In dieser Nacht haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Aber am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, durfte ich meine Eltern erneut treffen. Wir sitzen wieder in der Bibliothek zusammen und ich warte darauf, dass meine Eltern das Gespräch beginnen. Doch sie sind in ihre Unterlagen vertieft. Daher stehe ich auf und sehe mich etwas um. Die Weltkarte mit den unterschiedlichen Markierungen kenne ich ja schon. Nicht, dass ich mir all das merken könnte, was darauf eingezeichnet ist. Die Bücher interessieren mich auch nicht.
Dann fällt mein Blick schließlich auf einen Bilderrahmen in der Ecke eines Bücherregals. Darauf sind meine Eltern zu sehen, wobei sie um einiges jünger aussehen als sie es jetzt sind. Und beide haben jeweils ein Baby im Arm. Überrascht schaue ich das Bild an und kann nicht anders als es in die Hand zu nehmen, um es genauer betrachten zu können. „Du hast es also gefunden. Das ist das letzte Bild, bevor ihr in eure anderen Familien gegeben worden seid.", dringt die Stimme meiner Mutter an mein Ohr und ich schaue über meine Schulter zu ihr.
Zum ersten Mal sieht sie nicht hart aus, sondern weich und verletzlich. Mein Blick wandert wieder zu dem Bild, auf welchem sich der gleiche Gesichtsausdruck zeigt. „Mir ist gar nicht klar gewesen, dass wir Zwillinge waren.", gebe ich leise zurück und zwinge mich das Bild zurück zu stellen und mich zu sammeln für das kommende Gespräch. „Was hat er angestellt, um euch so zu enttäuschen?", will ich wissen und mustere meine Mutter. Welche mich nun wieder mit ihrer gewohnten Härte ansieht. „Es wird wohl Zeit dir alles zu erklären. Du hast dich gut geschlagen und dir dieses Wissen verdient."
Gemeinsam gehen wir zum Sofa und lassen uns darauf fallen.
Eine Weile mustern wir uns gegenseitig. Dann beginnen meine Eltern zu erzählen. „Wir haben vor einiger Zeit deinen Bruder aufgesucht. Glücklicherweise ist er noch bei der Familie zu finden gewesen, bei welcher wir ihn zurück gelassen haben.", beginnt mein Vater, zieht jedoch direkt eine finstere Grimasse. „Sie hatten ihm bis dahin noch nicht einmal mitgeteilt, dass er nicht ihr Kind ist. Wir hatten also erstmal ein Gespräch mit seinen angeblichen Eltern."
„Was wir uns hätten auch einfach sparen können.", gibt meine Mutter missmutig von sich und sieht so aus, als würde sie am liebsten etwas in die Luft jagen. Doch mein Vater nickt zustimmend. „Da hast du natürlich recht. Aber hinterher ist man immer schlauer." Gespannt sitze ich auf dem Sofa und warte darauf, dass sie mir endlich sagen, was los ist. Wie kann man es denn nur so spannend machen? Doch letztendlich erbarmen sie sich meiner.
„Dein nichtsnutziger Bruder verfügt nicht über die Macht der Elemente.", gibt meine Mutter schließlich von sich und verzieht das Gesicht. Bis sie mir schließlich ein Lächeln schenkt. „Ganz im Gegensatz zu dir. Du hast zwar dein Urelement noch nicht freigeschaltet, doch das ist nur eine Frage der Zeit. Und trotz allem hast du dich bei unserer letzten Mission sehr gut geschlagen." Ich versuche so ehrlich wir möglich ihr lächeln zu erwidern, bin mit meinen Gedanken jedoch noch immer bei meinem Bruder.
„Ich dachte wir sind Zwillinge. Wie kann sowas denn passieren?" Doch darauf bekomme ich wohl keine zufrieden stellende Antwort. Beide zucken einfach nur mit den Schultern. „Wer weiß, warum die Natur das so entschieden hat. Es ist wie es ist." Ich tue so, als würde ich darüber nachdenken und zucke anschließend mit den Schultern. „Das stimmt wohl." Zum Glück kennen meine Eltern mich nicht gut genug, um zu bemerken, dass ich sie die ganze Zeit anlüge und ihnen lediglich das sage, was sie hören wollen.
„Verratet ihr mir seinen Namen? Ich würde ihn gerne erkennen, sollte ich ihn mal treffen. Dann kann ich ihm sagen, was er für eine Enttäuschung ist." Ein Lächeln erscheint auf dem Gesicht meiner Mutter. „Du kommst wirklich sehr nach mir, Kayla. Das freut mich wirklich." Das will ich nicht hoffen. So wie sie will ich niemals werden.
Dann steht sie auf und läuft zum Schreibtisch, um dort etwas zu suchen. Anschließend kommt sie mit einem Zettel in der Hand zurück. Doch als sie mir diesen überreicht, kann ich nicht anders als überrascht das Bild anzustarren. „Das ist dein unfähiger Bruder Lukas." Und es ist tatsächlich Lukas. Mein ehemaliger bester Freund, mit dem ich mich vor einer gefühlten Ewigkeit zerstritten habe. Das ist ja unglaublich!
„Was ist denn los?", reißt mich mein Vater aus meinen Gedanken und ich muss kurz den Kopf schütteln, um mich zu sortieren. Ich bin so überrumpelt, dass ich ihnen nicht länger etwas vorspielen konnte. Nun muss ich ihnen wohl oder übel die Wahrheit erzählen. Oder zumindest einen Teil davon. „Ich kenne ihn. Wir waren auf der gleichen Schule und ziemlich gut befreundet. Bis wir auf die Akademie gekommen sind. Ich habe meine Elemente erhalten und er nicht. Seine Unfähigkeit hat uns getrennt."
Eine Weile schweigen meine Eltern, ehe auf ihren Gesichtern ein stolzes Lächeln entsteht. „Hätten wir das gewusst, hätten wir dir viel eher von ihm berichten können.", lacht mein Vater und schüttelt den Kopf. Auch meine Mutter nickt zustimmend. „Wir hatten die Befürchtung, dass du dich von uns abwendest und lieber zu deinem Zwillingsbruder hältst. Dabei ist unsere Mission doch so wichtig!" Schnell schüttele ich den Kopf. „Das würde ich niemals machen! Ich bin euch wirklich sehr dankbar für die Chance, die ihr mir gebt. Ich will euch unbedingt unterstützen!", beteure ich und hoffe innerlich, dass ich nicht zu dick auftrage. Doch sie scheinen mir zu glauben.
„Wir hätten gleich zuerst mit dir sprechen sollen. Doch dich zu finden ist ja leider nicht so einfach gewesen.", seufzt meine Mutter und steht vom Sofa auf. „Wir haben leider noch einige wichtige Besprechungen vor uns. Du solltest wieder trainieren gehen. Wir werden dein Urelement bald gebrauchen können.", weist mein Vater mich an und ich nicke zustimmend. Ich habe alles erfahren, was ich wissen wollte. Nun muss ich hier nur noch verschwinden.
Doch das ist leichter gesagt als getan. In den nächsten Tagen scheine ich unter noch strengerer Beobachtung zu befinden, weshalb ich beschließe, einfach abzuwarten und zu trainieren. Sollte ich mein Urelement freischalten, kann es mir bei meiner Flucht sehr nützlich sein. Doch ich komme einfach nicht dahinter. Egal was ich versuche, es klappt einfach nicht. Es sind immer nur meine normalen Elemente, welche reagieren und mich mehr als erschöpft zurücklassen.
Vier Tage nach dem Gespräch mich meinen Eltern, zieht schließlich ein schwerer Sturm auf und zwingt uns dazu, im Gebäude zu bleiben. Endlich ergibt sich eine Chance für mich zurückzugehen. Schon seit Tagen habe ich Vorräte in meinem Zimmer angehäuft. Einen Rucksack und die Kleidung von dem Test letztens hat mir Ingrid vorbei gebracht. Was ich nun vor habe, wird wohl nicht ihren Vorstellungen entsprechen, doch es ist mehr als nützlich.
Ich ziehe die Kleidung an und packe den Rucksack voller Essen. Weiteres brauche ich nicht. Kalt wird mir sowieso nicht und außerdem wäre eine Decke auch nur unhandlich und würde nass werden, sollte ich sie zum Schutz verwenden wollen. Entschlossen gehe ich in mein Badezimmer und öffne das Fenster. Sofort kommt mir Regen entgegen und der Wind bläst mir ins Gesicht. Aber ich habe meine Entscheidung schon getroffen und mache mich bereit. Heute wird mich niemand aufhalten. Ich verschwinde jetzt von hier.
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Akademie der Elemente - Die Macht der Elememte
FantasyTeil 2 Kayla Winter befindet sich nun im zweiten und letzten Jahr ihrer schulischen Ausbildung. Nachdem sie im vorherigen Jahr ihre Kräfte entdeckt und schließlich an den Schulkämpfen teilgenommen hat, versucht sie nun das Jahr etwas ruhiger anzugeh...