Als beide ausgetrunken hatten, machten sie sich auf den Weg nach draußen. Sie benötigten keine Absprache mehr. Eher benahmen sie sich wie ein altes Ehepaar. Wortlos reichte Paddy Marie einen Schieber. Als er seine Jacke angezogen hatte, half er ihr in ihren Mantel.
Auch draußen bedurfte es kein Wort, wenn überhaupt reichte ein Fingerzeig. Das war auch gut so, denn der Wind hatte massiv zugenommen. Eisig wehte er aus Nordost und trieb ihnen sowohl Neuschnee als auch Verwirbelungen vom Boden in die Gesichter. Wie von unzähligen Nadeln getroffen prickelte die Haut und Marie fragte sich, ob der Ofen im Haus noch brannte. Außerdem brauchte sie nachher dringend ein heißes Bad.
Nele taperte leise winselnd hinter ihnen, doch das Wetter hielt sie nicht davon ab, mit Anlauf in eine Schneewehe zu springen. Marie war sich aber nachher nicht sicher, ob sie das wirklich beabsichtigt hatte.
„Alter Schwede! Das ist fucking kalt draußen!", schnaufte Paddy, als er in den Stall trat.
Marie zog die klappernde Tür hinter sich zu. „Das kannst du aber laut sagen! Himmel, Herrgott nochmal!" Dann sah sie entschuldigend zu Paddy. „Oh je. Darf man sowas in Gegenwart eines Ex-Mönches überhaupt sagen?"
„Was? Ich hab nichts gehört."
Er wandte sich Freya zu und tätschelte ihren Hals. „Na kleine Dame", begrüßte er sie liebevoll und sie antwortete auf seine Geste mit einem sanften Nasenstubser und leisem Schnauben.
„Sie mag dich!", stellte Marie fest und freute sich darüber, während sie Futter in die Raufen der einzelnen Boxen füllte. Paddy riss sich von seine neuen Freundin los und schnappte sich die Forke, mit der er das Heu vor den Boxentüren verteilte, so wie er es bei Marie gesehen hatte.
„Viel ist nicht mehr da", berichtete er und Marie nickte. „Ich hoffe, das Wetter morgen lässt es irgendwie zu, dass wir es aus der Scheune herbringen können."
Nachdem Marie die Wasserversorgung gecheckt hatte, machten sie sich auf den Rückweg. Die Schneise, die sie vor einer halben Stunde freigeschippt hatten, war bereits wieder verweht. Mühsam kämpften sie sich zurück zum Haus und auch Nele erweckte den Eindruck, als wollte sie heute nicht mehr vor die Tür.
„Danke, dass du mitgekommen bist", schnaufte Marie durchgefroren, während sie sich den Mantel auszog.
„Solange ich hier bin, lass ich dich nicht alleine dort hinaus!"
„So einen Beschützerinstinkt hätte ich dir gar nicht zugetraut. Und dann noch mir gegenüber. Wir kennen uns doch kaum." „Trotzdem möchte ich nicht, dass dir etwas passiert."
„Das weiß ich sehr zu schätzen." Sie kicherte und nahm noch einen Arm voll Holz mit hoch.
„Lass mich das nehmen", forderte er sie auf, doch sie ignorierte es.
„Wenn du helfen willst, nimm auch noch einen Arm voll mit." Dann war sie bereits oben angekommen und hatte nachgelegt.
Als er sein Holz neben dem Ofen ablegte, war sie schon auf dem Weg ins Badezimmer, von wo aus man kurz darauf das Rauschen des einlaufenden Badewasser vernahm.
„Dem Geräusch entnehme ich, dass du jetzt baden gehst?"
Marie nickte. „Und danach werde ich den Weihnachtsbaum schmücken." „Hast du Bock auf meine Hilfe?", fragte Paddy, während der lässig im Türrahmen lehnte.
„Absolut! Immerhin hätte ich ohne dich nicht mal einen Weihnachtsbaum, den ich schmücken müsste."
„Alles klar, dann werden wir gleich unseren Weihnachtsbaum schmücken", stellte er fest und warf ihr einen Blick zu, dem sie nicht standhalten konnte, sondern verlegen den Kopf abwandte.
Sie räusperte sich. „Dann bis gleich. Fühl dich wie zu Hause." „Unmöglich. Viel zu ordentlich hier." „Zu Hause herrscht kreatives Chaos?"
Er lachte auf. „Ja, sozusagen." „Gut, dann fühle dich bitte nicht wie zu Hause. Aber machs dir bequem."
„Okay. Ich bin dir wirklich dankbar, dass du mich hier aufgenommen hast und ich auch über Weihnachten bleiben darf."
„Kein Problem, ist ja quasi eine win-win-Situation", sagte sie schmunzelnd, dann ging sie ins Bad und schloss die Tür hinter sich.
Als sie sich in das heiße Bad hinabsinken ließ und die wohlige Wärme sie angenehmer als jede Decke umschmiegte, spürte sie, wie die bittere Kälte aus ihren Gliedern wich.
Draußen auf dem Flur hörte sie Paddy gehen. Es war seltsam, dass überhaupt wieder Schritte in Haus zu hören waren. Wenn sie mal Besuch hatte, blieben sie normal nicht über Nacht und so lag sie sonst nicht in der Wanne, während die im Haus waren. Mr. Michael Patrick Kelly rannte durch ihr Haus. Sie konnte es nicht glauben und auch wenn sie es sich noch so oft sagte, es wirkte immer noch nicht real. Aber doch! Sie hatte sein Parfum gerochen, seinen Körpergeruch, hatte seine Arme gefühlt, als er sie getröstet hatte. Und er hatte zweifelsohne mit ihr geflirtet! Sie begann mädchenhaft zu kichern und ließ sich kurz unters Wasser gleiten, doch als sie wieder auftauchte, strahlte sie über das ganze Gesicht, bis sie jäh zusammenzuckte, als Paddy plötzlich an die Tür klopfte.
„Ja? Was ist?", fragte sie vorsichtig und hoffte, dass er nicht hereinkommen würde. Der Schlüssel war schon seit einer Weile verschwunden.
„Ich würde mir gerne einen Tee machen." „Ja, mach ruhig", rief sie erleichtert, bis er eine Weile später zurückkehrte und es erneut pochte.
„Ich habe dir auch einen Becher Tee mitgebracht. Soll ich ihn dir reinbringen? Ich guck auch nicht hin."
„Netter Versuch." „Ey! Ich wollte nur nett sein!"
„Okay, dann stell ihn ihn aufs Waschbecken. Das ist gleich neben der Tür."
Und tatsächlich sah sie kurz darauf einen Arm um die Ecke tasten, der, nachdem er die ebene Oberfläche gefunden hatte, mit einem dampfenden Becher in den Finger selbigen dort abstellte. Und das ohne einmal die Nase um die Ecke zu strecken.
„Danke, du Gentleman!" Marie lachte und holte sich das Getränk, sobald er die Tür wieder geschlossen hatte.
Genüsslich sog sie den Duft ein und verzog das Gesicht. Grüner Tee. Sollte sie ihm sagen, dass sie ihn eigentlich nicht mochte und es nur ein Überbleibsel ihres Vaters war? Nein. Besser nicht. Sie könnte ihn zwar einfach wegschütten, doch das brachte sie nicht übers Herz.
Sie hörte, wie er irgendwo in der Wohnung Gitarre spielte und dazu sang. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Daran könnte sie sich gewöhnen. Von ihr aus müsste er nach Weihnachten nicht wieder abfahren.
Sie pustete über die dampfende Oberfläche und wieder streifte ein Schweif der Erinnerungen ihre Nase. Sie seufzte leise.
Paddy hatte ihr mit dem Tee eine Freude machen wollen. Und so trank sie - auch in Gedenken an ihren Vater - den Becher restlos leer.
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Pappeln im Schnee
FanfictionWinter. Schnee. Viel Schnee. Und zwei Menschen, die einander brauchen.