Kapitel 43

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Da stehen wir nun. Angekommen in der Vergangenheit. Aufgereiht, wie beim Militär, blicken wir hoch und erblicken ... einen hohen Metallzaun.

„Ich dachte, wir gehen an den See", sagt Paul mehr zu sich selbst, als zu uns.

Grinsend antworte ich: „Ja. Da sind wir auch."

Mark reibt sich die Augen. „Ich glaube, ich bin noch besoffener, als ich dachte. Ich sehe gar keinen See." Sein Blick wandert zu dem Rasen, der seine Füße umschlingt.

„Das bist du, Schatz", bestätigt Laura seine Gedanken. „Aber der See ist nicht hier." Sie sieht wieder zum Zaun hoch. „Sondern da drüben." Sie zeigt mit dem Finger durch das Hindernis.

Die meisten Gesichter erstarren, die übrigen lachen.

„Okay. Dann hat man halt einen Zaun drum rum gebaut", sagt David. „Schade. War wohl nichts mit dem See."

„Oh nein, der Zaun war schon immer da. Wir klettern jetzt darüber", sage ich. Jetzt sind es die anderen Gesichter, die lachen.

„Das ist nicht euer Ernst!", protestiert Paul.

„Doch!" Melanie zieht ihre Pumps aus und schmeißt sie über den Zaun.

Celina wirkt noch unsicher. Wahrscheinlich hat sie noch nie im Leben was Verbotenes gemacht. Und in dem Alter damit anzufangen - das wäre doch verrückt!

Schnell schlüpfe auch ich aus meinen Pumps und werfe sie ebenfalls rüber.

„Ihr habt sie doch nicht alle!", meckert Paul wieder. „Da mache ich nicht mit. Wir sind erwachsene Leute, wir können doch nicht einfach so irgendwo einbrechen. Das ist eine Straftat!"

„Ach komm, du Loser!", motzt Sandra ihn an. „Dafür wird man dich sicherlich nicht ins Gefängnis stecken!"

„Ich glaube auch nicht, dass ich da mitmache", sagt Joshua.

Mia schaut Richard an. „Und du?" Richard schüttelt nach kurzem Zögern den Kopf. „Mark?"

„Wenn ich könnt, würd ich, aber schaf es nischt, denke isch.", lallt er, während sein Körper kaum merklich hin und her wippt.

„Damian?"

„Ich weiß ja nicht ...", fängt Damian an, doch ich unterbreche ihn.

„Ach kommt schon Leute! Was ist denn bloß los mit euch? Ja genau, wir sind alle erwachsen. Wir sind keine hohlköpfigen Teenies mehr. Wir sind ernster und verantwortungsvoller geworden, als damals. Wir haben die Schule hinter uns gelassen und haben ernste Berufe. Manche haben sogar Kinder in die Welt gesetzt und tragen auch dafür eine Riesenverantwortung." Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, aber ich lege dann richtig los. „Aber habt ihr nicht auch manchmal das Gefühl, dass ihr in einem Hamsterrad gefangen seid? Habt ihr nicht auch manchmal das Gefühl ausbrechen zu wollen? Versteht mich nicht falsch, auch ich würde mir mein Leben nicht anders wünschen, wenn ich die Wahl hätte, aber habe ich Unrecht, wenn ich sage, dass das Erwachsenenleben echt öde ist!? Habt ihr nicht auch manchmal das Gefühl leblos zu sein? Dass sich nichts verändert? Dass euer Job wirklich nur ein Job ist und euer Zuhause nur ein Zuhause? Ja, das Gute bei euch ist, dass ihr an manchen Wochenenden immer noch ausgeht, nicht so wie ich, aber ist es ausreichend? Wollt ihr denn nicht auch mal wieder nur ein Kind sein? Ohne den Gedanken daran zu verschwenden, wie ihr im Job weiterkommt, oder ob die Bauarbeiter rechtzeitig mit dem Bau eures Hauses fertigwerden? Ohne den ständigen Zeitdruck, der uns immer und immer wieder begleitet und uns das Gefühl gibt nichts richtig auf die Reihe zu bekommen? Habt ihr nicht auch das Gefühl, dass die Zeit rennt, aber trotzdem stehen bleibt? Dass wir älter werden, doch sich nichts verändert? Wollt ihr nicht auch wieder leben? Dieses unglaubliche Gefühl des Adrenalins in sich spüren? Die Freiheit fühlen? So wie früher als Teenie?"

Jess - Strength of FeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt