12 - [Die Stimme Der Neugier]

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Wie viel Uhr es wohl war? Die Nacht schien noch im vollen Gange zu sein. Killian war fort und Harlow konnte ich auch nirgends ausfindig machen. Ich hatte meine Augen doch nur für einige Minuten geschlossen. So ein Mist!

Ich fühlte mich so falsch hier. Hier gehörte ich nicht her. Sie sollte mich töten und nicht mich in ihren Luxus zurücklassen!

Unwohlsein durchzog meinen ganzen Körper und ließ mich doch tatsächlich in Angst zurück. Meine Arme waren vor meiner Brust verschränkte, als ich mich von der Couch erhob - ohne zu realisieren, dass auf mir eine Decke lang, die nun den Boden zierte.

Schnell legte ich sie zusammen, um dieses schlechte Gefühl loszuwerden, welches mich in Schuld ertränken wollte. Ah, wie dumm konnte man eigentlich sein? Warum fühlte ich mich schuldig, weil ich geschlafen hatte?

Vielleicht weil dieses mal, sich nicht der Unfall vor meinen geistigen Augen abspielte. Vielleicht weil ich dieses Mal nicht ihre Schreie hörte. Und vielleicht weil dieses mal, jemand an meiner Seite war. Eine mir fremde Silhouette, die einfach nur bei mir war.

Wie von selbst lief mein Körper auf die Wendeltreppe zu. Wenn ich mir den dunklen Himmel ansah, dann fühlte ich mich, als wenn er meinen Namen rufen würde und mir sagt, dass ich zu ihm kommen sollte.

Ich musste einfach weg von den Fenstern. Schritte für Schritt setzte ich behutsam auf die Stufen. Es war dunkel und zwischen den Stufen war nichts - so fühlte es sich auch an; als würde ich ihn Nichts fallen.

Mein beiden Hände umgriffen fest das Geländer. Ich brauchte den Halt, das Gefühl von Schwerkraft. Das, wenn ich abrutschen würde, nicht ins Nichts fallen würde.

Es klang wie eine banale Kinderangst, von denen mir die Kinder erzählen würden, wann immer wir die Treppe runterliefen, um die Pause beim Spielplatz zu verbringen.

Aber ich hatte es geschafft. Meine Brust hob und sank unkontrolliert, als ich mich auf den kühlen Boden legte. Meine Welt war am drehen, als wenn ich auf Drogen gewesen wäre.

Aber ewig konnte ich auch nicht auf dem Boden liegen bleiben. Leicht taumelnd lief auch die Wand zu. Soweit weg von dem Geländer, über das ich hätte fallen können.

Mein Körper trug sich an der Wand vorbei, bis ich aber etwas hartes an meiner Hüfte spürte. Au! Beschwerte ich mich wütend in meinen Gedanken und hielt mir eine Hand auf meinen schmerzenden Knochen, während meine andere Hand den Gegenstand ertastete. Eine Türklinke.

Ich hätte nicht einfach durch Harlows Apartment gehen sollen, aber andererseits, warum war ich sonst hier oben?

Ich öffnete die - zu meiner Überraschung - nicht verschlossen Tür und suchte an der Wand einen Lichtschalter, der direkt neben den Rahmen war.

Meine Augen schmerzten und für einen kurzen Moment fühlte es sich an, als würde ich erblinden. Schwarze Punkte zierten meine Sicht, bis ich endlich den Raum erkennen konnte: Kisten über Kisten und eingestaubte Regale.

Jetzt hätten meine Schuldgefühle mich anschrein müssen, aber fühlte ich nichts, als ich mich auf eine der Kisten zubewegte und sie öffnete.

Stofftiere befanden sich ganz oben. Einige waren teilweise schon so alt gewesen, dass die Nähte aufplatzten und der Stoff herausfiel. Anderen fehlten nur diese typischen schwarzen Knopfaugen.

Unter ihnen befanden sich aber noch etwas: Bilder. Sie alle waren sorgfältig in Rahmen gesperrt, damit sie erst gar nicht beschädigt werden konnten.

Ein kleines Mädchen mit schwarzen Haaren und braunen Augen lächelte mich an. Ohne Zweifel war das Harlow. Nur wirkte dieses kleine Mädchen vollkommen unbeschwert. Ihre Augen wirkten so lebendig, während sich in Harlows nun all das Leid spiegelten, welches sie verursacht hatte. Ihre Augen strahlten noch immer, aber nicht so wie die von dem Mädchen.

Vorsichtig stellte ich es auf dem Boden und nahm ein zweites heraus. Ein Schulbild. Sie war schon deutlich älter, als auf den ersten. Vielleicht zwölf. Ihre Haare waren zu zwei Zöpfen gebunden, die perfekt zu ihren frechen Lächeln passte.

Es waren so viel Bilder, aber auf jeden war sie allein. Allein auf dem Spielplatz. Allein auf der Couch. Allein in einen Kinderzimmer. Allein vor dem Weinachtsbaum. Allein, allein, allein. Als hätte sie nie jemanden an ihrer Seite gehabt.

Je älter sie wurde, umso deutlicher wurde es, dass sie ihr strahlen verlor. Sie lächelte immer seltener und die Abstände zwischen den Bildern wurden immer größer, bis man nur noch ihre Schulbilder sehen konnte und dann waren da keine mehr...

Das einzige was noch in der Kiste war, war ein Tagebuch. Die Farbe war leicht sonnengebleicht, aber in einer ordentlichen Handschrift stand in schwarz Harlow Clayton auf dem Einband.

Es war schäbig von mir, dass ich alle Geheimnisse wissen wollte, die in diesem kleinen Buch verschlossen waren. Aber war ich das nicht auch? Schäbig, ein schlechter Mensch?

Ich wollte das Buch aufschlagen, dabei vergaß ich aber das Metallschloss welches es geschlossen hielt. Meine Augen glitten zurück in die Kiste, aber auch da war kein Schlüssel.

Ich hätte mich schämen sollen, als mein Körper sich um seine eigene Achse drehte und nach dem Schlüssel ausschau hielt. Ich hätte mich auch schämen sollen, als meine Augen ein kleines Leuchten wahrnahm, welches das Licht der Lampe reflektierte.

Nervös griff ich nach einem Stuhl, der zusammen mit anderen hinter der Tür stand und schleifte ihn zum Regal, welches mit haufenweise Büchern vollgestopft war.

Das gesamte Regal war voll davon. Aber die Bücher schienen wohl als Staubfänger zu dienen. Völlig unberührt waren sie. Es hätte mich nicht gewundert, wenn es irgendwelche limitierten Erstauflagen oder Sammlerstücke gewesen wären.

Meine Hände griffen nach einem Brett, sofort konnte ich den Staub unter meinen Fingernägel spüren, als ich mich auf den Stuhl stellte.

Ich besaß keine Höhenangst, aber nun fühlte ich mich, als wäre ich wieder auf der Treppe gewesen. Ich wollte nicht loslassen und auch meinen Kopf nicht heben, aber schrie die aufdringliche Stimme meiner Neugier mich an und hielt mir schon fast eine motivierende Rede, dass ich hochschauen sollte.

Aber sofort als ich meinen Kopf hob und mein Körper Kerzengrade auf den Stuhl stellte, wollte ich meine Hand heben und nach dem Gegenstand greifen, der so geleuchtet hatte.

Nur leider war mir nicht bewusst gewesen, wie wackelig der Stuhl doch war.

Till Death Do Us Apart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt