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Sonja war noch nie ein Typ dafür gewesen in Angesicht einer unangenehmen Situation die Augen zu schließen. Nein, sie war eine derjenigen, die dabei zuschauten, wie man ihr Blut abnahm, wie die kleine Nadel sich in ihre Haut senkte und an jener Stelle ihre Gefühls-Knospen ihr sagten, dass etwas weh tat. Sie war eine von denen, die bei einer OP am eigenen Körper dabei zuschaute wie man die Wunde wieder zusammennähte. Und auch dieses Mal war sie viel zu gebannt davon was kommen würde, als dass sie dazu in der Lage gewesen wäre ihre brennenden Augen zu schließen. Nein, sie schaute der Frau die auf sie zukam in die Augen. Verfolgte jeden ihrer Schritte. Hörte, wie der Wind in den Blättern der Bäume rauschte und die Vögel unsichtbar darin ihre Lieder zum Besten gaben. Hörte den Atem der Frauen, die immer noch um sie herum standen, welche von ihnen war es die klang, als würde sie gerade schlafen? Sie hörte das knacken eines Astes, als die Frau mit dem spitz geschnittenen Gesicht weiter auf sie zukam. Sonja wunderte sich einmal mehr darüber, wie aufnahmefähig sie in solchen Situationen doch war, beschloss dann aber, dass es nicht gerade sinnvoll war mit den Gedanken abzudriften, wenn man die Situation nicht genau einzuschätzen wusste, so wie sie jetzt. 

Sie spürte den Blick der anderen und der Frau, die sie jetzt aus nächster Nähe betrachtete und sie mehrfach umrundete. Sonjas Nerven waren zum zerreißen angespannt. Sie hasste diese peinliche, lange Stille, die sich in solchen Momenten immer auf alle Beteiligten herabsenkte und einfach so gar keinen produktiven Nutzen hatte. Gar keinen. Nicht ein Bischen! Niente! Nada! Warum gab es solche Momente nur immer? Ganz in ihre Gedanken versunken wurde sie aus eben jenen heraus gerissen, als die Frau, gerade hinter ihr, mit kritischem Blick auf das weiße Kleid bemerkte:"Du siehst nicht gut aus. Dein Kleid ist zerrissen, oh wie kann man nur so schäbig mit einem Kleid umgehen? Schämen solltest du dich!" Sonja klappte der Mund auf. Hatte sie sich gerade verhört?

"Und deine Haut! Kindchen, du solltest wirklich mehr auf dich achten...", sie konnte es förmlich hören, wie die Frau den Kopf schüttelte. Sie hatte sich also nicht verhört.

"Sel! Es reicht!", meldete sich nun wieder die leise aber klare Stimme zu Wort und Sonja war froh darüber, denn der Klos in ihrem Hals machte ihr schmerzlich bewusst, dass nicht mehr viel gefehlt hätte und sie wäre in Tränen, nein in Bächen ausgebrochen. Dankbar blickte sie auf und in ein wissend lächelndes Gesicht.

"Ich weiß du kennst uns nicht und ich weiß dass das was ich jetzt gleich sagen werde jeder sagt, aber du hast in deinem jetzigen Zustand nicht wirklich eine andere Wahl, zumal du von mir aus jederzeit wieder gehen kannst. Es ist dir überlassen. Nun zu meinem eigentlichen Satz: Komm Kleines, du siehst müde aus und ich habe ein Bett und eine Mahlzeit für dich. Die," sie zeigte auf die anderen Frauen," tun dir nichts. Versprochen."

Sonja musste lächeln. Wie recht die Frau hatte. Als Kind war man immer vor diesem Satz gewarnt worden und hatte gesagt bekommen, dass man auf gar keinen Fall mit Fremden mitgehen sollte, doch in diesem Moment schien es Sonja der Einzige vernünftige Weg aus ihrer sonst Aussichtslosen Situation zu sein. Sie schaute der Frau mit der angenehmen Stimme in die Augen und nickte kurz darauf gefolgt von dem Gedanken worauf sie sich jetzt schon wieder eingelassen hatte. 

Himmel! Konnte es denn noch schlimmer werden? Die Antwort kam aufs Exempel...

Von Zeit zu Zeit ist doch die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt