Kapitel 36

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Abends wurde mir nur noch schnell etwas zu Essen von einem mir unbekannten Mann vorbei gebracht. Kurz war ich in Versuchung ihn auszuquetschen, doch er sah so schon etwas unsicher aus, da habe ich es gelassen. Ich werde morgen Ingrid oder meine Eltern befragen. Ich habe absolut keine Lust mehr im Dunkeln gelassen zu werden.

Daher sitze ich schon bereit auf meinem Bett, als ich morgens wieder von Ingrid abgeholt werde. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, gehen wir zum Frühstück. Hier treffen wir wieder auf meine Eltern, welche ich jedoch im ersten Moment nicht beachte und damit ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Seit wir uns begegnet sind, hing ich an ihnen wie ein kleines Kind. Doch im Laufe des gestrigen Tages ist mir bewusst geworden, dass sie mich einfach links liegen lassen. Und ich mache mit ihnen nun das gleiche. Sollen sie doch sehen, wie sie damit klarkommen.

„Wie war euer gestriger Tag, Kayla?", fragt schließlich meine Mutter, weshalb ich versuche einen neutralen Blick beizubehalten, als ich sie ansehen, um zu antworten. „Ganz okay." Ich kenne mich selbst sehr gut und weiß genau, wie ich bei dieser Antwort an die Decke gegangen wäre. Und zum Glück ist meine Mutter ebenso gestrickt wie ich. „Wir sprechen heute Abend zum Abendessen in Ruhe über deine Fortschritte! Nun haben wir erstmal etwas zu tun."

Damit brechen die beiden auf und als sie weg sind, kann ich mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Das hat überraschend einfach funktioniert. Ich begegne dem Blick von Ingrid, welche mich skeptisch mustert, kann ihr jedoch nur ein breiteres Lächeln schenken. „Und was machen wir heute?" Scheinbar ist sie verwirrt von meiner Verwandlung. Doch damit muss sie jetzt klarkommen. Ich werde mich nicht zurückhalten, nur um meinen Eltern eine gute Tochter zu sein. Ich weiß ja nicht mal, ob sie das verdient haben. Schließlich kenne ich sie ja eigentlich gar nicht.

„Wir werden etwas anderes ausprobieren.", gibt die ältere Dame ungerührt zur Antwort, was ich mit einem nicken quittiere. Etwas in der Art hatte ich schon erwartet. Nachdem ich sie gestern so mit meinem Eis überrumpelt habe, wird sie das so nicht auf sich sitzen lassen. Nach dem Frühstück gehen wir schließlich wieder nach draußen, an die gleiche Stelle wie letztes Mal.

„Wir werden jetzt versuchen dein Eis zu knacken. Es geht schließlich darum dein Urelement zu wecken. Da es entweder Wasser oder Luft ist, habe ich noch jemanden dazu beordert. Das ist Janette." Von der Seite kommt eine Frau auf uns zu, welche in etwa in dem Alter meiner Eltern sein müsste. „Sie hat vermutlich das Element Luft.", schätze ich und mustere sie einmal kurz. Heute wird es mir also etwas schwerer gemacht. Das war ja irgendwie klar.

„Das ist richtig. Wir werden dich heute an deine Grenzen bringen. Du stammst aus zwei sehr starken Familienzweigen. Wahrscheinlich den stärksten. Es sind nicht mehr viele Familien übrig, die von den Urelementaren abstammen. Du musst deiner Verpflichtung nachkommen und deinen Platz bei uns einnehmen. Aber das geht nur mit deinem Urelement."

Wieder leuchten die Augen von Ingrid blau auf und auch Janettes Augenfarbe ändert sich von einem graugrün auf ein leuchtendes weiß. Ich weiche von den beiden zurück und verschaffe mir damit etwas Platz. Wassertropfen steigen vom Boden auf und ein starker Wind kommt auf. Es erinnert mich ein bisschen an die Schulwettkämpfe. Nur, dass ich hier alleine gegen zwei Leute kämpfe. Wieder einmal vermisse ich Jace.

Gemeinsam würden wir die beiden platt machen. Allerdings würde er in diesem Moment wahrscheinlich auch zu mir sagen, dass ich mich nicht so anstellen soll. Ich habe mich schließlich für diesen Weg entschieden. Und da soll ich auch alles geben und nicht rumjammern.

Also mache ich mich bereit und blocke den Wind mit einer eigenen Luftfront ab. Und während ich mit einem Element Janette in Schach halte, lasse ich das Wasser wieder erstarren, welches Ingrid auf mich zu schickt. Die Wasserwelle erstarrt einfach zwischen Ingrid und mir, was sie wütend das Gesicht verziehen lässt. Jetzt bekomme ich sicherlich ein noch größeres Problem. Und als um mich herum sehr viele kleine Wassertropfen aufsteigen, macht sich ein mulmiges Gefühl in mir breit.

Doch bevor Ingrid mich mit dem Wasser wieder angreifen kann, verstärkt Janette ihren Angriff. Und bricht damit durch meine Wand aus Luft. Ich werde in hohem Bogen durch die Luft geschleudert, kann aber einen heftigen Aufschlag mit einer eigenen Luftkugel um mich herum verhindern.

Durch meine Luftkugel herum kann ich sehen, wie Janette und Ingrid sich nebeneinander positionieren und einen weiteren Angriff vorbereiten. Aber ich habe keine Lust mehr mich von den beiden durch die Gegend schubsen zu lassen. Daher lasse ich die Luft weiter um mich herum wirbeln. Ein kleiner Wirbelsturm entsteht um mich herum, wie ich es bereits einige Male gemacht habe.

Da ich damit allerdings kaum gegen diese beiden Frauen ankomme, steigere ich einfach alles nochmal. Dem Luftwirbel setze ich noch einiges an Eis hinzu und bewege mich nun langsam auf sie zu. Meinen Blizzard habe ich ja schon des Öfteren mal erschaffen und lege nun noch einmal alles hinein, was ich habe. Und das ist jede Menge aufgestaute Frustration, weil ich hier einfach nicht zu meinen Antworten komme, die ich mir erhofft habe. Und das bekommen sie nun zu spüren. Ich halte nichts zurück und laufe weiter auf sie zu.

Hinter mir hinterlasse ich eine kleine Schnee- und Eisdecke und gehe weiter auf die beiden zu, welche nun etwas zurückweichen. Trotzdem spüre ich, wie eine Wand aus Luft versucht mich an Ort und Stelle zu halten. Doch diese wird von Wasser durchzogen. Und genau das ist ihr Fehler. Sie unterschätzen noch immer mein drittes Element. Aber wahrscheinlich auch nur, weil sie damit noch nie zu tun hatten. Und genau das nutze ich zu meinem Vorteil.

Denn in dem Moment, in dem mein Blizzard auf die von Wasser durchzogene Luftwand von Janette und Ingrid trifft, gefriert das Wasser und beide Elemente werden noch zusätzlich in meinen Wirbel gezogen. Nun ist er noch größer geworden und entsprechend schwerer zu kontrollieren, doch ich habe es gerade noch unter Kontrolle.

Es ist schwer zu erkennen, doch die beiden Frauen weichen weiter zurück und Ingrid gerät ins Stolpern. Janette versucht ihr aufzuhelfen, doch da bin ich schon bei den beiden angekommen. Ihre Atemluft bildet Wolken, weil es um mich herum so kalt geworden ist und sie schauen erschrocken zu mir.

Doch bevor ich näherkommen oder alles abbrechen kann, rennen meine Eltern bereits auf mich zu und schreien irgendwas herum. Durch den Wind kann ich sie jedoch nicht verstehen, wollte aber an dieser Stelle sowieso unterbrechen. Daher lasse ich den Wind abschwächen, ziehe mein Eis zurück und stehe schließlich inmitten eines kleinen Schneeberges auf der ansonsten grünen Frühlingswiese.

Kurz herrscht eine Totenstille, bis meine Eltern Ingrid und Janette an die Seite eilen und sich erkundigen, ob es ihnen gut geht. Mich würdigen sie dabei keines Blickes, was mir einen leichten Stich versetzt. Aber am Ende bin ich eine Fremde für sie, wie sie es am Ende auch für mich sind. Einzig meine Hoffnung auf eine intakte Familie lässt mich hierbleiben. Ansonsten wäre ich sicherlich schon längst auf dem Weg zurück zur Schule. Doch wenn ich diese Chance verstreichen lasse, werde ich mich immer fragen was passiert wäre, wenn ich geblieben wäre.

„Kayla, was hast du dir dabei gedacht? Du hättest sie umbringen können!", höre ich die Vorwürfe meiner Mutter, was mich eine Augenbraue nach oben ziehen lässt. „Wohl kaum. So schnell stirbt man nicht daran eingefroren zu werden. Haben wir getestet." Mit offenem Mund schauen mich alle an, doch ich kann die Vorwürfe nicht verstehen. Nach meinen Verletzungen haben sie mich noch nie gefragt.

„Sie ist aus dem richtigen Holz geschnitzt.", lacht Ingrid auf einmal auf und ich bin überrascht, dass diese Frau auch etwas anderes als griesgrämig sein kann. Langsam beruhigen sich alle wieder von dem Schrecken und Ingrid winkt ab, als mein Vater fragt, ob sie sich verletzt hat.

„Ihr solltet euch nun mit eurer Tochter zusammensetzen und über alles sprechen, was sie noch nicht weiß. Es ist an der Zeit. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir ihr Urelement herausgefunden haben. Und bis dahin sollten wir nicht warten.", meint die alte Dame und ich bin ihr zum ersten Mal dankbar für etwas, was sie tut. Endlich bekomme ich Antworten auf meine Fragen. Zögerlich stimmen meine Eltern schließlich zu und ich begleite sie nach drinnen. Jetzt bin ich gespannt. 

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