✴︎ Kapitel 22 ✴︎

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Erschöpft sank Andor auf dem Boden zusammen. Georgina hatte es schon kommen sehen und versuchte, ihn abzustützen. Der große Mann zog sie schließlich alle beide auf die festgetretene Erde hinab. Einen Moment lang war ihr Angst und Bange, sie verfluchte sich selbst dafür, dieses wahnsinnige Projekt vorangetrieben zu haben und sie verfluchte Andor dafür, seinen verdammten Dickschädel durchgesetzt zu haben.

„Alles ... in Ordnung?", fragte sie zögerlich und sehr bemüht, die nagende Sorge in ihrer Stimme zu verbergen.

„Ja ... ich ... ich denke, es hat funktioniert", brachte er schwer atmend heraus und schaute seine Lebensgefährtin durch den Schleier an dunklen Haaren hindurch an. Sie waren ihm ins Gesicht gefallen und klebten nun an seiner verschwitzten Stirn. Sein Körper war heiß, als habe er die glühende Hitze der leuchtenden Kugel in sich aufgenommen. Aber es ging ihm ansonsten offenbar gut. Ein Lächeln breitete sich auf beider Gesichter aus. Wie tausend kleine Marienkäfer, die durch ihren Körper krabbelten und flogen, verteilte sich die Freude und der Hauch des Glücks in ihr. Doch sie zügelte sich, denn aus Erfahrung wusste sie, dass es kaum etwas Schlimmeres gab als enttäuschte Vorfreude.

„Bist du dir sicher?", hakte sie deshalb nach. Andor nickte.

„Absolut sicher. Stell dir vor - ich bin in den Raum der Unendlichkeit eingedrungen. Er war genauso, wie in dem Buch beschrieben ... Diese Farben, das hättest du sehen sollen. Georgina, verstehst du? Ich ... bin auf Morgans Spuren gewandelt, wenn du es so ausdrücken willst. Ich bin seinen Weg gegangen und ... ich glaube, ich habe sein Kraftfeld angegriffen", schloss er.

Georgina war sprachlos. Sie hatte mit einem Scheitern gerechnet. Sie hatte aber gleichermaßen mit einem Erfolg gerechnet. Fünfzig zu fünfzig. Aber die Möglichkeit, dass Andor Morgan mit seiner Energie derart angreifen könnte, war ihr als unmöglich vorgekommen. Ihre Freude wurde noch mehr verstärkt, bis die unbarmherzige Erkenntnis eine tiefe Schneise in ihre Leichtigkeit grub.

„Kann er Rückschlüsse darauf ziehen, dass du es warst?", fragte sie. Nervosität schwang in ihrer Stimme mit wie der Klang einer schlecht gestimmten Gitarre.

„Ganz ehrlich - das weiß ich nicht. Und es ist mir im Moment auch gleich. Georgina! Freu dich doch! Das, was wir erreicht haben, ist der Wahnsinn!", frohlockte Andor und rüttelte sie sanft an der Schulter. In seinen dunkelblauen Augen sah sie keine Angst und keine Sorge vor Morgans möglichen Vergeltungsschlägen gegen sie beide. Nur Stolz über das, was ihm gelungen war. Nur Georgina konnte sich nicht mehr mit dieser Freude anstecken lassen.

„Aber wir haben dadurch vielleicht andere in Gefahr gebracht. Denk an meine Schwester. Ich habe keine Ahnung, wo sie gerade ist. Was, wenn er sie in seine Fänge bekommen hat? Oder unsere Tochter. Sie ist so selbstständig, sie lässt sich von uns nicht vorschreiben, dass sie zuhause bleiben soll, weil es dort sicherer ist. Sie hat absolut keine Angst vor Morgan", sagte Georgina beunruhigt.

„Das weiß ich und wir haben uns wirklich gut vorbereitet, im Rahmen unserer Möglichkeiten. Auf alles kann man nie gewappnet sein. Hab Vertrauen in Anela, das Mädchen weiß, was es tut. Wenn sie eines von ihrer Mutter hat, dann ist es das Selbstbewusstsein", entgegnete Andor und zwinkerte ihr zu. Georgina stieß ihn mit dem Ellbogen an.

„Alter Charmeur", seufzte sie.

Andor wandte seinen Körper ihr zu und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Er schaute Georgina an, aber nicht, um ihre Gedanken zu lesen. Das war gerade nicht nötig. Sanft drückte er seine Lippen auf ihre. Der Moment gehörte ihnen beiden, zwei Kämpfer, die eine Schlacht gewonnen hatten. Eine Schlacht gegen ein übermächtiges Heer.


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Tief verborgen - Das Refugium | Thriller x FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt