13. Abschied

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Misstrauisch sah Marie auf. „Was ist denn los?"
„Ich muss morgen weg. Zumindest, wenn die Wetterlage es zulässt."
Irritiert musterte er ihren Gesichtsausdruck, ihre Lippen bewegten sich.
„Alles okay?" „Ja, ich bete nur gerade für Schneefall und Ostwind." Entschuldigend blickte sie zu ihm hinüber und war deshalb nicht ganz so erschrocken, als er jäh seine Hand in ihren Nacken legte und ihren Mund auf seinen zog.
„Du wirst mir auch fehlen. Es war eine schöne Zeit hier bei dir", seufzte er, nachdem sich ihre Lippen wieder gelöst hatten.
Wow, das klang irgendwie nach einem Abschied für immer...
Marie schluckte.
Aber eigentlich hatte sie es doch von Anfang an gewusst. Trotzdem fühlte es sich jetzt beschissen an.
Sie hatte gleich geahnt, dass sie ihr Herz verlieren würde. Dann hatte sie es gewusst und mehr oder minder billigend in Kauf genommen. Es war einfach zu schön gewesen, sich in diesem Ausnahmezustand treiben zu lassen. Aber nun kam, was kommen musste. Der Abschied. Das Ende.
„Du sagst gar nichts", merkte er nach ein paar Minuten an.
Marie zuckte mit den Achseln. „Was soll ich denn sagen? Dank dir hab ich Weihnachten gefeiert. Ich hatte eine tolle Zeit. Ich bin sehr dankbar, dass wir uns kennengelernt haben. Aber es war klar, dass du irgendwann weiterziehen würdest."
„Ok", erwiderte er und hörte auf, sie zu mustern.
Ok?! Mehr nicht?
Erneut zwang sie sich, der Realität ins Auge zu sehen. Sie zwang sich ein Lächeln auf. Zweifelsohne waren es unvergessliche Tage gewesen.
„So. Wir sind da." Marie kletterte vom Kutschbock und Paddy folgte ihr hinein, wo bereits einige andere froh über die Feiertagsöffnung waren. Marie dagegen war froh, dass sie Paddy dabei hatte, der sich erst einen und bald darauf den anderen Sack auf die Schulter warf und auf die Ladefläche verfrachtete.
Überwiegend schweigend fuhren sie wieder zurück, doch auf der Hälfte des Weges legte Paddy wortlos seine Hand auf ihre, die neben ihr auf dem Polster gelegen hatte. Ohne zu zögern spreizte sie die Finger, so dass er seine mit ihren verschränken konnte. Es fühlte sich so gut an und trotzdem oder gerade deshalb machte es ihr Herz noch schwerer.
„Wann musst du los, wenn du es dir aussuchen kannst?" Ihre Stimme war belegt, auch wenn sie versuchte, es zu überspielen.
„Leider so früh wie möglich. Ich muss weit fahren und ich weiß nicht, wie lange ich brauchen werde."
Sie nickte.
„Marie, ich fahre wirklich nicht gerne. Ich bin gerne in deiner Nähe." „Mach dir keinen Kopf . Ich werde lächeln, wenn du vom Hof fährst." „Wirst du das?" „Ja", antwortete sie leise.
„Wieso?" „Weil ich es mir geschworen habe." Sie sah ihn nicht an und schmiegte sich auch nicht an, als er den Arm um sie legte.
Als sie kurz darauf, auf dem Hof angekommen waren, versorgten sie endlich die Tiere und gingen nach drinnen, um sich aufzuwärmen. „Ich mach den Ofen an?", hakte Paddy nach und sie nickte, dann ging sie ins Bad und legte sich in die Wanne, ohne ein weiteres Wort. Sie war nicht sauer auf ihn, auch nicht verletzt. Sie war einfach nur unsagbar traurig und ein klitzekleines bisschen sauer auf sich selbst.
Sie ließ das heiße Wasser einlaufen und gab ein wenig Badezusatz hinzu. Melisse. Das war jetzt genau das richtige.
Genüsslich seufzend ließ sie sich in das wohlige Nass gleiten und schloss die Augen.
Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können? Sein Bild tauchte vor ihr auf, wie er sie ansah, diese Augen, dieses Lächeln. Wie hätte sie es nicht so weit kommen lassen können?!
Aber es war ihr von Anfang an klar gewesen, dass er ihr das Herz brechen würde. Sie war bereit gewesen, diesen Preis zu bezahlen. Doch jetzt fühlte es sich an, als hätte sie ihr emotionales Konto maßlos überzogen.
Sie wusch sich und fand immer noch nicht die Kraft, wieder aus der Wanne zu steigen.
Wie paradox! Sollte sie doch sehen, dass sie die verbleibende Zeit möglichst effektiv noch nutzte und Zeit mit ihm verbrachte.
Es klopfte an der Tür.
„Marie?" „Wer denn sonst?"
Er lachte leise.
„Kann ich vielleicht reinkommen?" „Ja."
Langsam öffnete er die Tür und schloss sie rasch hinter sich wieder.
Er nahm auf dem Stuhl neben der Wanne Platz und blickte sie fragend an. „Ist alles okay zwischen uns?"
„Paddy, es gibt kein echtes ‚uns'. Das weisst du so gut wie ich. Du kamst her, ich hab dein Leben gerettet, du hast mein Weihnachten gerettet. Alles gut. Wir sind quitt. Du musst dich zu nichts verpflichtet fühlen."
„So siehst du das?" „So will ich es sehen."
Er nickte bedächtig. „Wir sollten die Zeit nutzen, die uns noch bleibt. Es sei denn, du willst deine Ruhe haben, dann verzieh ich mich mit meiner Gitarre." „Nein. Bitte nicht. Ich komme aus der Wanne." Sie stand auf, während er das Handtuch von der Heizung zog und sie darin einwickelte, seine Arme danach aber nicht wieder lockerte, sondern stattdessen kleine Küsse auf ihrem feuchten Nacken verteilte.
Sofort merkte er, wie sich ihr Atmung änderte.
„Oh. Ganz so doof findest du mich also doch nicht?" „Hab ich doch nie behauptet..." „Ja, aber jetzt, wo ich abreise, wirkt es, als würdest du mir die kalte Schulter zeigen."
Marie drehte sich um und warf ihm einen aufreizenden Blick zu. „Wirkte meine Schulter gerade so kalt?", hauchte sie und er schüttelte den Kopf. „Jetzt gerade nicht."
Sie schob ihre Arme aus dem Handtuch heraus und ließ es dabei achtlos auf den Boden fallen.
Stattdessen schob sie ihre Hände unter Paddys Shirt und ihre Lippen legten sich auf seine, verlangten sehnsüchtig nach seiner Zunge.
„Nein, das ist keine kalte Schulter", schnaufte er, als sie den Kuss unterbrachen.
„Nein. Es ist okay, dass du fährst, aber es ist trotzdem traurig, dass mein Weihnachtsmärchen jetzt bald endet." „Dein Weihnachtsmärchen?" „Ja. Es war schon irgendwie, als hätte dich der Himmel zu mir geschickt."
Sanft nahm er ihr Gesicht in beide Hände, küsste zärtlich ihre Lippen. „Du warst mein Licht am Horizont, mein Lebensretter."
Erneut küsste er sie. „Lass mich dir noch einmal nahekommen, bevor ich wieder los muss."
Seine Hände glitten über ihren nackten Rücken und mit einem kleinen Sprung saß sie auf seinen Hüften, seine Hände umfassten ihren Po, während er sie nach nebenan ins Schlafzimmer trug.

Sie ließen den Abend mit einer großen Kanne Tee vor dem Ofen ausklingen.
„Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder", seufzte Marie, während sie in seinem Arm gekuschelt neben ihm auf dem Sofa saß. Die Tasse hielt sie in ihren Händen und pustete von Zeit zu Zeit über die dampfende Oberfläche.
„Wir sehen uns ganz bestimmt wieder." Er zog sie noch fester in seinen Arm.
„Hast du dein Handy hier?", fragte Marie und nippte endlich an ihrem Tee.
Paddy nickte. „Ja, wieso?" „Du hast mich mal nach meiner Nummer gefragt..." „Und du hast es dir anders überlegt? Warum?" „Weil man in Briefen die Stimme des Absenders nicht hören kann."
Paddy lächelte und gab ihr einen Kuss aufs Haar, dann zückte er sein Handy und tippte. „So, dann schieß mal los."
Sie gab ihm ihre Nummer und hörte kurz darauf ihr altes Handy klingeln. Sie wollte gerade aufstehen, da hielt er sie an der Schulter fest. „Einmal klingeln lassen, damit du auch meine Nummer hast."
Marie grinste und gab ihm einen Kuss. „Danke. Was ist denn, wenn das Wetter morgen nicht mitspielt?" „Dann wird's eng. Ich muss mich mit der Band zusammen auf die Aufnahmen vorbereiten. Wir gehen gleich nächstes Jahr nach London ins Studio. Einige Wochen wird das wohl dauern. Aber ich mag London. Warst du schon mal dort?" „Ja, das ist aber rund 15 Jahre her." „Komm mich doch dort mal besuchen." „Ein verlockendes Angebot, aber ich kann hier nicht weg, wie du dir vorstellen kannst." „Gibt es niemanden, der sich mal um die Tiere kümmern würde?" „Weiß ich nicht. Ja, Flo würde das bestimmt machen. Zumindest solange ich ihm nicht sage, dass ich in der Zeit zu dir fahre." „Und wenn du es ihm nicht sagst?" „Er wird fragen. Ich kann ihn nicht anlügen und ich erwarte von einem Ex-Mönch, dass er mir nicht dazu rät." „Das hatte ich nicht vor."
„Singst du mir noch ein paar Weihnachtslieder?", bat Marie mit einem unwiderstehlichen Augenaufschlag und er griff grinsend neben das Sofa, wo seine Gitarre stand.

„Hey Paddy, wach auf!" Marie rüttelte an seiner Schulter, bis er endlich ein Lebenszeichen von sich gab. „Was ist denn los? Es ist doch noch dunkel draußen!" Er hatte nur einmal kurz ein Auge geöffnet, aber rasch wieder geschlossen.
„Da hinten sind orangene Lichter. Der Winterdienst. Es wird gestreut und geschoben. Du hättest gute Chancen, jetzt durchzukommen, fürchte ich."
Erstaunt richtete er sich auf. „Du bist ja gut!" „Ne, ich war einfach nur im richtigen Moment auf Klo." „Es ist aber nett, dass du mich weckst."
Sie seufzte leise. „Tja. So ist das Leben. Wenn du schon los musst, möchte ich, dass du möglichst gute Fahrbedingungen hast. Das Wetter ist gefährlich genug."
„Ich glaube, du magst mich."
Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ein bisschen." Bevor sie weitersprach, holte sie tief Luft. „Geh duschen, pack deine Sachen. Ich mach dir was zum Frühstück und ein Carepaket. Wenn ich irgendwas von dir in der Wohnung finde, lege ich es auf dein Bett zu deinen Sachen."
„Danke!" Er zog sie an sich und schloss sie fest in seine Arme, verharrte einen Moment und sog ihren Geruch ein, bevor er sie losließ, um sich fertigzumachen.
Schließlich war es soweit und sie standen im Carport vor seinem gepackten Auto.
Marie stand mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt und sah zu, wie er den Kofferraum schloss.
„Ich muss zugeben, ich denke, du wirst mir etwas fehlen", sagte sie und versuchte, es wie einen Scherz klingen zu lassen.
Er ging auf sie zu und nahm sie in die Arme. „Ich weiß, dass ich dich vermissen werde."
Dann gab es einen kaum enden wollenden Abschiedskuss. Marie versuchte, sich zusammenzureißen, doch als sie sich voneinander lösten, schwammen ihre Augen.
Sie versuchte, die Tränen mit den Fingerspitzen wegzuwischen. „Entschuldige bitte. Eigentlich bin ich zu alt für tränenreiche Abschiede." „Man ist nie zu alt für Gefühle."
Noch einmal küssten sie sich, bevor er ins Auto stieg.
Seufzend trocknete sie ihr Gesicht und lächelte ihn an. „Melde dich, wenn du heil angekommen bist!"
Dann öffnete sie ihm das Tor und winkte, bis er nicht mehr zu sehen war.

Pappeln im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt