6 - [Es Gibt Keinen Grund]

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Der Mond schien schon hoch am Himmel, als ich am alten Lagerplatz ankam. Sechs Gebäude standen dort, aber nur eine Tür war nicht verschlossen.

Tief atmete ich noch mal ein und betrat dann die dunkle Halle, in der haufenweise Kisten standen. Anders hatte ich mir diesen Ort kein bisschen vorgestellt. Genau wie gedacht, besaß es eine Art von modrigen Geruch, den man sonst nur in einem alten Keller roch.

Schmerz durchzog meine Beine, je länger ich auf dieser unebenen Stelle stehen blieb. Ich wollte mich einfach auf eine der Kisten setzten, aber da spürte ich schon etwas an meinen Hinterkopf. Ich schluckte, aber wirklich Angst verspürte ich dabei nicht.

"Wie heißt du?" Fragte mich eine weibliche Stimme. Sie klang kühl und unbeeindruckt von der Situation. Wenn sie all ihre Klienten so begrüßte, war es auch kein Wunder, dass niemand je ihr Gesicht gesehen hatte. "Estelle Montoya."

Sie nahm den Gegenstand von meinen Kopf weg und ich konnte ihre Schritte durch das Lager schallen hören. "Ich habe von dir gehört, dein Name ist ganz groß in den Medien gewesen." Sagte sie, aber entfernte sich ihre Stimme immer weiter. Wie eine Art Geist, redete sie in der Dunkelheit aus allen Ecken mit mir. Wollte sie mir Kopfschmerzen bereiten?

"Ach wirklich?" Natürlich musste mein Name in den Medien gewesen sein, wie hätten sonst alle von meinen Unfall erfahren? Ich traute mich einfach nicht den Fernseher anzumachen und eventuell irgendwelche Bilder vom Unfallort zu sehen.

,,Natürlich. Jeder der etwas gegen Howard Thorne hat, benutzt deine Geschichte um zu rechtfertigen, warum sie ihn hinter Gittern sehen wollen." Ihr Lachen klang so unehrlich, trotzdem war es etwas beruhigend zu wissen, dass sie mich nicht bemitleidete. Mitleid hatte ich nicht verdient.

"Also, wie soll ich ihn töten?" Erklang ihre Stimme plötzlich vor mir. Zwischen den Schatten zweier Kisten stand sie, in vollkommen schwarzer Kleidung. Unter ihrer Kaputze konnte ich nur ihre blutroten Lippen erkennen, die mir foch langsam den Atem raubten.

"Eigentlich" Wollte ich sie korrigieren, doch überrannten die Schmerzen mich schlussendlich und ließen mich auf den Boden zusammensacken.

Ich musste ihre Augen nicht sehen um zu wissen, dass sie mich als erbärmlich ansah. Ich konnte es ihr nicht mal verübeln. Vor dem Unfall wären solche langen Strecken nichts für mich gewesen, aber nun konnten meine eigenen Beine mich nicht einmal mehr halten. Ich hasste diesen Körper!

"Bitte erlöse mich von diesem Leben." Ihre Lippen zitterten in Verwirrung auf und ab. Auch das konnte ich ihr nicht verübeln. "Warum bringst du dich nicht selbst um?" Sie kniete sich zu mir, aus ihrer Kaputze fielen ihre schwarzen Haare, aber konnte ich um ihren Hals auch eine Kette erkennen. "Weil ich ein Feigling bin."

Vor Unglauben begann sie zu lachen. Ob sie mir meine Worte nun glaubte oder nicht, ich traute mich wirklich nicht. Sie sollte mein Schicksal übernehmen, so wie Thorne das von meiner Familie übernommen hatte.

Vielleicht war das, dass selbstsüchtigste was ich überhaupt hätte tun können. Mir wurde die Chance auf ein zweites Leben geschenkt und ich wollte es einfach beenden, aber mit diesen Gewissen wollte ich nicht leben. Ich besaß seit meiner Geburt nicht einmal einen Grund, warum das Leben für mich hätte wertvoll sein sollen.

Für mich gab es nur die Schule, dann die Ausbildung und nun meine Arbeit, von der ich sowieso bald gefeuert werden würde. Ich besaß niemanden in meinen Leben, für den ich wichtig genug war.

"Du könntest Rache an Thorne ausüben." Erklärte sie mir völlig perplext, aber ich hatte mich schon entschieden. Ohne einen Funken Zweifel in meinen Augen, hoffte ich darauf, dass sie diesen auch sah. Ich brauchte nicht von etwas überzeugt zu werden, was mich nicht von meinen Schuldgefühlen befreit hätte.

"Ich bezahle dir gutes Geld." "Ja, das dreckige Geld von Thorne." Mir war nicht bewusst gewesen, dass eine Auftragskillerin sowas wie Moral besitzen konnte. Als hätte Thorne ihr selbst etwas angetan.

Ich hasste mich selbst dafür, dass ihre Ablehnung mich zum wimmern brachte. Sie sollte nur meinen Schmerzen ein Ende bereiten und mich nicht noch mit meiner Entscheidung foltern.

"Warum spielt das eine Rolle?" Schluchzte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. "Weil es offensichtlich nicht deine Zeit zum Sterben ist. Wenn dich das Universum tot gesehen haben wollte, dann wärst du wie alle anderen auch gestorben." Zischte sie mir entgegen. Angewidert klang sie, von meiner fehlenden Selbstachtung.

,,Ich hatte nur Glück..." Ich wusste, dass es kein Glück war. Wenn Dad nicht aus reflex versucht hätte, den Wagen in eine andere Richtung zu lenken, dann wäre ich mit ihnen gestorben.

,,Du wirst deine Meinung nicht ändern, oder?" Ihre Stimme klang plötzlich so zart und einfühlsam. Sie traf mich wie die sanften Regentropfen eines Sommervormittags.

Dieser Klang war das erste, dass mich in Sehnsucht Lächeln ließ. Es war, als hätte ich etwas wiedergefunden, dass ich nicht einmal gesucht hatte.

Hoffnung durchfuhr meinen Körper, als ich langsam meinen Kopf schüttelte. Sie seufzte, aber es hörte sich nicht angestrengt an.

Sie kniete sich zu mir nieder und nahm mein Kinn zwischen ihre Finger. Ein Schauer überkam mich. "Ich bestimme die Zeit, und ich bestimme den Ort. Dein Leben gehört mir." Schnell nickte ich.

Sie ließ von mir ab und stellte sich schnell auf. Man konnte ihr ansehen, dass der Abend nicht so verlaufen war, wie sie gedacht hatte. Ihre Lippen presste sie aufeinander.

"Wir werden uns wiedersehen." Sagte sie zur Verabschiedung und wollte auf die Tür zulaufen, aber ich konnte sie noch nicht gehen lassen. Eine Sache wollte ich noch wissen. "Wie ist dein Name?" Rief ich ihr hinterher und tatsächlich blieb sie stehen. Trotzdem konnte ich meinen Blick nur auf ihren Rücken legen.

"Man nennt mich H." Seufzte sie.
,,Nein, ich meine deinen richtigen Namen. Du kennst meinen, ich finde es nur fair, wenn ich deinen auch kennen würde." Aber sie schwieg. "Du bringst mich doch sowieso bald um, also warum die Geheimnistuerei?"

Über ihre Schulter sah sie zu mir. Ich fragte nur nach ihren Namen, trotzdem verriet sie mir mehr. Sie drehte sich zu mir um und nahm ihre Kaputze ab.

Ihr schwarzes Haar ging ihr bis zu ihrer Brust, während sich ihre braunen - in der Dunkelheit fast schwarzen Augen, in meinen Körper bohrten.

,,Harlow." Wisperte sie, aber hörte ich ihn so klar, wie Vogelgezwitscher am Morgen.

Till Death Do Us Apart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt