2. Feuer

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Eine wohlige Wärme empfing sie am Kopf der Treppe und sie sah, wie er sich gleich entspannte und sich aus der körperoberflächenminimierenden Haltung in eine aufrechte streckte.
„Mein Gott, du hast nicht zu viel versprochen! Was für ein herrlicher Kontrast zu draußen!" „Oh ja! Komm in die Küche. Tee?" „Nichts wäre besser!" „Nein? Auch kein Bier oder - was hab ich denn noch hier - ah ja, Schnaps, Saft, einen Roten?" Sie wühlte in ihrem Weidenkorb.
„Ich weiß nicht, ob ich jetzt Alkohol trinken sollte", überlegte er laut und sie kicherte. „Meinst du, du sollst heute noch fahren?" „Äh, vermutlich nicht."
Doch Maries Lächeln verschwand auf einmal, als ihr bewusst wurde, was sie da eigentlich gerade gesagt hatte. Sie zog die Brauen zusammen. „Das heißt, du müsstest hier übernachten!" Sie kratzte sich nachdenklich mit einem Finger am Kinn, nahm den Roten aus dem Korb und schenkte sie selbst einen ein.
„Ja, möglicherweise. Alternativen sind ja nicht so richtig vorhanden oder sah das nur bei dem Schnee so aus?" „Nein." Sie schüttete sich das Gläschen in den Rachen und schluckte. „Das stimmt so. Der nächste Nachbar ist rund drei bis vier Kilometer entfernt."
„Was ist ein ‚Roter'?" „Beerenschnaps. Heute Waldbeeren. Trinken, nein, tranken meine Eltern gerne. Süß und lecker. Möchtest du?" „ Ja, sehr gern. Aber den Tee würde ich auch nehmen, wenn das nicht zu unverschämt ist." „Nein, das geht schon in Ordnung. Ingwer?" „Ja, genau."
Sie begann frischen Ingwer in ein doppelwandiges Glas zu reiben und nahm den pfeifenden Kessel vom Herd, um das Wasser darüber zu gießen. Sie spürte, dass er sie von der Seite beobachtete.
„Was ist?", fragte sie, während sie einen Topf auf den Herd stellte und etwas im Schrank suchte.
„Du kennst mich", wiederholte er seine Feststellung von eben. „Womit habe ich es zu tun? Ähm also mit wem?"
Endlich hatte sie die Suppennudeln gefunden und drehte sich zu ihm um. Er hielt seine Teetasse mit beiden Händen umklammert und pustete über die dampfende Oberfläche, während er ihre Reaktion beobachtete, die darin bestand, sich wieder zurückzudrehen und einfach weiter um das Essen zu kümmern, während sie antwortete.
„Du hast es mit einem Fan von dir zu tun, ja, aber gemäßigt möchte ich meinen. Ich mag deine Musik, deine Konzerte sind super. Ich war auf drei iD Konzerten letztes Jahr, vielleicht auch vier. Zwei davon kostenlos. Ich geb kein Geld für Merch aus, kauf mir keine Special Boxen, interessiere mich nicht besonders fürs Internet oder Social Media. Aber deine Musik höre ich sehr viel."
„Okay. Selfies?"
„Kannste behalten. Ich glaube, das kann mein Handy gar nicht."
„Kann das nicht jedes Smartphone?"
„Ja."
„Du hast kein Smartphone?!"
„Nein, aber ich hab Hühner."
„Tauben wären vermutlich nützlicher", schmunzelte er.
„Hey, Sms kann es schon!"
Plötzlich zückte er sein Handy. „Das will ich sehen. Gib mir mal deine Nummer."
„Nice try, my dear. Reicht doch, dass du weißt, wo ich wohne. Du kannst mir sonst ja einen Brief schreiben. Vielleicht findet deine Brieftaube mich ja. Moment, da gabs doch mal ein Lied mit einer Taube!"
„Ja...Apropos wo du wohnst. Das ist ein großes Haus für jemanden alleine."
Sie schnippelte ein bisschen Gemüse und zuckte mit den Achseln. „Ich bin ja nicht alleine."
„Nicht? Ich dachte, hier wohnt sonst keiner. Hast du einen Freund, der sonst viel Zeit hier verbringt?"
Aber b„Nein, keinen Freund. Aber ich habe Nele. Und ich bekomme auch gerne Besuch von Freunden. Jule z.B. wohnt gar nicht so weit weg. Etwa 20 Minuten mit Auto gen Westen. Sie wollte eventuell zu Silvester vorbeikommen. Bin gleich wieder da."
Sie flitzte kurz nach unten und holte einen Kochtopf herauf, an dessen eiskalter Außenseite sich die Zimmerluft absetzte. Der Topf wurde zu dem anderen auf den Herd gestellt." „Du kochst auf Feuer, obwohl du auch einen normalen Herd hast", stellte Paddy überrascht fest, nachdem er sich unterdessen umgesehen hatte, und sie nickte.
„Ja. Holz hab ich zu genüge. Das spart Strom. Außerdem ist man unabhängiger. Und im Winter schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Raum hier ist groß, weil wir eine Wand rausgenommen haben, damit wir direkt zum Frühstück auf die Terrasse können. Da ist es gut, wenn man auf alternative Heizmethoden zurückgreifen kann. Meine  Eltern haben diese Küchenhexe erst vor wenigen Jahren einbauen lassen. Und wenn sie an ist, ist es naheliegend auch hier zu kochen. Im Sommer wird's zu warm, da nehme ich in der Regel den Induktionsherd."
Er nickte verständig.
„Wo ist denn hier ein Klo?" „Warte, ich zeige es dir."
Sie führte ihn durch einen schmalen Flur und öffnete die entsprechende Tür. „Ich hab jetzt nicht mit Besuch gerechnet. Es ist etwas chaotisch, aber vom Prinzip her sauber. Oh..." Sie machte einen Satz nach vorne und sammelte rasch die Unterwäsche ein, die vom Duschen liegen geblieben war. Doch seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er sie bereits gesehen hatte.
„Sorry." Sie räusperte sich. „Ich guck mal, dass ich dir ein Bett beziehe."
Zunächst warf sie aber das geschnittene Gemüse in die auftauende Brühe und ging dann durch verschiedene Räume. Seit ihr Vater nicht mehr da war, hatte sie noch nicht die Kraft gefunden, hier viel zu verändern. Dadurch wirkte das Haus altbacken und unmodern. Es gab ein sehr kleines Zimmer mit einem Bett, das wurde aber eher als Speisekammer genutzt. Alles, was nicht mehr in die Küche passte, war hier abgestellt worden.
Dann gab es noch drei weitere Zimmer im oberen Stock. Das eine war ihr altes Zimmer, was sie eher als Büro nutzte und das andere war das ehemalige Zimmer ihres Bruders. Ihre Eltern hatten es zuletzt eher als Bibliothek genutzt, doch sie hatte es seit Jahren nicht betreten. Aber sie wusste, dass es immer noch ein Bett darin gab.
Sie holte tief Luft und ging hinein.
Es war ordentlich, nur etwas verstaubt, und zwischen den ganzen Bücherregalen hing ein Bild ihres Bruders.
Seufzend nahm sie das Bettzeug, das eigentlich nicht zu beanstanden und wahrscheinlich sogar unbenutzt war. Sie wechselte es trotzdem, holte noch eine Flasche Wasser und ein Glas und stellte es auf den Nachtschrank.
Dann legte sie noch ein sauberes Handtuch, ein Badelaken und eine Zahnbürste dazu. Zum Glück war sie schon immer ein Freund von Redundanz gewesen.
Als sie die Tür wieder schloss, stand Paddy plötzlich vor ihr.
„Ha! Hast du mich erschreckt." „Sorry, ich hatte nur Licht gesehen und..äh...ja, war neugierig", gab er ertappt zu und sie erwiderte sein Grinsen, während sie die Tür wieder öffnete. „Hier kannst du schlafen. Du bist wahrscheinlich Nobleres gewohnt, aber es ist immer noch besser, als im Auto zu erfrieren, doch er schüttelte den Kopf. „Zum einen ist es super! Wow so viele Bücher!" „Ist nur ein kleiner Bruchteil. Die anderen sind überall verteilt." „Cool. Und zum anderen war ich eine Zeit im Kloster, wie du vielleicht weißt." „Ach ja. Dann bin ich zumindest beruhigt, dass es deinen bescheidenen Ansprüchen genügt." Sie lachte und lachte noch mehr, als er freudig auf die Zahnbürste zeigte. „Mega! Was ein Service."
„Du bist ohne Koffer gekommen, darum dachte ich..." „Ich mag denkende Menschen, vor allem, wenn sie neue Zahnbürsten haben!" „Ich hab nie gesagt, dass sie neu ist."
Er verzog das Gesicht. Marie auch. „War nur ein Scherz. Klar ist sie neu. Du darfst sie auch morgen mitnehmen, damit du nicht meinst, ich würde sie meistbietend auf Ebay versteigern oder so." „Du bist wirklich sehr zuvorkommend." „Kein Problem. Wenn du sonst etwas brauchst, dann sag Bescheid. Ein T-Shirt, irgendwas. Nur mit Unterwäsche kann ich dir nicht wirklich dienen, aber ich schätze, du bist auch nicht scharf darauf, fremde Unterwäsche zu tragen und jetzt beende ich diesen Satz, ich hatte eigentlich nicht vor mich mit dir über deine Unterwäsche zu unterhalten, ich, äh, geh mal besser..." Sie drehte sich um und ging ein Zimmer weiter. 
Er lachte auf und folgte ihr. „Hey Marie, alles gut. Ich trage Unterwäsche und das ist kein Geheimnis. Oh und das ist das Wohnzimmer?" „Genau. Durch das Fenster..." Sie deutete drauf. „Kann man auf die  Damwildkoppel sehen und das Panoramafenster zeigt auf den Garten und die Terrasse und man kann auch den Reitplatz und Pferdekoppeln beobachten. Sie wollte die große Schiebetür öffnen, merkte aber schnell, dass der Schnee sie blockierte, doch ehe sie sie wieder schließen konnte, hörte sie das sehr laute Geräusch brechenden Holzes, gefolgt von aufgeregtem Gackern.

„Nein! Scheiße!" Kraftvoll schloss sie die Tür, rannte in die Küche, schob die Töpfe auf die Warmhalteplatte und raste nach unten. Ein kurzer Pfiff und Nele stand an ihrer Seite, während sie in ihre Sachen schlüpfte und noch mittendrin durch eine Tür hinter der Treppe sprintete, von wo sie mit einem kleinen Eimer zurückkam.
„Was hast du vor?", rief Paddy, der ihr nachgehechtet war.
„Das klang, als wäre ein Ast der Pappel auf den Hühnerstall gefallen. Ich muss nachsehen, ob alles in Ordnung ist!" „Du kannst doch nicht bei dem Wetter jetzt da raus!" „Ich muss!"
Paddy nahm seine klamme Jacke von der Heizung und sprang in seine Stiefel.
„Was tust du?!", fragte sie irritiert, als sie es bemerkte.
„Ich werde dich begleiten! Vielleicht brauchst du Hilfe. Ich werde dich nicht alleine gehen lassen." „Und ich soll am Ende die Schuld daran tragen, dass dir was passiert? Ne danke." „Die trage ich ganz alleine, mach dir keine Sorgen."

Pappeln im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt