Zwischenspiel: Schattenschwestern (2)

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Margret atmet bebend aus. „Okay." Langsam schließt sie die Tür und setzt sich wieder ihrer Schwester gegenüber aufs Sofa. „Eine Stunde."

Eleanor lächelt, aber dabei laufen ihr immer nur neue Tränen über die Wangen. Margret weiß nicht, was sie mit ihr anfangen soll. Die beiden schauen sich an, in peinlich berührter Stille Es ist merkwürdigt, ihre Schwester so verwundbar zu sehen. Normalerweise ist Eleanor vorsichtig, was ihre Gefühle angeht. Verschlossen. Aber ihr Geständnis hat etwas zwischen ihnen verändert. Sie spüren es beide. Die Spannung. Wie die Angst vor dem Sprung.

„Ist dir noch schwindelig?", fragt Margret, um die Stille zu brechen.

Eleanor schüttelt den Kopf.

„Hast du Hunger? Du hast fast nichts gegessen. Soll ich-"

Wieder ein Kopfschütteln.

Irgendwann wird das Schweigen unerträglich. Margret kann nicht anders als lachen, nervös und ein wenig hilflos. „Was tun wir hier eigen-"

Ohne Vorwarnung streckt Eleanor die Hand nach ihr aus. Margret zuckt zusammen, heftig und unerwartet.

„Tut mir leid!" Rasch zieht Eleanor sich zurück. „Ich wollte nicht-"

„Alles gut." Margret hebt die Arme. Ein glühendes Prickeln wandert ihre Wirbelsäule hinab und ihre Nackenhaare stellen sich alarmiert auf. „Ich habe mich nur erschreckt. Es ist lange her. Also, dass mich jemand angefasst hat. Einfach so. Ohne was von mir zu wollen." Kaum hat sie ihren Redeschwall beendet, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

Eleanors Blick verändert sich, es tritt ein schockierter Ausdruck dazu. „Hat er-"

„Spar dir dein Mitleid. Bei Damon zu bleiben war meine Entscheidung."

„Das gibt ihm noch lange nicht das Recht, dich so zu behandeln! Dich auszunutzen für seine eigenen...Bedürfnisse."

„Zum Ausnutzen gehören immer zwei. Du kennst Damon doch. Seine Liebe hat einen Preis. In meinem Fall: Nähe gegen Gehorsam. Er hat mich nach ihm hungern lassen, so lange, bis ich alles getan hätte." Sie schnaubt. „Irgendwann habe ich meinen letzten Rest Selbstrespekt zusammengekratzt und mich davon befreit. Aber danach..." Margret beißt sich auf die Lippe. „...danach war ich allein."

Vorsichtig legt Eleanor wieder die Hand auf ihre Schulter. „Margret, das-"

„Hör auf. Ich bin nicht mehr die kleine Schwester, die du in den Arm nehmen kannst, wenn sie sich im Dunkeln fürchtet. Ich verdiene dein Mitleid nicht. Und dich..." Überrascht spürt sie Tränen in ihren Augenwinkeln, als die Wahrheit mit ganzer Wucht aus ihr herausbricht. „...dich verdiene ich auch nicht."

Schlaf, Maggie. Ich bin da. Eleanors Worte, in den Nächten nach dem Tod ihrer Mutter. In diesem Moment, wünscht sie sich nichts sehnlicher, als sie noch einmal zu hören.

„Du wirst immer meine kleine Schwester sein", flüstert Eleanor, „Egal wie alt du bist."

„Willst du es nicht kapieren?" Margret stemmt sich von ihr weg. „Das Dunkel ist nicht da draußen. Es ist in mir." Sie zittert, als sie die Worte ausspricht. Die Wahrheit. Der Grund, warum, sie sich von jedem abgeschottet hat. Ihr Schutzschild, hinter dem sie sich verschanzt, seit bald sechzehn Jahren. „Damon hat es prophezeit: Wie der Herr so auch sein Diener. Ich bin sein. Sein Werkzeug, sein Geschöpf. Ich bin die Dunkelheit."

„Und ich bin eine Schattenwächterin!", sagt Eleanor, Nachdruck in der Stimme. „Dunkelheit ist mein Element."

Margret sieht die Entschlossenheit in Eleanors Augen, den grimmigen Trotz. Ihre Blicke begegnen sich, beißen sich ineinander fest, wie Schwert auf Schild. Für einen Moment ist es, als würden sie miteinander ringen. Stumm, nur mit Blicken. Ein unsichtbares Duell der Willen.

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