Marie kam aus dem Wohnzimmer und bückte sich, um in den Ofen zu schauen. „Dürfte nicht mehr allzu lange dauern."
Auch Paddy lief bereits das Wasser im Mund zusammen. „Es duftet auch schon verführerisch!"
Sie stand auf und stand ihm gegenüber. „Du riechst aber auch nicht übel. Wieder das Frauenfangparfum von Maite?"
Paddy nickte und zuckte entschuldigend mit den Schultern, dann blickte er sich um. „Kann ich irgendwas helfen?"
„Ja, holst du bitte noch was zu trinken von unten? Selter, Saft, Cola." „Na klar." „Super, ich geh dann auch mal duschen." Doch kaum hatte sie sich weggedreht, hielt sie inne.
Sie wirkte plötzlich verlegen.
„Kann ich mir etwas von dir zu Weihnachten wünschen?" „Was denn?" „Würdest du mir etwas singen?" „Ja klar. Jetzt gleich oder erst, wenn du unter der Dusche bist?"
„Ha ha. Nein, nachher nach dem Essen. Wenn die Kerzen am Baum brennen." „Was denn? Bei Weihnachtsliedern kommen dir ja so schnell die Tränen."
„Am liebsten was von der Ruah."
Überrascht sah er sie an. „Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Das ist eine schöne Idee."
„Danke. Darf ich dich noch mal küssen?" „Jederzeit!"
Sie biss sich auf die Unterlippe und kam wieder zu ihm zurück.
Glücklich schlang sie die Arme um seine Taille, von wo aus ihre Finger keck unter sein Shirt glitten.
„Du hast eine schöne Vorstellung vom küssen", kicherte er und auch seine Hände wanderten abwärts, bis er innehielt. Schnell realisierte sie, was ihn dazu gebracht hatte und holte das kleine Päckchen aus ihrer Hosentasche.
„Ach ja, das Geschenk."
„Willst du es nicht aufmachen?", fragte er verwundert, aber sie schüttelte den Kopf.
„Nein, gerade eigentlich nicht."
Sie legte es auf die Arbeitsfläche und machte sich auf den Weg ins Bad.
Paddys Augen waren auf das Päckchen geheftet.
Wieso wollte sie nicht hineinsehen, was es war? Interessierte es sie nicht oder wollte sie nicht, dass er sah, was sich darin verbarg?
Langsam trat er näher und nach kurzem Zögern, nahm er es in die Hand.
Es war leicht und kompakt.
Vor den Fenstern fiel immer noch Schnee in dicken Flocken und ein paar Räume weiter rauschte die laufende Dusche.
Vorsichtig schüttelte er es. Es plätscherte nicht. Es schien also kein Parfum zu sein. Aber eigentlich war das Päckchen auch viel zu klein dafür. Es erinnerte von der Form eher an eine Schmuckschatulle. Der würde es doch nicht wagen?
Halt, Paddy! Was dachtest du da eigentlich? Du führst dich auf, wie ein eifersüchtiger Ehemann, dabei kennst du diese Frau erst seit wenigen Tagen! Und nur weil du einmal mit ihr geschlafen hast, hast du noch lange keine Ansprüche zu stellen. Und selbst dann könnte sie nichts dafür, wer ihr was schenkt.
Mühsam versuchte er, seinen Kopf wieder zu beruhigen, als ihm jemand die Hand auf die Schulter legte.
Jäh zuckte er zusammen und ließ das Geschenk auf die Arbeitsfläche fallen, von wo aus es mit einem dumpfen Geräusch weiter auf den Boden fiel. Sein Blick fiel ebenso wie ihrer darauf und er lief unverzüglich feuerrot an.
„Marie, ich, ähm, sorry. Es ist eigentlich nicht meine Art", stammelte er und wagte kaum, sie anzusehen. Hastig hatte er das Päckchen aufgehoben und reichte es ihr schuldbewusst. Als er endlich den Kopf hob, sah er sie lächeln.
„Warum bist du so viel neugieriger als ich, wenn du sagst, dass du sonst nicht so bist?", fragte sie ruhig und musterte ihn.
„Keine Ahnung. Ich hab mich nur gewundert, warum es du es nicht aufmachst, obwohl du den Anschein erweckt hattest, dass du dich freust und ihn ziemlich eindeutig noch magst." „Ich hab nie gesagt, dass ich ihn nicht mehr mag." „Nein, das hast du nicht." Er nickte nachdenklich und räusperte sich. „Ich bin gleich wieder da. Oder brauchst du jetzt Hilfe?" „Nein, ich ruf gleich, wenn es fertig ist." „Danke."
Er ging in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Noch immer schlug sein Herz wie verrückt. Wie dämlich war er? Er schnüffelte doch sonst nicht und sich dann auch noch erwischen lassen...
Er schlug sich die Hand vor die Stirn.
Es war schon vernünftig, dass er seine Nase normal wirklich nicht in die Sachen von anderen Menschen steckte. Er hatte sich total bescheuert verhalten und irgendwie war es ihm sehr unangenehm!
Einige Minuten versank er in seinen Gedanken, als es auf einmal an der Tür klopfte.
„Ja?"
Marie sah ihn freundlich an, als sie die Tür öffnete. „Kann ich reinkommen?" „Natürlich, es ist dein Haus." „Ja, aber im Moment ist es dein Zimmer", stellte sie klar und trat ein. Paddy setzte sich auf und sie nahm neben ihm Platz.
„Ich bin dir nicht böse. Aber nur um es klarzustellen...ich werde nicht in deinen Sachen wühlen, nicht auf dein Handy sehen, wenn es aufleuchtet, weil jemand anruft oder Nachrichten sendet oder irgendwas tun, was in deine Privatsphäre eindringen könnte." „Außer mit mir zu schlafen..." Er zwinkerte.
„Erstens hast du es so gewollt und zweitens war das nicht heimlich und drittens bist du da wohl eher in meine ähm Privatsphäre eingedrungen." „Stimmt. Alles." Er wurde wieder ein wenig lockerer. Ihre unverkrampfte Art machte es ihm leichter, sich wieder zu entspannen. „Und ich muss zugeben, ich kann nicht versprechen, dass ich das nicht nochmal tun würde."
Marie lachte. „Da hab ich auch noch ein Wörtchen mitzureden!" „Natürlich."
Sie warf ihm einen aufreizenden Blick zu, doch dann hielt sie ihre Hand vor seine Nase. „Willst du wissen, was drin ist?"
Sein Blick fiel auf das Geschenk von ihrem Ex. „Ja."
„Auch wenn du weißt, dass es dich rein gar nichts angeht?"
Er zog eine Braue hoch und sein Gesicht wirkte verkniffen. „Ja..."
„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du eifersüchtig bist." Sie knuffte ihn seicht mit dem Ellenbogen, wartete aber auf keine Reaktion. „Tja, dann schauen wir mal rein."
Zum Vorschein kam tatsächlich eine kleine Schmuckschatulle.
Marie atmete tief durch und öffnete sie. „Ein Ring. Er schenkt mir einen Freundschaftsring. Er hat mir noch nie einen Ring geschenkt."
Paddy zog beide Brauen hoch. „Ein Freundschaftsring mit einem Diamanten?" „Das ist doch kein Diamant!"
Aber Paddy tippte mit dem Zeigefinger auf die aufgedruckte Inschrift auf dem Satin im Inneren des hochgeklappten Deckels. „Diamonds are a girls best friend", stand dort geschrieben.
„Wow. Wieso schenkt der mir einen Diamantring?" Verblüfft betrachtete sie den funkelnden Stein.
„Will er dich doch heiraten? Vielleicht hätte er dir heute einen Antrag gemacht, aber dann war ich unerwartet hier." „Der wollte mir keinen Antrag machen. Dafür kenne ich ihn zu gut. Er ist nicht der Typ zum Heiraten." Dann bekam sie große Augen und warf den Ring zurück in die Schachtel und die Schachtel auf den Nachtschrank. „Die Gans!!" Sie sprang auf und raste in die Küche. Als Paddy ebenfalls dort ankam, erwartete ihn ein erleichtertes Gesicht.
„Gerade noch mal gut gegangen! Hast du schon mal so einen Vogel zerlegt?" „Ja, mehrfach. Joelle fand immer, dass das Männersache sei." Dann kam er ins Stocken. „Oh, ist das komisch, wenn ich von ihr rede?" „Nein. Nicht wirklich. Sie hat wie gesagt viele Jahre einen Großteil deines Lebens eingenommen."
Dann drückte sie ihm ein Messer in die Hand. „Dann mach dich mal an die Männerarbeit. Ich werde solange aus dem Fond eine Geflügelsoße zaubern."
Bald darauf saßen sie an dem weihnachtlich eingedeckten Tisch vor Gänsebraten, Klößen, Rot- und Rosenkohl und natürlich einer großen Schüssel Soße.
Auf dem Tisch und am Baum brannten die Kerzen und im Hintergrund lief eine Platte mit Weihnachtsmusik.
„Guck nicht so skeptisch, ich heul nur, wenn ich Weihnachtslieder singe, nicht wenn ich sie höre. Normalerweise. Und ich muss zugeben, dass ich eigentlich immer die Christmas for all in der Weihnachtszeit höre, aber das käme mir gerade etwas merkwürdig vor." „Ja? Okay, vielleicht kann ich den Gedanken verstehen. Aber lass dir gesagt sein, dass ich manchmal die Christmas all year höre." „Weil deine Eltern noch lebten?" „Ja." „Das stelle ich mir auch seltsam vor. Anders seltsam."
Er nickte. „Ja. Aber manchmal tut es gut." „Und manchmal reißt es Wunden auf?" „Ja, manchmal."
Paddy ließ seinen Blick über den Tisch schweifen. Marie hatte nicht nur zwei Teller aufgedeckt sondern fünf. Auf den drei leeren Tellern stand je ein leuchtendes Teelicht.
„Für deine Eltern?" „Ja." „Und?" „Und meinen Bruder."
Er nickte nachdenklich. „Das Foto in dem Zimmer, in dem ich schlafe?" „Ja." Sie sprach so leise, dass er sich nicht sicher war, ob er nachhaken wollte. Er tat es nicht.
Marie räusperte sich. „Du hast gestern ein Tischgebet gesprochen oder?" „Ja, das mache ich eigentlich immer." „Eigentlich?" „Naja, bei McDonalds vielleicht nicht unbedingt."
Beide lachten, doch dann sprach Marie weiter. „Würdest du heute für uns beide was sagen? Das wäre irgendwie schön und ich bin mir sicher, dass du das deutlich besser kannst als ich." „Ja, das würde ich sehr gerne."
Sie gaben sich eine Hand und tatsächlich fiel es Paddy nicht schwer, die passenden Worte zu finden. Marie fand es festlich und angemessen, bis er zu den letzten Worten kam. „...außerdem danke ich dafür, dass mich diese wunderschöne junge Frau vor dem Erfrierungstod bewahrt hat und mir ein Obdach gibt. Amen." „Amen", schloss sie sich an, doch dann verdrehte sie die Augen. „Den letzten Satz hättest du dir verkneifen können! Das hast du nur gesagt, um mich verlegen zu machen!"
Er kicherte ertappt und füllte ihr ein ordentliches Stück Filetfleisch auf den Teller. „Warum sollte ich?"
Sie dachte nach. „Das frage ich mich auch. Vielleicht findest du das lustig?" „Ja, das mit Sicherheit."
„Guten Appetit. Ich hoffe, es schmeckt dir!", wünschte Marie, als beide ihre Teller gefüllt hatten.
„Danke, dir auch einen guten Appetit."
Nach dem ersten Bissen schloss Paddy die Augen. „Marie, das schmeckt unglaublich!" „Unglaublich gut oder unglaublich schlecht?", fragte Marie, ahnte aber beim Anblick seines Gesichts, wie die Antwort ausfallen würde.
„Awesome!" „Danke!", freute sich Marie, während er eifrig weiter aß.
„Und ich hab immer gedacht, Joelle könnte gut kochen", murmelte er mehr an sich gerichtet als an Marie, doch sie hatte jedes Wort verstanden.
„Bitte, du kannst von ihr reden, aber vergleiche mich nicht mit Joelle! Sie war deine Frau, deine Auserwählte. Ich...ich bin nur...ach was auch immer." „Du bist Marie und ich finde, du bist ein wunderbarer Mensch." „Danke."
Ja, was war sie für ihn? Und was wollte sie für ihn sein? Ja, sicher, sie hatte sich inzwischen eingestanden, dass sie sich in ihn verguckt hatte. Aber wollte sie die Freundin eines Popstars sein? Eines Musikers? Ja, sofort, aber musste der denn unbedingt im Rampenlicht stehen? Auf roten Teppichen laufen, überall erkannt werden? Aber zum Glück musste sie sich darüber nicht ernsthaft Gedanken machen. Es war ein Weihnachtsabenteuer. Ein wunderbares, einmaliges und mit Sicherheit unvergessliches Weihnachtsabenteuer!
„Alles okay bei dir?", fragte er nach einer Weile, aber sie nickte. „Alles bestens."
Sie wirkte nachdenklich. Unschlüssig, als würde sie etwas abwägen. Ob ihr bewusst war, wie sehr man in ihrem Gesicht lesen konnte? Worüber sie nur nachdachte? War es unverschämt, sie die ganze Zeit zu beobachten? Sie schien es gar nicht zu bemerken. Doch, jetzt hatte sie aufgesehen.
„Was denkst du gerade?", fragte sie neugierig und er ärgerte sich, dass er diese Frage nicht zuerst gestellt hatte.
„Ich frage mich, ob du ja sagen würdest."
Marie verschluckte sich, kam aber schnell wieder zu Atem. „Also die Frage kommt etwas überraschend, aber zunächst käme es wohl darauf an, ob du auf die Knie gehst."
Herausfordernd sah sie zu, wie er es nun war, der sich verschluckte.
„Ich meinte deinen Ex. Diesen Flo. Falls der Diamantring wirklich nur der Vorgeschmack ist." Während er sprach, stocherte er in seinem Essen herum und zerlegte einen der Kartoffelklöße in so kleine Stücke, dass die Bezeichnung Kartoffelpüree es eher getroffen hätte. Doch Marie hatte es gar nicht bemerkt. Nachdenklich sah sie aus dem Fenster in die dunkle Nacht und nur der sich auftürmende Schnee auf dem Fenstersims und das Pfeifen des Windes ließen erahnen, dass das Wetter weiter anhielt.
„Ich weiß es nicht. Ich gehe auch nicht davon aus, dass er das machen würde. Warum sollte er?" „Meinst du, der verschenkt serienmäßig Diamantringe zu Weihnachten? Und wie lange läuft das jetzt? 15 Jahre?" „17", korrigierte sie ihn und blickte ihn endlich an.
„Ja, da läuft lange etwas, aber das muss nichts heißen. Ich hatte mal eine Freundin, die zehn Jahre mit ihrem Freund fest zusammen war. Dann haben sie geheiratet. Wenige Wochen nach der Hochzeit hat er zugegeben, sich in eine andere verliebt zu haben. Und ich hab welche in der Verwandtschaft, die nach zwei Wochen durchgebrannt sind und jetzt seit Jahrzehnten verheiratet sind. Die Zeit, die man sich kennt, muss nicht immer etwas heißen. Es muss passen. Sicher ist es gut, wenn man in etwa weiß, wen man da vor sich hat, aber manche stellen erst nach 20 Jahren fest, dass sie mit einem Serienkiller verheiratet sind. Es gibt einfach nie eine Garantie."
Paddy dachte einen Moment lang nach, bis er schließlich bedächtig nickte.
Marie beobachtete ihn, während sie sich noch ein wenig Soße nahm.
„Möchtest du noch ein Glas Wein?", fragte Paddy und er schenkte nach, als sie nickte.
„Du kanntest Joelle auch schon lange, oder?"
„Ich hab schon für sie geschwärmt, als ich noch ein frischer Teenie war. Zusammen waren wir aber erst, nachdem ich aus dem Kloster zurück war. Ich kannte sie lange. Ich hätte nie erwartet, was dann passiert ist. Ja, es stimmt schon. Die Zeit gibt keine Garantie."
„Vielleicht ist das doch ein wenig zu trübsinnig für ein fröhliches Fest. Wie sieht es mit Nachtisch aus?" „Dafür bin ich immer zu haben."
„Mousse au chocolat. Allerdings nur selbst angerührt." „Super. Mein Kochniveau. Das hast du gemacht, damit ich mich nicht weiter schlecht fühle." „Du hast mich durchschaut."
Sie zwinkerte und holte zwei Schälchen aus dem Kühlschrank.
„Du verwöhnst mich", stellte er erfreut fest.
„Du darfst dich gerne revanchieren." „Ich kann den Tisch abräumen."
„Das wäre zumindest ein Anfang. Ich werde gleich noch mal mit Nele raus. Zum Stall."
Marie leerte ihre Schale und stand auf, doch ehe sie sich versah, stand Paddy vor ihr.
„Du gehst nicht ohne mich." „Hast du immer so einen Beschützerinstinkt?" „Nein. Nur wenn eine reale Gefahr droht. Vulkanausbruch, Tsunami, Schneekatastrophen und Ähnliches."
Sein Blick fixierte sie. Wie schaffte er das nur immer wieder?
Ihre Augen waren weiter fest auf seine geheftet, als sie seine Hand an ihrer Taille spürte. Sie spürte seine Dominanz in jedem seiner Finger und doch hatte er gezeigt, wie viel Sensibilität in seiner Seele steckte.
Sie konnte nicht anders. Sie hob ihren Kopf noch ein wenig und erfüllte seinen unausgesprochenen Wunsch. Seine Lippen fühlten sich so gut an...
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Pappeln im Schnee
FanfictionWinter. Schnee. Viel Schnee. Und zwei Menschen, die einander brauchen.