➳ 27. Der kleine Funken

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"Wieder eine gute Klausur, aber das kannst du auch noch besser", sagt er mit einem aufmunternden Lächeln. Zum vierten Mal in diesem Schuljahr.

Und da ist er. Ein kleiner Funken, der etwas Großes beginnt. Unscheinbar, kaum bemerkbar glimmt er in mir. Ich ignoriere ihn.

"Das sieht doch ganz gut aus", sagt sie und trägt mir ohne Begründung dieselbe nicht zufriedenstellende Anzahl an Punkten ein. Wie jedes Mal, seit ich sie kenne. Dabei hatte ich es diesmal wirklich versucht.

Der kleine Funken in mir wächst zu einer mickrigen Flamme heran. Sie tanzt unruhig umher, doch wärmen könnte sie mit ihrer Größe niemanden.

"Wenn du dich noch ein bisschen mehr anstrengst, schaffst du es", lächelt er und glaubt ganz fest daran. So, wie er es schon seit anderthalb Jahren tut.

Die Flamme wird zum Feuerchen, erhitzt mich und möchte eine Reaktion auf sich erhalten. Ich schlucke sie herunter und erlösche ihren Eifer zunächst damit.

"Wenn du um einen Viertelpunkt schlauer, präziser, besser gewesen wärst, hättest du dein Wunschergebnis erreicht. Zu schade, ich werde jetzt nicht danach suchen", enttäuscht sie mich mit einer Leichtigkeit in der Stimme, die nur Menschen haben können, die überlegen sind.

Das Feuer züngelt wieder höher und brennt mir im Magen, brennt mir in der Brust, brennt mir im Hals. Es treibt mir die Tränen in die Augen und trocknet meinen Mund aus. Diesmal kann ich es nicht löschen.

"Soll ich dir bei deinem Referat helfen? Ich bin doch viel besser in dem Fach, ich kann Fehler und Inhalt verbessern", bietet er an und glaubt aus tiefstem Herzen, mir zu helfen. Ich werde ihm niemals sagen, wie arrogant es auf mich wirkt. Er meint es nur gut und mir kann es niemand Recht machen.

Mein ganzer Körper brennt, heimlich, nur ich bemerke es. Ich möchte schreien, aber die Angst Feuer zu spucken und andere mit den lächzenden Flammen zu verletzen, hält mich ab. Ignorier es. Es wird besser werden. Ignorier es. 140, 139, 138, 137...

"Deine Präsentation war perfekt, die Beste des Kurses, ich war beeindruckt!", sagt er und ich schaue auf. "Leider kann ich dir die Bestnote nicht geben, ich muss dir zwei Punkte abziehen. Diese Sache hier, die du in keinem möglichen Szenario hättest wissen können, war nicht gut genug. Naja, so ist das." Nur, weil ich mich auf andere Leute verlassen habe.

"Hey, voll cool, was du da vorstellst. Zumindest wäre es das, wenn du diese drei Dinge noch anders gemacht hättest, und - was soll das sein? - Ich hoffe mein Feedback hilft dir weiter", kritisiert sie mich vor dem ganzen Kurs und blinzelt die Lehrerin an, die die Kritik sofort einsieht und in ihre Bewertung sorgfältig einarbeitet. Das Mädchen lächelt selbstzufrieden. Freut mich, dass sie ihre mündliche Note gerade verbessert hat.

"Hey, ich weiß, du gibst dir gerade voll viel Mühe mit dem da. Aber guck her, meine Kriterien. Bin ich mal gespannt, ob deine kleine Bastelei daran vorbeikommt", sagte sie und ich fuhr aus meinem Tagtraum hoch. Sagte sie nicht. Noch nicht. Nicht laut. Nicht so. Aber implizieren ihre Worte genau das nicht schon seit Wochen? Ich starre auf die Arbeit, an der ich seit drei Monaten, zahlreichen Stunden und freien Tage sitze. Wieso versuche ich es noch?

Ich gehe. Ich hinterlasse eine Aschespur. Mein Körper schmort, bröckelt langsam und gibt sich den Flammen hin als lebendige Glut.
Der einstmal kleine Funken, der sich anfangs nur irgendwo ganz tief in meinem Magen eingebrannt hatte, hatte alles entfacht, erfüllte jeden Winkel in mir, fraß sich in meine Knochen und meine Haut, in meine Organe und in mein Herz.
Und weil es das Einzige war, das er noch nicht besaß, überlegte er sich einen Namen. Er fand schnell einen sehr schönen. Frust.

One Shits äh ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt