35 - [Der Absturz]

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Mit Gewalt schlug der Wind auf die Branntschutztür ein, die zwischen uns und Thorne lag.

Ich konnte seinen Tod schon förmlich auf meinen Lippen spüren. Hatte sich so Harlow gefühlt, bevor sie die Leiche des Mörders ihrer Mutter fand?

Es war auf eine Weise angsteinflößend, aber stand diese Furcht nicht im Vordergrund. Sie wirkte unwichtig im Gegensatz zu meinem Vorhaben.

Das Skalpell lag fest in meiner Hand, auch wenn ich es nicht benutzt hätte. Harlow hätte ihn aus einer sicheren Distanz erschossen.

"Und du bist dir sicher, Estelle?" Hörte ich ihre Stimme fragen, als sie ein neues Magazin in die Schusswaffe legte. Ihre Frage fühlte sich schon fast beleidigend an. Ich war mir sicher, dass ich nicht seelenruhig hier warten wollte, während sie ihn eine Kugel durch den Kopf jagte. "Du kannst mich nicht von etwas anderem überzeugen." Sie grinste. "Habe ich auch nicht versucht."

Es wurde ruhiger und als der Wind nicht mehr auf die Tür einschlug, öffnete Harlow diese.

"Was zur?" Schrie Thorne. Schweißgeband sah er zu Harlow, bevor sein Blick zu mir glitt. Ein Mann stellte sich vor ihm, er war der selbe, den ich im Krankenhaus zum ersten Mal gesehen hatte.

Thrones Blick wechselte immer wieder zwischen Harlow, den gelandeten Helikopter und mir.

Ich fühlte mich wie eine Wahnsinnige, aber genoss ich seinen Anblick. Mir gefiel seine durch Angst gebleichte Haut. Ich mochte es seine zitternden Lippen zu sehen. Und mir gefiel es besonders, wie er sich selbst vergessen hatte. Seine einstudierte Fassade war vollkommen eingestürzt.

"Sie sollten die Waffe wirklich runter nehmen." Versuchte er entspannt zu sagen, aber hörte man das brechen seiner Stimme. Mit einem Lächeln trat ich aus dem Türrahmen und stellte mich zu Harlow. "Warum sollte sie das tun?"

Ich wollte ihm beweisen, dass jede einzelne seiner beschissenen Aktionen auch Konsequenzen hatte.

Er zögerte mit einer Antwort. "Haben Sie nie damit gerechnet, dass sie selbst zum Opfer werden könnten? Das Sie einsam, allein und erbärmlich enden würden?"

Howard Thorne war sprachlos. Dieser Mann saß auf Barren von Gold. Selbst mit all sein Geld hätte er nie damit gerechnet, dass er jemals an etwas anderen außer an Alterschwäche sterben würde.

"Wissen Sie überhaupt die Namen meiner Eltern, meines Bruders?" Tränen begann sich in meinen Augen zu füllen. Meine Fingernägel kratzten sich in die Haut meiner gekreuzten Arme.

"Miss Montoya," Begann er. Jede Faser meines Körpers sträubte sich dagegen seine Stimme zu hören, wie er meinen Namen aussprechen. "Was Ihrer Familie passiert ist, ist wirklich eine Tragödie, aber mein Tod wird sie nicht zurückbringen. Es ist also vergebens."

Er lächelte mich mit offenen Armen an. Es war sein verzweifelter Versuch mich von etwas anderem zu überzeugen. "Sie sind nicht derjenige, der das zu entscheiden hat."

Sein Lächeln versteinerte, aber sah er auch nicht panisch aus. Etwas stimmte nicht. "Schieß." Wisperte ich Harlow zu.

Aber noch bevor Thorne von der Kugel getroffen werden konnte, schubste er seinen Bodyguard in die Schusslinie und sprang auf den Helikopter.

"Nein!" Wimmerte ich, während ich dem jungen Mann dabei zusah, wie er verzweifelt nach Luft ringte und versuchte die Wunde vom ausbluten abzuhalten.

Die Rotorblätter drehten sich, es fühlte sich wie ein kleiner Mini Tornado an, der uns nach hinten drückte.

Mein Körper brach durch den starken Windzug in Harlows Arme zusammen, die einfach nur ihre Waffe aus einer sicheren Entfernung von mir weg hielt.

Gezwungen war ich mit anzusehen, wie Thorne mir einfach sein dreckiges Lächeln zeigte. Das war nicht fair. Ich hätte so überlegen Grinsen sollen, bei seinem Anblick.

Wie konnte es sein, dass er mir nun einfach durch die Finger rutschte? Das war doch nicht fair! Er sollte seine Strafe bekommen.

Ich hasste es, wie meine brennenden Augen mir Killian zeigte, wie er wieder davon anfing zu reden, dass er ein Richter war. Ich wollte in diesem Moment auch richten, Thorne hinrichten.

Meine Finger schnappten nach der Waffe von Harlow. "Estelle." Sagte sie meinen Namen als ein Versuch mich aufzuhalten, aber ich ließ mich nicht davon abkommen lassen.

Nacheinander drückte ich immer wieder den Abzug, bis ich endlich etwas - jemanden traf.

Glas fiel zersplittert zu Boden, genau wie bei meinem Autounfall. All das Glas hinterließ Narben auf meiner Haut, von denen mich Harlow lehrte zu akzeptieren.

Dennoch ließ das kaputte Glas meinen Körper kurz erstarren, bis ich realisierte, wen ich überhaupt traf. Es war der Pilot.

Unkontrolliert schwang der Helikopter zur Seite, rote Lichter leuchteten auf und Thorne konnte ich verzweifelt fluchen hören, bevor alles auf den Boden aufschlug.

"Heilige scheiße." Lachte Harlow begeistert, als wir uns über die Steinmauer des Daches lehnten und den Helikopter dabei zusahen, wie er auf freier Straße Feuer fing.

"Bist du nun glücklich?" Wisperte sie mir mit einem Lächeln ins Ohr, aber etwas stimmte nicht. Wir waren in New York, aber trotzdem war die Straße vollkommen leer, nicht einmal Leute liefen auf dem Gehwegen.

Zudem waren die Gebäude hier die letzten die ich sah, bevor das grelle Licht von Thornes Wagen auf uns zufuhr.

"Harlow," Lachte ich vor absoluter Sprachlosigkeit. "Hier war der Autounfall." Genau wie ich schien auch sie das gerade zu verarbeiten. Immer wieder sah sie zu mir und dann nach unten. In zwischen standen schon einige Zivilisten unten und machten Bilder anstelle zu helfen.

"Ich schätze, Thorne hat wohl endlich all das schlechte Karme bekommen, welches er über die Jahre angesammelt hat."

Das war mehr als nur Karma, zumindest wollte ich das glauben. Mir gefiel die Vorstellung, dass jedes bisschen Macht, dass dieses Universum besaß, Howard Thorne etwas heimzahlen wollte.

Bei dem Absturz hatte er sich zweifellos mehrere Knochen gebrochen. Seine Rippen hatten sich wahrscheinlich in seine Lunge gebohrt, die sich mit Blut füllte, bevor er von den Flammen verschluckt wurde.

Nie hätte ich geglaubt, dass mich ein Tod so glücklich machen konnte. Ich wusste gar nicht, wie ich meine Freunde überhaupt ausdrücken konnte, außer Harlow zu küssen.

Meine Finger fuhren ihre Wangenknochen entlang, während meine Lippen ihre Wärme aufnahmen. Ihre Arme legten sich um meine Taille und zogen mich näher an sie.

Nur ungern löste ich meine Lippen von ihren, aber sah sie noch einmal mit einem Lächeln nach unten.

"Wir sollten gehen, bevor uns die Polizei mit all den Leichen entdeckt." Meinte sie, aber konnte ich nur daran denken, wie wir vom Tod umgeben waren und trotzdem noch zusammen waren.

Es fühlte sich an, als hätte nicht einmal der Tod uns trennen können - uns scheiden können.

"Gehen wir."

Till Death Do Us Apart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt