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Die Musik schwang sanft durch den Saal, begleitet von dem Schwingen der Röcke der Damen und den eleganten Schritten der Männer, die eben jene über den Boden schweben liessen. Einige der hohen Fenster, die zur Terasse herausführten waren geöffnet worden. Die Gardinen, in einem schlichten weiß gehalten wiegten sich sanft zu der Brise, die von Außen hereinspazierte und seinen überhitzten Körper umschmeichelte. Schwer atmend blickte er sich um. 

"Liroy?", schwer atmend wandte er sich dem Gesicht zu, dass sich plötzlich in sein Blickfeld schob. Sein Bruder schaute ihm besorgt mit seinen blauen Augen entgegen. Auch wenn er kein weiteres Wort sprach wusste Liroy, welche Gedanken sich gerade in seinem Bruder absielten. Früher hatte er ihn dafür bewundert. Welch ein selbstloser Mensch, der sich immmer um die anderen Gedanken machte, jede Schwingung zu spüren schien, ob sie nun negativer oder positiver Natur war. Er hatte es immer "geahnt", wenn es ihm nicht gut ging und war da gewesen. Nicht immer so wie er es gern gehabt hätte, aber er war da gewesen. Zu gut konnte er sich noch daran erinnern. Er war noch recht jung gewesen, 15 oder 16 Jahren alt. Er hatte etwas angestellt, er wusste wirklich nicht mehr was, aber es hatte Außmaßen in einer unglaublichen Dimension gehabt. Und natürlich hatte derjenige, den es betraf ihm so dermaßen den Hintern versohlt. Verdammt! Er könnte schwören heute noch immer die Schmerzen in seinem Allerwertesten spüren zu können. Manchmal. Damals war er wütend gewesen, hatte geschrien und geflucht, diesen Kerl, der ihm das angetan hatte verflucht und lief wie ein bösartiger Stier im ganzen Schloss auf und ab, keifte jeden an, der es wagte ihm über den Weg zu laufen. Ach du heiliger Hughlander, was war er für ein kleiner Idiot gewesen? Auf jeden Fall, hatte er es so lange getan, bis sein Bruder ihn erwischt hatte. Leise war er hinter ihn getreten, als er grade dabei war eine der Mägde in ihre, nicht wirklich vorhandenen, Schranken zu weisen, die er für überschritten hielt. Er hatte dagestanden ihm einfach zugehört, bis er völlig außer Atem geendet hatte und frustriert bemerkte, dass die Magd nicht halb so verängstigt aussah, wie sie aussehen sollte. Wild geworden blaffte er sie noch einmal an und drehte sich um, um wütend davon zu stampfen, prallte dann aber unerwartet gegen jemanden. Immernoch wütend und schon die ersten wüsten beschimpfungen auf der Zunge holte er tief Luft, straffte seinen Rücken und ließ seinen Blick hoch schnellen. Wie aus einem Luftbalong, bei dem man vergessen hatte ihn zu zu binden entwich die Luft aber wieder aus seinen Lungen. Er war in seinen Bruder gelaufen. Wie eine Person im Zeitraffer hatte man sehen können, dass er nach und nach in sich zusammenviel. Sein vorher noch aufrechter Rücken wölbte sich als er die Schultern hängen ließ. Die zuvor noch gebalten Fäuste lösten sich im Nichts auf und kneteten sich nun gegenseitig nervös durch. Die Nase, die er noch vor wenigen Sekunden so hoch getragen hatte zeigte nunmehr gen Boden. Sein Bruder hingegen stand vor ihm, present, dominant und drohend, wie ihm schien. Seine Augenbrauen zu einer Frage hoch gezogen. Er hatte kein Wort gesagt, sich umgedreht und war gegangen. Und Liroy? Der war ihm gefolgt. Ebenfalls wortlos war er hinter seinem Bruder her geschlichen, bis sie in seinem Arbeitszimmer angekommen waren. Er war zu seinem Stuhl hinter seinem riesigen Tisch aus glänzent poliertem Mahagonieholz gegangen und hatte sich gesetzt. Immernoch wortlos hatte er angefangen einige der Papiere durchzusehen, die bisher versteckt in einer der Schubladen, welche im Tisch integriert zu sein schienen, waren. Liroy konnte beim besten Willen nicht mehr sagen, wie lange er dort gesessen hatte und wie lange er selbst dort schweigend gestanden hatte, doch irgendwann war es aus ihm heraus geplatzt. All die Enttäuschung und Wut darüber geschlagen worden zu sein, wegen einem Dummen-Jungen-Streich. Die Verzweiflung darüber, dass man nur gut genug war, wenn es einen Sündenbock brauchte und das Unverständnis warum es ihn wieder getroffen hatte. Er schrie, weinte, wütete. Sein Bruder liess alles geschehen. In dem Moment in dem Liroy angefangen hatte zu reden hatte er seine Papiere beiseite geschoben und hatte ihm zugehört, war ihm nicht ins Wort gefallen, so wie es die anderen immer getan hatten, nein, er hatte aufmerksam und interessiert zugehört. Und Liroy? Ja, ihm hatte es noch während er erzählt hatte gedämmert, was er da eigentlich getan hatte. Das Schlimmste daran war, dass er es selbst bemerkte. Er brachte die ganzen Argumente, warum er es hätte nicht tun sollen und koppelte sie mit den sinnlosen Argumenten warum er es getan hatte. Erst als er das Blitzen in den Augen seines Bruders und das verdächtige Zucken seiner Mundwinkel wahrnahm, dämmerte ihm beim genaueren Überlegen was er da gerade von sich gegeben hatte. Sein Gehirn fing an auf hochtouren zu arbeiten und Liroy sah sein Handeln plötzlich aus einer ganz anderen Perspektive. Obwohl die Einsicht gekommen war, wenn auch etwas zu spät, vorderte sein Bruder von ihm, dass er sich selbst eine Strafe für sein vergehen aussuche. Ungläubig hatte Liroy seinen Bruder angestarrt. Er war doch schon verdroschen worden, war das nicht Strafe genug? Doch dann war ihm gedämmert, dass die Schläge den Verlust und die doppelte Arbeit die der Mann nun hatte nicht durch die Schläge verringert werden würden, also war er zu dem Mann hin gerannt und hatte sich vor ihn auf den Boden geschmissen in einer Geste der Demütigen entschuldigung und hatte ihn gebeten aushelfen zu dürfen um seinen Streich wieder gut zu machen.

Ja, damals hatte er seinen Bruder dafür geliebt. Heute, da er wusste, dass er genau diese Augen und genau diese Blicke darauf verwendet hatte seine überaus temperamentvolle Frau zu umgarnen und zu erobern, könnte er über diesen Blick nur die Nase rümpfen. Und er wollte auch nicht Ziel dieses grauenvollen Blickes sein. Nacher würde ihn noch jemand für verweichlicht halten. Nein! Das wollte er nicht. 

Immernoch schwer atmend schaute er sich im Saal um, ohne seinem Bruder noch irgendwelcher aufmerksamkeit zu Zollen und hielt ausschau. Wo war sie bloß? Ihm blieb das Herz stehen, als er die kleine Erscheinung in ihrem grünen Kleid nicht weit von sich entfernt stehen sah. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Ihren freien Rücken! Ach du heiliger Hughländer! Sie wird doch nicht tatsächlich so herumlaufen, wie sie es ihm gerade eben in seinen Gedanken weiß gemacht hatte? Das Kleid mit seiner geteilten Schärpe und dem offenen rücken ließ es doch sehr stark vermuten. Eilig schritt er auf sie zu. Das sie Lachte und sich angeregt mit einigen der anderen Frauen unterhielt, störte ihn nicht, er musste jetzt erst einmal dafür sorgen, dass seine Frau sich nicht lächerlich machte. Gerade, als er glaubte nah genug an ihr dran zu sein, um sie am Arm greifen zu können, entfernte sie sich plötzlich von ihm. Als er verdutzt stehen blieb, er verstand gerade nicht was hier passierte, bemerkte er plötzlich seine Schwägerin an ihrer Seite, die sie von Grüppchen zu Grüppchen zog und allen Leuten vorstellte. Aber hatte die Königin denn gar kein Ehrgefühl? Sie konnte sie doch nicht halbnackt diesen geiernden Neandertalern zum Frass vorwerfen?! Wieder Herr seiner Sinne folgte er den beiden. Er spürte schon wieder, wie die Wut in ihm aufstieg und er gefahr lief sie unbedacht heftig einzusetzen. Diese Frau machte ihn wirklich wahnsinnig! Gerade war er bei ihr angekommen. Unsanft packte er sie am Arm und riss sie zu sich herum, zog sie an sich und umschloss sie mit seinen Armen. Für die umstehenden war es die junge ungezügelte Liebe. Leidenschaft, die es ihm nicht erlaubte seine "Verlobte" auch nur für eine Sekunde in die Obhut eines anderen zu überlassen. Für ihn aber war es der einzige Weg ihre Blöße vor den anderen zu verbergen. Ihre weiche, von der Sonne geküsste Haut und dieses entzükende etwas von Stoff, dass nur das Nötigste an ihrem Unterleib bedeckte. Keiner sollte sie so sehen! Dieser Anblick war nur für ihn bestimmt! 

"Oh, sind sie nicht süß die zwei? Nein was sind die beiden verliebt. Junge liebe ist ja so....stürmisch!", hörte man nun die Weiber kichern. Er merkte, wie seine Lady sich unter seinem Griff wand, doch er ließ es nicht zu. Sie bereitete ihm nur ärger! Ohne weiter auf das Geschwätz zu achten packte er sie und trug sie grimmig drein schauend davon. Sonja wollte protestieren, war aber so klug ihren Mund nicht auf zu machen, zumal sie einerseits zwar sauer war, andererseits aber glaubte, dass diese Reaktion nicht von ungefähr kam. Erst als sie wahr zu nehmen glaubte, dass sie den Saal verlassen hatten, sie konnte die Musik nur noch ganz ganz leise ausmachen, begann sie zu sich in seine Gedanken einzuschleichen.

"Was genau wird das hier wenn es fertig ist?", fragte sie in seinem Kopf und er meinte einen resignierten Seufzer wahr zu nehmen.

"Sei still! Ich versuche dich hier nur zu beschützen!", brummte er böse zurück, fügte dann aber noch hinzu:" Immer Immer. IMMER machst du mir Probleme! Wie kannst du es wagen so vor meine Gäste zu treten?" Sonja wusste nicht genau was sie jetzt empfinden sollte. Ärger darüber, dass er meinte sie würde ihm ärger bereiten, obwohl sie es als genau andersherum empfand, oder belustigung darüber, dass er so wütend zu sein schien, dass er angefangen hatte sie, ohne, dass er es selber merkte, zu duzen. Sie entschied sich, zumindest ihm gegenüber ersteres klarzustellen.

"Ich dir Probleme bereiten? Meinst du nicht es ist eher anders herum?", fragte sie in das Chaos seines Kopfes hinein.

"Schweigt!", herrschte er sie unbewusst intensiv an. Oh, wie sie es hasste von so einem eitlen Arsch von Eckelpacket angeschrien zu werden! Hatte er denn keine Ahnung, was das in ihrem Kopf verursachte, wenn er so laut schrie? Aber nein, er setzte sogar noch einen drauf. 

"Ich lasse mir das nicht mehr gefallen. Ich lasse mich nicht von Frauen herum schubsen! Ich wusste schon vorher, dass du mir nur ärger bringen wirst und beim Hughlander! Wäre es nicht um diese vermaledeite Prophezeihung, ich hätte dich nicht herbringen lassen! Als wenn du eine anständige Frau sein könntest! Pah, das ich nicht lache!"

Jetzt hatte sie aber genug! Was fiel diesem aufgeblasenen Idioten eigentlich ein?

"Liroy McLoyd! LASS MICH SOFORT RUNTER!", zischte sie, böse und bestimmt.

Von Zeit zu Zeit ist doch die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt