn begrüßen würde. Nichts. Er hatte spätestens hinter der ersten Biegung damit gerechnet, in den Lauf einer Waffe zu blicken und aufgefordert zu werden, den Motor auszuschalten und mit erhobenen Händen auszusteigen. Auch nichts. Und je weiter René in die Kleinstadt hinein fuhr, desto größer wurde sein Misstrauen. Nein, es beruhigte ihn nicht, dass hier alles seinen gewohnten Gang zu gehen schien. Die Ruhe vor dem Sturm, ging es ihm immer wieder durch den Kopf.

„Sag mir Bescheid, wenn du die Frau siehst", erinnerte er Sandro. Der war vor guten zehn Minuten neben ihm auf dem Beifahrersitz eingenickt. Es war auch nicht anders zu erwarten gewesen. Wie René auch hatte der Junge kein Auge zugemacht. Der Lehrer hatte das Telefonat gestern in Teilen mitbekommen. Es tat ihm leid für Sandro. Auch wenn er selbst wegen dem Jungen nun wahrscheinlich ganz tief in der Tinte stecken würde. Viel Hoffnung, die Reporterin zu finden und dann auch noch hilfreiche Fotos von ihr zu erhalten, hatte er nicht.

Es war 8:10 Uhr und relativ ruhig auf der Straße. Die meisten Kinder waren in der Schule, viele Leute schon in der Arbeit. Und die ominöse Frau mit der Kamera? Wenn es stimmte, dass sie Reporterin war, dann würde sie sich bestimmt hier aufhalten. Schließlich war das, was sich im Herzen von Siltingen zugetragen hatte, eine Berichterstattung vom Allerfeinsten.

Andererseits hatten sie dieses Thema komplett aus den Nachrichten gestrichen. Auch auf der Fahrt hierher zurück hatte René das Radio laufen lassen, doch es war kein einziges Wort mehr davon erwähnt worden. Wenn das Interesse an dem Fall derart abgeebbt war, dann würde sich der Aufwand für die blonde Reporterin doch überhaupt nicht mehr lohnen. Dann würde sie sich doch sicher schon vom Acker gemacht haben. Andererseits glaubte der Lehrer nicht daran, dass es am Interesse lag. Er hatte viel eher das Gefühl, dass es sich um pure Absicht handelte. Aus irgendeiner Ecke würde irgendwann irgendwer hervorgesprungen kommen, da war er sich absolut sicher.

René sah zu Sandro, der mit müden Augen die Straße absuchte. Sie befanden sich nun unweit der Schule in einer Parallelstraße nahe des Stadtrandes. Von hier aus war es nicht weit bis zu der Straße, auf der René B.s Karriere als Fluchtwagenfahrer begonnen hatte. Von hier aus war es nicht weit bis zur Schule. Auf einmal rief Sandro: „Da!"

Unsanft trat René auf die Bremse, sodass der Wagen ruckte.

„Wo ist sie?", fragte er.

„Nicht die blonde Frau. Aber da vorne ist Anela!", sagte Sandro. Tatsächlich, da lief sie mit der Tasche über der Schulter, die bunten Haare wehten hinter ihr her.

„Die sollte doch in der Schule sein, um diese Zeit", murmelte René.

„Fahren Sie bitte rechts ran", bat Sandro.

„Was willst du denn mit Anela? Wir verlieren wertvolle Zeit. Was, wenn uns jemand erkennt und die Polizei ruft?", gab René ihm zu denken.

„Bitte, es ist wichtig. Ich muss sie etwas fragen", erwiderte Sandro nachdrücklich. René gab nach.

„Also gut. Ich warte hier. Ich muss dir wohl nicht sagen, dass du dich beeilen sollst ...?"

Ohne ein weiteres Wort sprang Sandro aus dem Wagen und lief zu dem Mädchen mit den violetten Haaren.


***


Die Tür zum Büro von Jens Casper stand einen Spalt breit offen und so konnte Dominik alles mithören, was dieser gerade am Telefon besprach. Unauffällig sah Kämper sich im Gang um, ob ihn jemand beim Lauschen stören würde. Das war nicht der Fall, also konzentrierte er sich auf die Stimme seines Kollegen, der sich in privater Zweisamkeit mit seinem Hörer wähnte.

Tief verborgen - Das Refugium | Thriller x FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt