➳12. Mein bester Freund

84 8 20
                                    

Es gibt Menschen, die fürchten sich vor Nichts und Niemandem.
Und es gibt Menschen, die haben selbst Angst vor ihrem eigenen Schatten.

Mein bester Freund ist ein Mensch der zweiten Sorte.
Ich glaube, er hat Angst vor allem, selbst vor seinen Freunden. Ich mag ihn trotzdem sehr.

Vielleicht ist bester Freund auch nicht richtig, nicht für ihn.

Er beachtet mich nicht oft und manchmal komme ich mir deswegen fast unsichtbar vor.

Er hat mich noch nie länger als ein paar Sekunden angeschaut oder ein Gespräch mit mir geführt.

Ich frage ihn Dinge, mache Witze, ruf nach ihm und singe Lieder rauf und runter, bis mir der Hals kratzt und die Töne nicht mehr tanzen wollen, aber er scheint es nicht einmal zu hören.

Andererseits hat er mir auch noch nie befohlen, ich solle weggehen. Man kann schließlich niemandem Dinge befehlen, wenn man nicht mit ihm redet.

Also bleibe ich und laufe ihm nach, wohin er geht.

Ich habe nicht viele Freunde.
Nur meinen besten Freund.
Wir machen alles zusammen.

Einmal haben wir auf einer Klassenfahrt eine Nachtwanderung gemacht. Sie hat uns beiden keinen Spaß bereitet.
Mein bester Freund stolperte in der Dunkelheit und ich stolperte hinterher, immer wieder geblendet von den viel zu hellen Taschenlampen, die mich dazu brachten, die Augen fest zuzukneifen. Es gehört kein Licht in die Nacht.

Ich stolperte wieder, direkt hinter meinem besten Freund.
Ich lief immer hinter ihm.
Als er sich umdrehte, erschrak er sich furchtbar, und fing fast an, zu weinen.

Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht der Grund für seinen Schrecken war.

Ich glaube nicht, dass er mich mag.

Er läuft immer sehr schnell, wenn er mich hinter sich wähnt.
Ich sehe es an dem ängstlichen Blick aus den Augenwinkeln, den er mir dann zuwirft.
Er läuft dann so schnell, dass ich Mühe habe, hinterherzukommen.

Ich laufe und laufe und laufe, weil er läuft und läuft und läuft.

Ich bleibe völlig außer Atem stehen, weil er endlich stehenbleibt.

Ich lasse meinen besten Freund nicht allein. Auch wenn er mich entweder nicht bemerkt oder mich fürchtet. Ich bleibe an seiner Seite, weil es das ist, was beste Freunde tun.

Wer weiß, vielleicht kommt eines Tages der Moment, an dem er sich umdreht und mich ansieht.
An dem er mich anlächelt und mich grüßt.
An dem er meine Fragen beantwortet, über meine Witze lacht, nach mir ruft wie ich nach ihm rufe und die Lieder mit mir singt, die Töne weitertanzen lässt, wenn ich nicht mehr kann.

Der Moment, an dem er nicht mehr so hetzt und keine Angst hat.
Der Moment, an dem sich meine Mühen auszahlen und ich auch sein bester Freund werde.

Denn ich hätte gerne, so gerne einen Freund.

Da fällt mir auf, ich habe mich nicht vorgestellt.

Mein Name ist Schatten.

Und wie ist deiner?

One Shits äh ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt