„Dann bin ich bereit." Mein Blick gleitet über die Blumen, die Wiese. „Also...ich meine, ich bin nicht bereit, aber länger warten wird es nicht besser machen."
Demetra lächelt. „Gut. Dann komm."
Sie führt mich entlang der Kiespfade tiefer in den Garten, zu einem Pavillon aus weißem Stein, umschlossen von griechischen Säulen um die sich Rosen ranken. In der Mitte des Pavillons wächst ein Teppich aus unterschiedlichsten Blüten.
„Hecates Schöpfung", murmelt Demetra und weißt mich mit einer Handbewegung an, in den Pavillon zu treten. „Die Geschichte Fabelreichs vom ersten Keimblatt bis heute. Sie wartet auf einen neuen Samen." Demetra bleibt am Eingang unter den Rosen stehen, während ich ins Beet trete. Unsicher schaue ich zu ihr auf. „Was mich ich tun?"
„Das, was du am besten kannst. Benutze deinen grünen Daumen." Erst jetzt bemerke ich die kleine Truhe neben dem Beet. Sie ist voller Samen.
Ich schaue Demetra an, sehe das goldene Licht um ihr Kleid spielen. In diesem Moment ertönt aus der Ferne, herangetragen vom Wind, der helle Klang von Kirchenglocken. Sie müssen wohl aus der Stadt dort zwischen den Hügeln kommen, im Garten sehe ich nichts, was diesen Klang erzeugen könnte.
„Ich muss dich jetzt verlassen", sagt Demetra und wendet sich der Stadt in der Ferne zu. „Nur eins noch. Würdest du Eric sagen, dass mich sein Abschiedskuss gefreut hat? Er ziert sich so, seit ich nicht mehr ansprechbar bin."
„Ganz sicher nicht!", platzt es aus mir heraus.
Demetra lacht laut auf. Es bleibt auf ihren Lippen hängen und gerade als sie schon gehen will, wendet sie sich noch einmal zu mir um. „Ich möchte, dass du und Eric eines wisst, Lina. Jede Entscheidung, die ich getroffen habe, geschah aus freiem Willen. Gleich, ob ich um Hilfe gebeten wurde oder nicht." Meine Kehle wird eng, als ich begreife, auf was sie anspielt. „Ich habe mein Leben gelebt. Und auch wenn es manches gibt, was ich bereue. Meine letzte Stunde gehört nicht dazu. Auf Wiedersehen, Lina Büchner." Im Gehen neigt sie den Kopf zu einer Säule, fasst eine Rosenblüte zwischen den Fingerspitzen und riecht daran, die Augen geschlossen, wie auf einem Gemälde der Präraphaeliten.
Es ist dieses Bild, das ich sehe, wenn ich an sie denke, auch noch Jahre später, nachdem sie längst zwischen den Stauden des Gartens verschwunden ist.
Ich fühle mich merkwürdig. Gleichzeitig erfüllt von so viel Frieden und doch traurig. Mit einem Seufzen lasse ich mich auf die warme, feuchte Erde sinken und greife nach der Samenkiste. Jeder einzelne darin sieht anders aus, aber trotzdem fühle ich welcher es sein muss.
Dann beginne ich zu graben.

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Fabelblut
FantasyEigentlich sollte es nur eine Klassenfahrt nach Schottland werden - aber als Lina auf einem Friedhof in Edinburgh plötzlich von einem Geschöpf wie aus einem Fantasybuch angegriffen wird, ändert sich ihr Leben über Nacht. Ehe sie sich versieht, finde...