3. Holz & Eisen

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„Dort steht der Schneeschieber!", erklärte Marie Paddy statt weiter zu diskutieren, schnappte sich selbst die Maglite und nickte ihm zu. „Dann man los!"
Sobald sie die Tür öffnete, drohte eine Schneewehe ins Haus zu kippen, doch Paddy hatte den Schieber parat und machte einen Weg frei.
„Du musst deine Hühner sehr lieben", murmelte er kopfschüttelnd.
„Du hattest doch auch mal Haustiere!", brüllte sie gegen den Wind an. 
„Ja..." Er dachte an Pumba und schaufelte noch ein wenig eifriger. Als sie aus dem Eingangsbereich heraus waren, wateten sie durch Schnee, der ihnen teilweise bis über die Knie reichte. Nele folgte ihnen unruhig in der entstandenen Schneise.
„Wo müssen wir lang?", rief Paddy, als er anhielt und sich umdrehte.  Sie hob den Arm und deutete mehrfach in die Dunkelheit. Paddy schnaufte. „Das ist Wahnsinn bei dem Wetter hier draußen!" „Ich weiß! Bitte geh zurück! Ich schaff das auch alleine!" „Du bist noch wahnsinniger als das Wetter!" „Ich weiß", antwortete sie und wollte ihm den Schneeschieber abnehmen, doch er ließ nicht los. „Vergiss es! Los, leuchte!"
Marie warf ihm ein dankbares Lächeln zu und richtete die Taschenlampe wieder nach vorne. Nach knapp zwanzig Minuten hatten sie sich vorwärtsgearbeitet, als Marie hektisch mit dem Lichtkegel im Windschatten den Schnee auf dem Boden absuchte. „Nein! Siehst du, überall Krallenspuren!" „Ja, aber ich sehe keine, die wegführen!" Er hatte recht und hörte sie murmeln. „Bitte, bitte, bitte..."
Tatsächlich lag ein Ast, dick wie ein Baumstamm, auf einem Teil des Hühnergeheges und auch das Hühnerhaus selbst hatte Schaden genommen, doch als Marie hineinschaute und grob abzählte, schienen alle wieder drinnen zu sein. „Ihr dummen Hühner, ihr guten Hühner!" Doch das Haus hatte ein Loch, ebenso wie das vergitterte Gehege außenherum und das konnte nicht so bleiben. Sie waren weder gegen die Witterung noch gegen Fressfeinde geschützt.
Erleichtert lief sie wieder nach draußen und stapfte wie ein Storch hinter den umgebauten Hundezwinger. „Es sind alle da, aber wir müssen es flicken!" „Und wenn noch ein Ast runterkommt?!" „Geh rein!" „Nein!"
Er hörte ihr resigniertes Stöhnen nicht, ging aber schauen, wo sie steckte, doch sie kam bereits mit einem großen, schweren Eisengitter zurück, das sie schnaufend durch den Schnee zerrte.
„Warte, ich helfe dir!"
Aber Marie zog etwas aus ihrer Tasche. „Stopp! Zieh die Arbeitshandschuhe an, sie gehörten meinem Vater. Wenn du dir die Finger verletzt, verklagt mich deine Versicherung bestimmt wegen Fahrlässigkeit." „Du spinnst", murmelte er, folgte aber ihrer Aufforderung. Beeindruckt sah sie zu, wie behände er das Gitter hochhob und in den Käfig schaffte, als sie auch schon mit einer Plane folgte. Schneller, als er gucken konnte, war sie über einen Balken auf dem Dach des Hühnerhauses und ließ die Plane herunterhängen. „Lehne das Gitter dagegen, damit es die Plane fixiert!" Er tat, wie ihm geheißen und schon stand sie wieder neben ihm und nahm einen der gebrochenen Balken und verkantete ihn stützend gegen das Eisen und er tat es ihr mit einem weiteren gleich. Sie nahm den Eimer, warf den Hühnern noch zwei Hände voll Mehlwürmer in den Stall und winkte ihm, dass sie den Rückweg antreten würden. Zwar waren ihre Fußspuren nicht mehr zu sehen, doch die Schneise konnten sie noch wunderbar nutzen und alle drei waren heilfroh, als sie die Haustür wieder hinter sich schlossen.
„Ich danke dir!", sagte Marie von ganzem Herzen, als sie ihre Sachen aufhängte und auch Paddy sich wieder aus seiner Montur schälte. „Ich konnte dich Irre doch nicht mit dem Schnee alleine lassen." „Wie recht du hast. Was hätte dem Schnee alles passieren können. Komm, oben wartet Tee und Suppe auf uns!"
„Soll ich Holz nachlegen?", fragte Paddy, als er das Lager entdeckt hatte und sie nickte. „Sehr gern." Dann nahm sie zwei Teller und füllte sie, nahm noch zwei Scheiben Brot und stellte alles auf den Tisch. Daneben kamen noch zwei Becher mit frischem Tee und sie nahmen einander gegenüber Platz.
„Das ist jetzt genau das richtige!", bemerkte Paddy, als er die ersten Löffel verschlungen hatte.
„Oh ja! Das wärmt so richtig schön!" „Was hast du eigentlich vorhin draußen gemacht, als ich ankam? Spaziergang mit Nele?"
Marie schüttelte den Kopf. „Auch, ja, aber primär hab ich nach dem Stall geschaut und die Pferde versorgt." „Du hast Pferde!" „Du magst anscheinend Pferde?" „Absolut. Ich hatte zwar keine eigenen, aber mein Bruder und da bin ich auch drauf geritten. Es wurde zwar nie meine Passion, aber Pferde sind einfach toll."
Marie freute sich über seine Euphorie und hoffte, dass er sie am nächsten Tag dorthin begleiten würde.
„Möchtest du noch?", fragte sie, als sein Teller leer war.
„Ja, gern. Ich hab einen Mordshunger." „Stört es dich, wenn ich das Radio anmache?", fragte sie, war aber schon im Begriff, es anzuschalten. Dann reichte sie ihm seinen aufgefüllten Teller.
„Vor allem im Nordosten ist nach einem klaren Morgen im Laufe des Tages erneut mit anhaltenden Schneefällen zu rechnen. Gegen Abend frischt der Wind noch mal auf und dreht auf Nordost...." „Oh ne. Das reicht mir eigentlich schon. Das kann ja heiter werden!" „Wem sagst du das. Ich muss schließlich morgen weiter." „Wieso?" „Ich wollte doch nach Dänemark. Familientreffen. Mein Bruder hat zwei große Ferienhäuser gemietet und alle kommen mit Kind und Kegel."
Sie zog eine Braue hoch. „Du hast niemanden dabei." „Ich weiß."
Verlegen räusperte sie sich und wechselte das Thema. „Ihr wollt dann Weihnachten zusammen feiern?" „So hatten die sich das gedacht." „Du klingst ja nicht sehr begeistert."
Er wiegte den Kopf hin und her. „Es war nicht immer ganz einfach, aber wir wollen auch keinen Streit untereinander. Mal sehen, wie das wird."
„Dafür musst du aber erst einmal hinkommen." „Wie wahr, wie wahr."
„So, aber wenn es stimmt, dass es zumindest morgen früh klar sein soll, muss ich jetzt ins Bett. Das Provisorium beim Hühnerstall muss ersetzt werden, der Pferdestall muss gemistet werden. Ich muss nach dem Wild sehen und wenn es irgendwie möglich ist, würde ich gerne einkaufen. Zum Glück bin ich mit Tierfutter ausreichend eingedeckt." „Da ist allerhand zu tun. Aber das war auch wirklich ein gigantischer Ast, der runtergebrochen ist!"
Marie nickte. „Die Pappeln sind etwa 60 Jahre alt und sie durften einfach immer wachsen, wie sie wollten. So. Ich gehe noch eben duschen und dann gehts ab in die Falle. Du weißt, wo du schläfst. Ist dir noch was aufgefallen, was dir fehlt?" „Meine Gitarre", seufzte er, aber sie zuckte mit den Schultern. „Damit kann ich dir leider nicht dienen." „Aber ansonsten bin ich zufrieden und sehr dankbar, dass du mich ohne wenn und aber hier aufgenommen hast und mir ein Obdach gibst." „Kein Problem." Sie stand auf und wollte die Teller zusammenräumen, als er sie ihr aus der Hand nahm. „Ich mach das schon. Geh du ruhig duschen." „Danke. Dann gute Nacht." „Dir auch eine gute Nacht."
Marie holte sich ihre Schlafsachen und ging im Bad unter die Dusche. Es war erfrischend und reinigend, doch ihren Kopf klärte es nicht. Paddy Kelly geisterte gerade durch ihr Haus und würde heute Nacht hier schlafen. Weird. Aber schön. Wenn sie sich vorstellte, dass vielleicht in den Schlagzeilen gestanden hätte, dass er im Auto erfroren wäre nur unweit von ihrem Haus entfernt! Gar nicht auszudenken!
Als sie aus dem Bad kam, wollte Paddy gerade Zähne putzen. Sie trug keine Hose zum Schlafen, aber ein langes T-Shirt, das zumindest ihren Po verdeckte. Sehr zu Paddys Missfallen, der verzückt ihre Beine musterte, als sie nach einem flüchtigen Gruß rasch in ihr Zimmer tippelte.

Pappeln im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt