Die traurige Wahrheit

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Achtung: Hier wird über Selbstverletzung gesprochen

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Achtung: Hier wird über Selbstverletzung gesprochen. Bitte nicht lesen, wenn du dich getriggert fühlen solltest!

Warum denkst du manchmal, dass du weniger wert bist als andere und deswegen weniger Platz auf dieser Welt haben solltest?

Warum macht es dir solche Angst, mal der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein?

Das waren Fragen, die mich schon seit längerem beschäftigten. Wenn ich es mir richtig überlegte, war das ein merkwürdiger Gedanke.

Schließlich war man der Main-Character von seinem eigenen Leben. Niemand würde sich verständlicherweise eine Sitcom anschauen oder ein Buch lesen, wo der Hauptcharakter nur im Hintergrund stand. Es ging doch darum, all die tollen Erlebnisse und Erfahrungen des Hauptcharakteres zu sehen und kennenzulernen.

Warum sollte man sich also im echten Leben in den Hintergrund stellen?

Es war schwierig zu beschreiben, doch mein Leben verlief momentan wie eine Achterbahnfahrt. An einigen Tagen fühlte ich mich gut, glücklich und war auch produktiv.

An anderen wiederum kam es mir so vor, als hätte ich jeden noch so wichtigen Halt verloren und würde nur noch in ein tiefes Loch stürzen. Alles schien aussichtslos und ich hatte das Gefühl, dass es nur noch schlimmer werden konnte.

Gleichzeitig fühlte man sich so hoffnungslos und ich fragte mich, womit ich das verdient hatte. Man glaubte irgendwann, dass man selbst schuld sei an seinen Problemen und konnte nur ans Aufgeben denken. Ich war das Mädchen, das jeden Tag gegen ihre Depressionen kämpfen musste und es niemandem erzählte.

Über solche Charaktere wollte doch niemand ein Buch lesen oder einen Film drehen. Ich hätte der Main-Character meines eigene Lebens sein sollen, doch ich erlaubte es mir nicht, diesen Platz einzunehmen. So war das nun mal, wenn man sich selbst nicht die Wertschätzung gab, die man eigentlich verdient hätte.

***

,,Wie war dein Tag, Schatz?'', wollte meine Mutter von mir wissen, als wir alle zusammen am Abend am Esstisch saßen und unser Abendessen zu uns nahmen.

,,Gut'', antworte ich schlicht und erzählte ihr nicht, wie schwer es mir gefallen war, aufzustehen. Ich erzählte ihr nicht, dass ich vorhin noch heulend vor dem Spiegel gestanden hatte und mich so sehr darüber aufgeregt hatte, warum ich ich sein musste. Dass es mich mehr als getroffen hatte als Selina sauer auf mich war, weil ich noch nicht meinen Teil der Präsentation fertiggemacht hatte.

,,Ach Schatz, warum isst du denn so wenig? Nimm dir doch noch mehr.''

Meine Mutter wollte mehr von der Lasagne auf meinen Teller schaufeln, doch ich ließ sie nicht.

,,Mom, das reicht. ich möchte nicht mehr'', warnte ich sie und zog meinen Teller zu mir.

Ich hatte früher immer gerne gegessen. Besonders das Essen meiner Mutter fand ich super lecker. Doch irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem man begriff, dass man nicht alles essen konnte, was man wollte. Irgendwann schnitt der Bund deiner Hose in dein Fleisch und erinnerte dich daran, dass du zugenommen hattest.

Und wenn du dich dann selbst im Spiegel sahst, wurde es nicht unbedingt besser. Ich konnte es nicht ertragen, zu sehen, wie dick meine Schenkel waren und dieses Pfund zu viel am Bauch anstarren zu müssen, das mich jedes Mal hämisch anlächelte. Ich mochte nicht einmal mein Gesicht, weil ich viel zu blass um die Nase war und diese blöden Sommersprossen hatte, die mir absolut nicht gefielen.

In meinen schlimmsten Momenten, stellte ich mich einfach unter die Dusche und ließ warmes Wasser über mich laufen. Währenddessen ließ ich meinen Tränen freien lauf, weil ich diese so unter dem Wasserstrahl nicht mehr so deutlich wahrnahm. Ich weinte bis meine Augen brannten und dieser unheimlich großer innere Schmerz überdeutlich gegen meine Brust drückte.

Wenn ich mit duschen fertig war, dann griff ich zu meinem kleinen Messer, das ich in meiner Kosmetiktasche versteckt hatte und ritzte mir eine neue Narbe in meine Haut. Ich wusste, dass es falsch war und ich so etwas nicht tun sollte. Doch ich konnte nicht anders, weil ich mich nicht mehr so leer und hilflos fühlen wollte. Selbst mein eigenes rotes Blut machte mir keine Angst. Ich war der Meinung, dass ich diesen körperlichen Schmerz verdiente. Ich war nicht die Tochter oder die Freundin, welche die Menschen um mich herum brauchten.

,,Wie war den dein Tag, Mom?'', versuchte ich vom Thema abzulenken, weil ich vermeiden wollte, dass wir über mich sprachen.

Und ab da begann meine Mutter zu plaudern. Sie erzählte von einer Kollegin, die sich heute ihren Parkplatz absichtlich geschnappt und so getan hatte, als wüsste sie von nichts. Weiter ging es dann mit dem ganzen Papierstapel, den sie heute abarbeiten musste.

Dad erzählte, dass er bald ein neues Auto durch seine Firma bekommen und sich unglaublich auf dieses freuen würde.

Meine Eltern hatten allgemein stets sehr gerne über ihr Leben gesprochen. Doch die eigentliche Frage, wie es ihrer Tochter wirklich ging, wurde nie gestellt. Vermutlich gingen sie bei mir einfach aus, dass alles okay war. Auf die Frage ,,Wie geht es dir?" erwartete eben die Mehrheit ,,Mir geht es gut.'' Es war leichter so zu tun, als wäre bei einem alles in Ordnung. Also ließ ich sie in dem Glauben, dass es so war. Sie sollten sich keine Sorgen um mich machen. Das würde mir nur mein eigenes Herz umso mehr brechen.

Ich lächelte während des ganzen Abendessen und hielt meine Fassade aufrecht. Ich hörte zu, was sie mir erzählten und lachte, wenn es angebracht war, obwohl mir absolut nicht zum Lachen war und das schon seit einer längeren Zeit. Ich aß meinen Teller leer, obwohl ich am liebsten wieder alles ausgespuckt hätte, weil ich auf keinen Fall zunehmen wollte und so meinen eh schon hässlichen Körper umso mehr zerstören würde.

Danach ging ich in Bad und schloss mich ein. Ich ließ wie sonst auch das Wasser über mich prasseln und ließ diese falsche Fassade für einen kurzen Augenblick fallen.

Ich hielt meine eigenen Emotionen nicht zurück, weil mich zum Glück niemand in diesen Zustand sehen würde. Aber ich fühlte mich auch nicht unbedingt besser. Der Schmerz war nach wie vor da und ich allein.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und griff entschlossen zu meiner Kosmetiktasche. Der Schnitt tat weh, doch ich biss auf die Zähne und machte weiter, bis es wirklich brannte und ich das überall auf meiner Haut fühlen konnte.

Wenn das nicht Beweis dafür war, dass Ashley Cooper auf ganzer Linie versagte, dann wusste ich auch nicht.

Band 4 der Living Reihe - Living my best life ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt