26 - [Die Phase Der Akzeptanz]

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Als ich meine Augen öffnete, hatte ich recht; Harlow war wieder verschwunden. Wenn sie doch wenigstens anfangen würde mir einen Zettel zu hinterlassen. Es war zwar schon zu einer Routine geworden, aber wünschte ich mir trotzdem, dass ich, wenn ich aufwachte, Harlow in ihre blauen Augen sehen könnte.

Mich am frühen Morgen an sie kuscheln könnte. Ihre Finger in meinen Haaren spüren könnte. Ich würde gerne ihre Stimme hören, die mir all die süßen Sachen der Welt entgegen flüstern würde. Ich stellte mir ihre Hände vor, die unter die Decke wandern und meine in ihre nehmen würden.

Ich sehnte mich einfach nur nach ihrer Anwesenheit.

Ich stieg aus dem Bett und erwartete einen höllischen Schmerz, der sich normalerweise durch meine Wirbelsäule gezogen hätte, aber da war nichts.

Ein kleines Lächeln machte sich auf meinen Lippen breit. Die Schmerzen hörten auf, Harlow wollte mit Killian reden und mein Appetit kam langsam wieder, wie ich hungrig feststellte.

Es war ein komisches Gefühl. Innerlich fühlte ich immer noch diese Leere, aber sie fühlte sich mittlerweile wie ein Normalzustand an, an den ich mich langsam gewöhnte.

Das war wohl die Phase der Akzeptanz, von der alle sprachen; in der sich nichts änderte, aber man lernte damit umzugehen - es wohl langsam zu akzeptieren.

Schnell schüttelte ich meinen Kopf, ich wollte nicht zu sehr darüber nachdenken, sonst hätte ich vielleicht wieder bei Null beginnen müssen.

Aber als ich die Zimmertür öffnete und dieses riesige Apartment sah, welches vollkommen leblos war, fühlte ich mich einsam.

Ich war vollkommen alleine hier, oder zumindest dachte ich das. Die Scharniere einer Tür quietschten leise auf. Das wäre eigentlich mein Zeichen gewesen um wegzurennen, aber das war das Zimmer gewesen, in welches ich Harlows Tagebuch fand.

Ihr gesamtes Leben befand sich in diesen Raum, auch wenn sie alles daran setzte, um diesem zu entkommen. Niemand sollte es betreten, auch ich nicht. Also keine Ahnung, weshalb ich mich ausgerechnet darauf zubewegte.

"Hat ja lange gedauert." Beschwerte sich diese erdrückende Stimme genervt. Keine von Harlows Kisten wurden auch nur angerührt, stattdessen lag der Inhalt meiner Tasche über den gesamten Boden verstreut.

"Wenn Harlow mir anfängt Grenzen zu setzten, dann werde ich diese auch sicherlich einhalten." Lachte er mir sarkastisch entgegen.

Panisch lief ich einige Schritte zurück, aber drückte mein Rücken nur an eine weitere Tür, die direkt gegenüber von dem Zimmer war.

"Was machst du hier?" Fragte ich ganz heiser. "Und warum durchsuchst du meine Sachen?" Tief zog er die Luft ein und hielt etwas in seiner Hand, was ich aber nicht ausmachen konnte.

Sein Körper lehnte sich an den Türrahmen, während seine Augen auf mich herab starrten. "Estelle, Estelle, Estelle..." Schüttelte er seinen Kopf. Mit jeden weiteren mal bei dem er meinen Namen sagte, klang seine Stimme nur aggressiver. "Warum musst du Harlow eigentlich nur scheiße in den Kopf setzten." Sie hatte mit ihm geredet, aber konnte es noch nicht so lange her gewesen sein. In der Nacht als sie verschwand, vielleicht am Morgen?

"Weißt du, ich mochte dich echt." Ließ er mich wissen, aber glaubte ich ihn kein Wort. Ich zweifelte sogar, dass er mich überhaupt als Mensch sah. Wahrscheinlich war ich nur eine Puppe für ihn gewesen, weshalb hätte er es sonst für nötig empfunden, mir mitzuteilen, dass er nackt schlief? Er wollte mit mir spielen.

"Aber du bringst die natürliche Ordnung zwischen mir und Harlow durcheinander." Mir und Harlow, Killian setzte sich selbst an erster Stelle. Es ging ihn nie um ihre 'Freundschaft', sondern nur darum, dass er sie kontrollieren konnte.

Harlow, ich, sowie wahrscheinlich jeder andere auch, bedeuteten ihm nichts. Wir waren Objekt, Spielfiguren auf seinem Schachfeld.

"Und ich möchte diese natürliche Ordnung wieder herstellen." Mit einem Grinsen kam er auf mich zu, seine eine Hand drückte gegen die Tür und schnitt mir den Weg zur Treppen ab. "Du musst nur mit mir kommen."

Sprachlos sah ich ihn an. Er konnte doch nicht wirklich erwarten, dass ich tatsächlich freiwillig mit ihm gegangen wäre. "Und warum sollte ich das tun?" Kam es einfach so aus mir gerutscht.

Hinterlist konnte ich in seinen Augen erkennen. Warum fragte ich überhaupt? Es war doch klar gewesen, dass er irgendein Druckmittel hatte.

"Aber Estelle," Flehte seine Stimme mitleidig. "Es wäre doch eine Schande, wenn den Kindern irgendetwas passieren würde." Seine frei Hand wedelte mit der Karte vor meinem Gesicht herum, welche die Kinder für mich bastelten, als ich im Krankenhaus lag.

"Ich meine, stell dir doch mal vor, irgendwer würde irgendwas in ihr Essen mischen." Zuckte er mit den Schultern, aber konnte er seine gehässige Lache nicht zurückhalten. "Du bist ein Monster." Kaum brachte ich einen Ton heraus, der nicht in Verzweiflung unterging.

"Glaub mir, meine Mutter hat schlimmere Dinge zu mir gesagt." Vorher war es nur eine Theorie gewesen, nun war ich mir aber sicher, dass Killian seine Eltern umgebracht hatte. Und er zeigte nicht einmal ein Fünkchen von Reue. Es wirkte eher so, als würde er diesen Moment immer wieder vor seinen geistigen Auge abspielen und das Leid genießen.

"Habe ich denn eine andere Wahl." Seufzte ich. "Ach was redest du denn da, du hast immer eine Wahl." Versicherte er mir mit ausgestreckten Armen, wie bei einer Umarmung, in der man sich am liebsten hätte fallen lassen würde. "Nur wird diese Wahl ein Haufen Kindern potentiell das Leben kosten." Er lächelte, wie ein kleiner Junge, der das Geschenk seiner Träume zu Weinachten bekommen hatte.

"Ist das alles nur ein Spiel für dich, Killian?" Er antwortete mir nicht darauf, legte stattdessen nur seinen Kopf schräg und sah mich mit weit geöffneten Augen an. "Aber natürlich nicht." Entgegnete er mir mit Enthusiasmus, bevor er nur angestrengt seufzte. "Wenn ich ein Spiel spielen würde, dann würde doch die Chance bestehen, dass ich verlieren könnte."

Er verlor nie, dass wollte er mir sagen. Ich war keine Schachfigur auf seinem Spielfeld. Von Anfang an manipulierte er schon die Regeln, aber wann entschied er sich dazu? Als er mich zum ersten Mal im Krankenhaus sah, oder als ich Harlow kontaktierte?

"Wenn wir das nun geklärt hätten," Sofort griff er nach meiner Schulter. "Ladies First." Und zwang mich die Treppe herunterzulaufen.

Till Death Do Us Apart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt