Kapitel 6

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56 Tage vor Tag X

Anna

3 Tage später
Bevor ich mich fertig machte und zur Schule ging, rief ich meine Eltern an, um zu fragen, wann sie zu Hause ankommen, denn Heute war der Tag, an dem sie nach ihrer langen Geschäftsreise wieder zurück nach Hause kommen. „Hey Anna!" begrüßte mich meine Mutter am Telefon. „Wann seid ihr wieder da?" fragte ich sie. „Gegen Mittag!" antwortete sie mir. „Hast du denn unseren Brief gelesen?" fragte sie. „Welchen Brief?" Erkundigte ich mich verwirrt. „Eigentlich hatten wir dir eine Postkarte zugeschickt!" erzählte sie mir. „Oh, Ich habe noch gar nicht in den Briefkasten geschaut." Lachte ich am Telefon. „Ich öffne ihn sofort, wenn ich von der Schule komme, aber ich muss jetzt dringend los!" „Alles Klar, bis nachher Schatz!" verabschiedete sie sich. „Sag Papa liebe Grüße!" gab ich ihr in Auftrag. „Mach ich! hab dich lieb!" „Ich euch auch!" entgegnete ich ihr und machte mich auf zur Schule.
Nach dem Unterricht fuhr ich mit Noah zum Bakersfield Park, um ein Bisschen die Sonne zu genießen, abzuschalten und über die letzten Tage zu quatschen. Wir legten uns auf die große Wiese inmitten des Parkes, der von vielen Ahornbäumen, einem fließenden Bach und ein Paar wenigen Besucher umgeben war. „Und, was gibt's Neues zu berichten?" fragte mich Noah, während er gerade dabei war es sich gemütlich zu machen. „eigentlich nichts neues. Meine Eltern kommen Heute, ich freue mich so!" „Verständlich!" meinte Noah und schaute auf den Boden. „Und bei dir?" fragte ich ihn. Plötzlich fing er an zu grinsen. „Ich habe dir das ja noch gar nicht erzählt!" sagte er und schaute mich verlegen an. „Was denn?" erkundigte ich mich. „Das kommt vielleicht ein wenig plötzlich, aber Ich habe Luca geküsst!" „Du hast was gemacht Noah?" „Luca geküsst!" „Noah, du weißt, dass du noch eine Freundin hast!" versuchte ich ihm deutlich zu machen. „Ich weiß, aber ich war so betrunken und ich weiß nicht, die Situation hat es einfach ergeben." Ich verdrehte die Augen, atmete schwer aus, akzeptierte sein Verhalten und grinste: „Und wie wars?" „So krass!" schwärmte er und warf sein Kopf auf den Boden mit blick in den Himmel. „Aber wie kam es überhaupt dazu?" forschte ich verwirrt nach. „Nach dem Rennen waren wir draußen, mein Kopf auf seinem Schoß, ein Tiefgründiges Gespräch, ein Paar funken und Bam, ein Kuss!" erklärte er trocken. „Oh Gott, wie Zucker!" schwärmte ich. „Aber Noah, was ist mit Lea?" „Was mit Lea ist? Ganz ehrlich Anna, ich habe mir so viel Gedanken drüber gemacht, ob mein Verhalten richtig war oder nicht, aber im Ernst, wie viel scheiße hat sie mir schon angetan, wie oft hat sie mich emotional belastet, runtergezogen, fertiggemacht mit ihren dummen Eifersuchtsaktionen?" beschwerte er sich aggressiv. „Da hast du wohl recht! Aber willst du denn nicht mal mit ihr reden?" versuchte ich ihn zur Vernunft zu bringen. „Zu reden Anna? Mit Lea? Der Eifersüchtigen, Nazistischen, egoistischen Lea?" „Ein Versuch ist es doch Wert Noah, oder mach komplett Schluss! Ihr fremd zu gehen auf Dauer ist keine Lösung!" „Schlussmachen?" fragte er und verzog das Gesicht. „Willst du es nicht einfach beendet Noah?" „Nein, auf gar keinen Fall!" fauchte er. „Wieso denn nicht Noah, du hast jeden Grund dazu?" fragte ich ohne Verständnis nach. „Wieso? Weil Ich sie liebe Anna! Ich liebe sie über alles!" versuchte er mir klarzumachen. „Nein Noah, das Ist keine Liebe, das ist emotionale Abhängigkeit!" fluchte ich und schüttelte den Kopf. „Du hast lange genug nur an sie gedacht, denk jetzt doch einmal an dich!"
„Ich werd's mir überlegen!" murmelte er und verdrehte die Augen.
„Wann kommen deine Eltern eigentlich?" erkundigte er sich. „Gute Idee, ich ruf sie mal an!" meinte ich und kramte mein Handy aus der Hosentasche.
Nachdem das Handy ein paar Sekunden klingelte, legte es automatisch wieder auf. „hm Komisch" bemerkte ich. „Normalerweise gehen sie immer ans Telefon!" „Vielleicht haben sie gerade kein Empfang oder sind beschäftigt!" versuchte mich Noah mit jeglichen Möglichkeiten zu beruhigen. „Wann sollten sie denn zu Hause sein?" fragte er. „Sie meinten gegen Mittag!" Noah schaute besorgt, schluckte schwer und blickte auf sein Handy. „18 Uhr, komisch!" bemerkte er. „Wollen wir mal bei dir zu Hause nachschauen? Vielleicht sind sie schon zu Hause!" schlug Noah vor. „Ja, bestimmt!" hoffte ich und packte unsere Sachen zusammen, um aufzubrechen.
Als wir vor der Tür ankamen, sah ich kein Auto, kein Licht und keine Anzeichen, dass sie da sein könnten. „Anscheinend sind sie noch nicht da!" meinte ich und betrat das Haus. Es war still. Noch nie war es so still zu Hause. Ich hoffte, dass meine Sorgen unberechtigt seien, doch irgendwas fühlte sich falsch an. „Mama, Papa?" rief ich, doch außer dem Hall meiner eigenen Stimme hörte ich keine Antwort. Noah lief durch das Haus und sah sich um, während ich am Haustelefon nachschaute, ob ein Anruf entgangen ist. Und tatsächlich, ein entgangener Anruf. Unbekannt. „Noah!" rief ich. Ich hatte Angst, Sorgen und dachte darüber nach, was Schlimmes passiert sein könnte. Plötzlich kam Noah um die Ecke und fragte: „Was ist?" „Ein Unbekannter Anruf!" meinte ich besorgt und zeigte auf das Festnetztelefon. „Ruf zurück!" befahl mir Noah panisch. Ich drückte auf die Nummer, setzte den Hörer an mein Ohr und lauschte dem piepsenden Geräusch in der Hoffnung die Stimme meiner Mutter zu hören. „Krankenhaus Bakersfield hier hallo, spreche ich mit Anna Stevenson?" „Ja, w- was ist?" stotterte ich. „Es tut mir leid ihnen mitteilen zu müssen, dass ihre Eltern einen schweren Autounfall bei ihrer Ankunft in Bakersfield hatten. Dabei erlitt ihr Vater einen schweren Genickbruch, er wird es vermutlich nicht schaffen, es tut mir leid!"
Ich schwieg, setzte den Hörer von meinem Ohr, lauschte meinem Herz und spürte wie es langsam in tausend Scherben zerbrach.Ich starrte Noah in die Augen. Eine Träne kullerte über meine Wangen. Plötzlich fing auch Noah an Tränen zu weinen und schüttelte den Kopf, während er ein „Nein" von sich gab. „K- Können wir ihn dennoch besuchen?" stotterte ich weinend. „Ja, sie können Jederzeit vorbeikommen!" bestätigte mir die Frau am Hörer. Ohne ein Wort zu sagen, legte ich auf, verließ das Haus und setzte mich mit Noah auf sein Motorrad.
Während er uns mit voller Geschwindigkeit ins Krankenhaus fuhr, spürte ich, wie meine Seele langsam meinen Körper verließ. Bunt wurde Schwarz, Hell wurde dunkel, warm wurde kalt, Tag wurde Nacht.
„Wir müssen zu Harry Stevenson!" schrie Noah die Frau an der Rezeption an. „Bitte begleiten sie mich!" erwiderte sie und führte uns an das Zimmer meines Vaters. Das Krankenhaus war kalt und leer. „Sie können zu ihm!" versicherte uns die Dame und öffnete die Tür zu meinem Vater.
Er lag auf einer Liege. An ihm waren etliche Schläuche, Verbände und Beatmungsgeräte befestigt . „Papa!" weinte ich neben ihm, während ich mich gerade auf einen Stuhl neben seinem Bett setzte. „hörst du mich?" fragte ich ihn, während mir eine Träne über die Wangen kullerte. Ich berührte seine Hand, streichelte über sie. Sie war so kalt! Ich sah, wie er seine Augen schwer versuchte zu öffnen. „Ich liebe dich Papa!" sagte ich und streichelte ihm über die Wangen. Plötzlich gab er einen schwachen Ton von sich und zuckte mit der Hand. Ich griff nach ihr und meinte: „Ich bin da Papa! Anna!" Während mir eine Tränen aus den Augen flossen. Plötzlich verlor er seine Kraft und lies die Spannung in den Fingern los. Das Pulsgerät begann in einem durchgehenden Ton zu piepsen. „Nein, Papa!" flehte ich und drückte seine Hand fest zu. „Bitte!" schluchzte ich und weinte. „Krankenschwester!" schrie Noah und rannte aus dem Zimmer raus, während der Geist meines Vaters langsam seinen Körper verließ. „Was ist mit unserer Zukunft? wir hatten so viel vor!" weinte und ich lehnte meinen Kopf gegen seinen leblosen Körper. Plötzlich stürmten 2 Ärzte in das Zimmer. „Wir bitten sie das Zimmer umgehend zu verlassen miss Stevenson!" bat mich eines der Ärzte. „Nein bitte warten sie!" befahl ich den Arzt und drückte dir Hand meines Vaters. „bitte Papa! Du kannst nicht gehen, bitte!" „sie müssen das Zimmer nun umgehend verlassen Miss Stevenson!" befahl mit der Arzt in einem ernsteren Ton. Ich ignorierte ihn, legte meine Hand auf sein Herz, verlor eine Tränen und flehte „bitte Papa!"
Plötzlich zerrte mich ein Security Mann aus dem Zimmer. Weinend fiel in Noahs Arme. „Es tut mir so leid Anna!" sprach Noah sein Beileid aus und drückte mich fest. „Wo ist meine Mama?" fragte ich und schaute mich nach einer Krankenschwester in der Nähre um. Nachdem mir eines der Krankschwestern in den Blickwinkel fiel, rannte ich zu ihr und erkundigte mich hektisch: „Wo ist meine Mutter?" „Stevenson, richtig?" „Ja, bitte, schnell!" „Hier entlang!" bat mich die Krankenschwester und führte uns zum Zimmer meiner Mutter. „Ich habe ein Paar gute, allerdings auch einige schlechte Neuigkeiten für sie miss Stevenson!" erklärte mir die Krankenschwester, die uns durch das Krankenhaus führte. „Die wären?" griff Noah ein. „Ihre Mutter ist in einem etwas stabilerem Zustand und hat Chancen zu überleben!" verkündete sie. „Und die schlechte?" fragte ich besorgt. „Sie liegt im Koma! Wir wissen nicht, wie lange sie braucht! Falls sie es überhaupt schafft. Außerdem besteht die Gefahr im Falle, dass sie aufwacht, dass sie sich an nichts erinnern wird!" Ich zitterte. Ich zitterte am ganzen Körper. Die Krankschwester führt mich in das Zimmer, indem meine Mutter regungslos auf dem Krankenbett lag. „Kann sie mich hören?" fragte ich panisch. „Vermutlich nicht, nein!" antwortete sie mir. Ich setzte mich neben sie ans Bett und streichelte ihren Arm. Noah stellte sich neben mich und berührte meinem Rücken. „Wann wird sie aufwachen?" erkundigte ich mich. „Erstmal müssen wir sie aufrechterhalten. Dass sie es überhaupt schaffen wird, ist nicht garantiert miss Stevenson! Im Durchschnitt dauert es ein paar Monate, bis Jahre, dass unsere Patienten aus einem solchen Zustand kommen!" erklärte sie. „Jahre!?" dröhnte ich erschrocken. „Wie stehen ihre Chancen?" fragte Noah. „So genau kann ich es ihnen nicht sagen. Solche Fälle zu überleben ist selten! Ihre Mutter hatte Riesen glück!" „Glück? Was ist denn passiert?" forschte ich nach und rieb mir meine ausgetrockneten Augen. „Darüber kann ich vorab keine Auskunft geben! Die Polizei wird sich die Tage bei ihnen melden!"
„Wie kann das alles sein!" heulte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. „Es tut mir leid Miss Stevenson, aber sie müssten das Zimmer jetzt verlassen!" bat mich die Krankenschwester. Kurz danach verließen wir das Zimmer und ich fiel Noah in die Arme. „Was soll ich jetzt tun? Wo soll ich hin" heulte ich. „Anna, alles gut! Du kannst zu Uns, mir und meiner Mutter!" bot mir Noah an. „Danke! Ich kann das alles nicht mehr! Es tut so weh Noah!" Schluchzte ich.
Nachdem wir zurück zu meinem Haus gefahren sind und die Haustür betraten, erinnerte ich mich an das Telefonat, welches ich heute morgen mit meiner Mutter führte. „Hast du denn unseren Brief gelesen?" hatte sie mich gefragt. Ich drückte die Augen zu, begab mich ohne Noah Bescheid zu geben zum Briefkasten und öffnete ihn langsam. Alles schien so Stil, während ich den Briefkasten öffnete. Kein Vogel zwitscherte, kein Auto fuhr an der Straße vorbei und man hörte keinen einzigen Ton. Nur die Stille und der leichte Wind der um meine Ohren pfiff. Mich umgab die Pure Ruhe.
Mit Herzassen öffnete ich den Briefkasten, schaute hinein und sah den weißen Umschlag, der als einziger in ihm lag. Meine Hände zitterten, ich hatte Angst und war nervös, doch griff nach ihm und lief mit dem weißen Umschlag in der Hand zurück ins Haus. „Wieso warst du so lange draußen Anna?" entgegnete mir Noah als ich die Tür betrat. „wieso lange, ich habe nur kurz einen Brief geholt?" fragte ich irritiert. „Anna du standest eine halbe Stunde vor dem Briefkasten!" stammelte er besorgt. Ich schaute nach unten in meine Hände, in denen Ich den Brief fest umschlang und drückte eine Träne aus meinen Augen. Nachdem die Träne meine Wangen runterfloss und auf den Umschlag knallte, zuckte ich zusammen und atmete hektisch ein. „Oh Anna!" jammerte Noah und nahm mich in die Arme. „Es war die Stille! Es war so ruhig!" heulte ich in seine Schulter. „Was hast du da?" fragte er mich einige Sekunden später. „Ein Brief meiner Mama!" schluchzte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. „Willst du ihn denn lesen?" fragte er. Ich nickte, machte mich auf ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch. Unter Tränen öffnete ich den Brief und las ihn:

Liebe Anna,
Ich und dein Papa haben gerade eine Super Zeit! Schon nach den ersten Tagen konnten wir einen Deal für unsere neue Uhrenkollektion raushandeln, weshalb wir jetzt die nächsten Tage nur noch am Strand liegen werden und es uns gut gehen lassen! Wir vermissen dich so sehr und freuen uns dich wieder zu sehen! Wie gerne wünschten wir uns, dass du auch hier mit uns wärst. Aber Schule geht vor! In den Sommerferien werden wir etwas unfassbar Schönes zusammen machen, versprochen! Ich muss ehrlich sein, ich habe schon lange nicht mehr so ein Brief gemacht! Naja, wenigstens kann ich jetzt eine Sache von meiner To-Do Liste, von Dingen, die ich noch unbedingt machen will, abhacken: Einen Brief schreiben! Ich hoffe dir geht es gut und deine Party war ein mega Erfolg!
Liebe Grüße
Deine Lieblingseltern

Ich knickte den Brief zusammen, steckte ihn erneut in den Umschlag hinein und starrte die Wand gegenüber mir an. „Es ist so Stil!" heulte ich. Noah sagte nichts, schlug sein Arm um meine Schultern und tröstete mich. Ich hörte ihn atmen, Ich hörte mich atmen. Ansonsten nur Stille. Und vielleicht mag diese stille schweigen sein, doch sie war keine Ruhe und ganz sicher kein Frieden

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