Es war kalt. Die Dunkelheit erstickte das Licht des Mondes, dass durch die großen Bogenfenster fiel und tauchte die kühlen Backsteinwände in ein frostiges Blau. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwamm die Szene, wechselte auf einen kleinen Hügel draußen und zeigte flimmernd einen unebenen und verschneiten Grabstein, um den sich die Dornen weißer Rosen rankten. Dann war wieder das Innere des Gebäudes zu sehen.
Scorpius' Atem war in der Kälte sichtbar. Seine Brust hob und senkte sich schnell und das Rauschen seines Blutes drang ihm in die Ohren. Hätte er die Wahl gehabt, dann wäre er auf der Stelle erstarrt, hätte das Ende dieses Albtraumes, der ihm nur allzu bekannte war, dort abgewartet. Die Finsternis machte ihm keine Angst und der Frost ließ ihn nicht einmal Zittern. Es war die Furcht in seinem Inneren, die ihn lähmte.
Seine Füße bewegten sich wie von selbst, als schwebte der Gang ihm einfach entgegen, als käme die Tür auf der anderen Seite aus eigenem Willen auf ihn zu und sein Herz pochte, schlug, hämmerte gegen seine Rippen, als wolle es deren Käfig entkommen und ohne seinen Verstand fliehen.
Ein heftiger Knall zerriss die Stille und die Tür schlug gegen die Wand, offenbarte den Raum dahinter und die große Person in der dunklen Kutte, die Kapuze so tief hinunter gezogen, dass man das Gesicht nur durch einen Schatten erkennen konnte. Scorpius konnte seine Augen nicht sehen aber er wusste, dass sein emotionsloser Blick auf ihm ruhte.
Die Frau in den Armen der Gestalt drehte den Kopf in seine Richtung. Die dunklen Haare fielen in sanften Wellen über ihren Rücken und der Träger ihres bodenlangen, schwarzen Kleides war hinunter gerutscht und offenbarte eine blasse Schulter. Reue spiegelte sich in ihren braunen Augen. Sie sah aus, wie ein verwundetes Einhorn. Wunderschön und traurig, so voller Schmerz.
»Scorpius«, sagte der Mann in der Kutte. Seine Stimme hallte leise und dunkel von den Wänden wieder, glitt über die kalten Steine, ließ die Umgebung gefrieren. Kalt, rau, zischend, wie eine sich windende Schlange. »Mein Sohn.«
Dann zog er einen Zauberstab unter seiner Kutte hervor, schlang die dürren, weißen Finger darum und richtete ihn genau auf die Brust der Frau, ohne den Blick von Scorpius zu wenden, der Innerlich um die Kontrolle rang.
Er wollte schreien, er wollte zu ihr rennen, sie aus den Armen dieser Bestie reißen und die Wärme ihrer Nähe spüren. Aber er konnte sich nicht bewegen. Er konnte nichts sagen und nur das Hämmern seines Herzens durchbrach die Stille. Und dann hielt er die Luft an.
»Avada Kedavra!«, rief der Mann und ein grüner Lichtblitz erhellte den Gang, während Scorpius nach Luft schnappte. Astoria Malfoy fiel zu Boden und die Finsternis verschlang ihn, noch bevor er die Hand nach ihr ausstrecken konnte.
Er rang zitternd nach Luft, als er sich in seinem Bett aufsetzte, die Augen weit aufgerissen, mit wild pochendem Herzen und kaltem Schweiß auf der Haut. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich orientieren konnte, bis er die Steinwände des Schlafsaals und die grünen Vorhänge erkannte, die die Betten schmückten, die bis auf seines und das genau ihm gegenüber vollkommen leer waren.
Jonathan sah ihn an, als sei ihm plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen. Er war so erstarrt, das er nichteinmal zu bemerken schien, wie der Schokofrosch in seiner Hand sich aus seinem Griff befreite, über seinen Kopf hinweg hüpfte und genau hinter ihm an die Wand klatschte, wo er langsam hinunter rutschte und eine Spur aus Schokolade hinter sich her zog.
,,Äh...Alles klar?", fragte sein Mitschüler unsicher und klang, als wolle er es eigentlich überhaupt nicht so genau wissen.
,,Ja", sagte Scorpius knapp, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und versuchte, sich einzig und allein auf seinen Atem zu konzentrieren, was bei dem plötzlichen Geraschel, das Jonathan veranstaltete gar nicht so einfach war.
,,Hey, willst...Du auch einen?", fragte er dann und hielt die Verpackung eines weiteren Schokofrosches hoch. ,,Hab gehört, das soll helfen. Bei...Schlechter Laune oder...Was auch immer bei dir abgeht."
,,Wie spät ist es?", fragte Scorpius nur, schlug die Decke beiseite und setzte sich an den Bettrand, den Blick auf den Boden gerichtet. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht seine Schuluniform auszuziehen, als er sich in sein Bett hatte fallen lassen und kurz danach sofort eingeschlafen war und jetzt bereute er es. Er war so verschwitzt, dass er sie ohnehin würde wechseln müssen.
,,Keine Ahnung aber die anderen sind beim Abendessen. Albus war hier aber du hast geschlafen, also ist er wieder gegangen. Soll ich ihm bescheid sagen?"
,,Nein", sagte Scorpius schnell und ignorierte seine zittrigen Beine, als er sich langsam von seinem Bett erhob. Albus hatte seinetwegen schon genug Probleme, da musste er ihm nicht auch noch mit diesen lästigen Albträumen auf die Nerven gehen. Viel lieber hätte er mit ihm darüber gesprochen, was am Morgen zwischen ihnen passiert war, bevor Jonathan sie unterbrochen hatte aber nach der Sache im Raum der Wünsche und seinem Verdacht, was dieses Notizbuch anbetraf, hatte er vermutlich ohnehin andere Dinge im Kopf...
Scorpius verwarf die Gedanken, schlüpfte in seine Schuhe und kramte einen Moment lang in seinem Koffer nach frischen Klamotten und einem Handtuch, bevor er sich auf den Weg zu den Duschen machte.
,,Hey! Könnt ihr mir später endlich mit diesen Schokofröschen helfen?!", rief Jonathan ihm nach. ,,Ich habe seit drei Tagen nichts anderes gegessen und ich habe noch eine ganze Kofferladung! Mann, bitte! Ihr könnt auch-"
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und er ignorierte gekonnt Jonathans dumpfe Stimme dahinter, als er die wenigen Stufen zum Gemeinschaftsraum hinunter eilte, zwei Erstklässlerinnen passierte, die sich die Quidditch Aushänge am Brett ansahen und die Wendeltreppe hinauf stieg, die zum Ausgang führte.
Die Bilder aus dem Traum verfolgten ihn selbst draußen auf dem Gang. Das schmerzerfüllte Gesicht seiner Mutter, die kalte, schneidende Stimme des Monsters, das sie in den Armen hielt, der grüne Lichtblitz...Es war nicht das erste Mal, dass er davon träumte. Seit dem Tod seiner Mutter schien dieser Traum ihn zu verfolgen wie ein lästiger Klatscher, der einfach nicht von ihm ablassen wollte und je gestresster er war, desto wahrscheinlicher war die Möglichkeit, dass er ihn unsaft aus dem Schlaf riss und ihn völlig ausgelaugt zurück ließ.
Meistens passierte es, wenn er über die Ferien Zuhause war. Wenn er den Platz seiner Mutter am Esstisch genau vor sich sah, wenn er die Weihnachtsdekoration im Wohnzimmer anbrachte so, wie sie es immer getan hatte, wenn er im Sommer draußen vor dem Anwesen saß und lernte und darauf wartete, das sie sich zu ihm auf den Rasen setzte, durch seine Haare streichelte und ihm sagte wie stolz sie darauf war, dass er so klug war und wie sie ihm dann erzählte, in welchen Fächern sie Schwierigkeiten gehabt hatte und wer ihre Lieblingslehrer gewesen waren...
Da war wieder dieser stechende Schmerz in seiner Brust. Es war etwas, dass niemals aufhören würde aber dieser Traum hatte ihn nie bis nach Hogwarts verfolgt. Hier konnte er sich selbst belügen, indem er sich einredete, sie sei niemals fort gewesen und wartete Zuhause mit seinem Vater bloß darauf, dass das Schuljahr zuende war und sie alle drei die Ferien gemeinsam genießen konnten. Wieso also funktionierte seine Strategie nicht mehr? Wieso fühlte er sich so niedergeschlagen und kaputt?
Vor Albus und den Lehrern, die ihn darauf angesprochen hatten, hatte er stets behauptet es läge nur an den bevorstehenden Prüfungen und dem Quidditch Training aber da war noch etwas anderes und er konnte einfach nicht erklären, was es war. Vielleicht musste er es nur durchstehen.
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Give Me A Reason - HP Scorbus FF
FanficAlbus Potter und Scorpius Malfoy treten ihr fünftes Jahr in Hogwarts an und eine Achterbahn der Gefühle beginnt. * ::Textausschnitt:: Erneut spürte er, wie seine Augen brannten und zwang sich, unberührt in den Kamin zu starren aber er wusste, dass...