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Oh man, wie hatte sie so doof sein können? Panisch schaute sie sich in ihrem näheren Umfeld um. Die Kälte des Bodens kam schon lange durch ihre völlig durchnässten und absolut unbequemen Schuhe durch. Zudem stolperte sie ständig über den unebenen Waldboden. Ihre Fußrücken war mit unzähligen Schrammen übersät. Ihre Beine waren vom Laufen stocksteif und eiskalt. Die unzähligen Wunden spürte sie schon lange nicht mehr, zu kalt war ihr in ihrem nunmehr kurzen Kleid. Kaum zu glauben, dass es noch vor wenigen Stunden lang gewesen war.

Ja, noch vor einigen Stunden. Sie konnte nicht fassen, wie viel ihr seither widerfahren war!

Kurz nachdem sie den Saal wieder betreten hatte, war sie von einer böse dreinblickenden Magda am Arm gepackt worden. Sie war, wenn auch etwas irritiert, mitgegangen, hatte aber schon kurz darauf geahnt, dass hier etwas vor sich ging, mit dem sie definitiv nicht einverstanden war. Ihre Ahnung bestätigte sich, als Magda plötzlich ein weißes Kleid in ihr Zimmer trug.

"Magda? Was wird das hier?", fragte sie in dem Versuch die Situation als Witz zu deklarieren, doch als Magda aufblickte konnte sie an ihren Augen sehen, dass das hier alles kein Scherz war. Doch Magda schwieg. Sie schwieg die ganze Zeit. Als sie ihr beim Auskleiden half, als sie ihr wieder beim anziehen half, als sie ihr die wilden Locken richtete. Sonja blickte in den Spiegel und hätte heulen können. Gerade eben noch hatte sie ihn ausgeschimpft und hatte ihm gesagt, dass sie ihn nicht heiraten würde, und jetzt stand sie hier, in dem schönsten Hochzeitskleid, dass sie je gesehen hatte und sollte zur Hochzeit gezwungen werden? Was hatte sie in ihrem vorherigen Leben bloß alles angestellt, dass das alles hier passierte?

Als sie glaubte, das Magda fertig war, stellte sie sich vor den großen Ganz-Körper-Spiegel. Auf ihren kastanienbraunen Locken ruhte ein ring aus weißem Efeu. Das Kleid ähnelte dem von Aschenbrödel in Aschenbrödel und die drei Haselnüsse. Unter der Brust eng anliegend, ab dann, wie auch die anderen Kleider dieser seltsamen Zeit fiel der leichte Stoff in einer undurchsichtigen und einer durchsichtigen Lage bis auf den Boden hinab. Der Hauch von Nichts, die zweite Lage war mit Efeu-Mustern und Ranken bestickt.


Nun aber war das Kleid zerrissen und kaputt. Es hing in Fetzen an ihrer unterkühlten Haut herunter. Die wärmende Sonne war auch schon vor langer Zeit unter gegangen und so saß sie hier. alleine in einer Welt, sie ihr so fremd vorkam. Zur Hochzeit gezwungen, auch wenn diese in letzter Minute verhindert worden war und wusste nicht mehr vor und nicht zurück. Erschöpft setzte sie sich auf einen Baumstumpf zu ihrer rechten und ließ ihr Haupt in ihre verletzten und geschundenen Hände sinken. Es war ihr total egal, dass diese total dreckig waren und hässliche Spuren von auf ihrem Gesicht hinterlassen wurden. Sie dachte an Magda, die sie einfach so während des Überfalls hatte zurücklassen müssen. Wie es ihr jetzt wohl ging? ob sie Tod war? Bei diesem Gedanken schossen ihr die lange unterdrückten Tränen in die Augen. Magda, ihre einzige Bekannte, nein, ihre einzige Freundin in dieser völlig verdrehten Welt!

Sie spürte, wie ihre Augen anfingen anzuschwellen und sich eine Träne nach der anderen ihren Weg bahnte, ohne, dass sie dazu imstande gewesen wäre etwas dagegen zu tun. Plötzlich kam alles wieder hoch. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Bilder von Menschen. Panischen Menschen, mit vor Schreck geweiteten Augen. Schwerter, die gekreuzt wurden. Blut, überall Blut!

Mit den Bildern kamen die Geräusche. Schreie hallten in ihrem Kopf wieder. Markerschütternde Schreie! Der König! Oh Gott, der König war verletzt worden! McLoyd! Wo zum Teufel war McLoyd? Er war doch nicht auch verletzt worden oder? Dann hatte sie etwas kaltes an Ihrer Kehle gespürt und ein schmerzhaftes Ziehen an ihren Haaren.

"Ich würde mich an ihrer stelle nicht regen Missi, wir sollen dich zwar lebend zu ihm bringen, aber wenn mir im Eifer des Gefechts die Klinge ausrutscht,..."


Sonja schreckte hoch. Hatte sie da nicht gerade etwas rascheln hören? Waren sie ihr etwa doch gefolgt? Wie hatte sie das nicht bemerken können?

Sie sprang auf, stolperte aber zurück, als plötzlich eine weibliche Gestallt vor ihr auftauchte. So nah vor ihrem Gesicht, dass es sie aus den Socken gehauen hätte, hätte sie welche getragen. Sie spürte, wie sie gegen den Baumstumpf stieß, konnte aber den Fall nicht mehr verhindern. Unsanft landete sie auf ihren vier Buchstaben.

"Autsch," flüsterte sie, den Blick nach wie vor durch einen Tränenschleier verhangen.

"Nana, wer wird denn so ein Weichei sein?", sprach nun eine provokant hohe Stimme neben ihn. Etwas erstaunt blickte Sonja neben sich und sah noch eine geisterhafte Gestalt, die im Schneidersitz neben ihr saß und sie spitzbübisch anfunkelte. Erschrocken fuhr sie zurück, merkte aber sofort, dass sie in jemand hinein geschreckt war.

"Hey, das kitzelt, das ist nicht nett!", protestierte eine andere Stimme und als Sonja sich noch erschrockener zu ihr umwenden wollte, stellte sie fest, das sie "in" ihr hockte. IN ihr.

Sonja stieß einen spitzen angsterfüllten Schrei aus, und wollte aufstehen und weg rennen, doch sie war so geschockt, dass ihre Beine ihr nicht mehr gehorchten. Sie war diesen Geistern schutzlos ausgeliefert!

Von Zeit zu Zeit ist doch die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt