Wie es sich anfühlt, drei Tage nach meiner vergeigten Prüfung am Strand von Sunhaven zu stehen? Ultra-galaktisch-krass-abgefahren!
Und auch ein bisschen surreal.
Das türkisfarbene Meer erstreckt sich wie ein gigantischer Teppich aus Wellen vor meinen Füßen. Möwen fliegen kreischend durch die Luft, die Sonne scheint und es riecht nach einer Mischung aus Wassermelonen und Ananas.
Obwohl die Sommerferien schon seit drei Wochen beendet sind, tummeln sich recht viele Menschen am Strand. Einige liegen im Sand und lesen, andere spielen Volleyball und wiederum andere hören Musik oder schlafen.
Ich atme tief ein, sodass sich meine Lungen mit der Meersalzluft füllen. Die Last, die mein stressiger Alltag mit sich bringt, fällt endlich von mir ab und verpufft zu Staub.
Ich genieße es, wie sich die warmen Sandkörner zwischen meine Zehen graben, wie der Wind an meinen Locken zerrt, wie das Meeresrauschen eine Gänsehaut auf meinen Armen erzeugt und wie mir die Sonnenstrahlen ein glückliches Lächeln ins Gesicht zaubern.
Hier kann ich entspannen und zur Ruhe kommen; das merke ich sofort.
Während ich gedankenverloren am Wasser entlangspaziere, wähle ich Frannys Nummer. Da sie meist eine Bildschirmlaufzeit von zwölf Stunden hat, nimmt sie meinen Anruf sofort entgegen.
„Milli?", kreischt sie aufgeregt meinen Spitznamen in den Hörer. „Bist du gut angekommen? Wie war der Flug? Wie ist dein Hotel? Warst du schon am Strand? Wann-"
„Vergiss nicht zu atmen, Franny!", unterbreche ich meine beste Freundin lachend, damit sie nicht an ihren vielen Fragen erstickt.
Zum Glück befolgt sie meinen Rat und holt einmal tief Luft – auch wenn sie mich bestimmt am liebsten mit noch mehr Fragen bombardieren würde. Ich nutze ihr Schweigen aus und antworte: „Es hat alles problemlos geklappt. Der Flug war gut und das Hotel ist auch sehr schön. Jetzt gerade bin ich am Strand und erkunde ein bisschen die Gegend."
„Oh man", seufzt Franny. „Ich bin so neidisch! Wehe, du schickst mir keine Fotos!"
Um meiner Freundin zumindest eine kleine Freude zu machen, öffne ich die Kamera auf meinem Handy und fotografiere einen Surfer, der anmutig über die Wellen reitet. Das Bild schicke ich Franny danach per WhatsApp und füge den Smiley mit der Sonnenbrille hinzu.
„Wie unfair! Ich will auch surfen und ans Meer!"
Tatsächlich hätte ich Franny sehr gerne mit nach Sunhaven genommen, aber leider beginnt nächste Woche ihr Praktikum in einer der renommiertesten Tierkliniken Englands und diese Chance sollte sie sich nicht entgehen lassen.
Ich komme auch ohne sie klar – hoffe ich jedenfalls.
Wir unterhalten uns noch zehn Minuten über Surfer und andere belanglose Dinge, bis ich notgedrungen auflegen muss, weil mein Handy nur noch zwei Prozent Akku hat. Tja, mit Franny und ihren dreitausend Powerbanks wäre das nicht passiert ...
Ich verstaue mein Handy wieder in meiner Hosentasche und schaue mich dann um. Wie es das Schicksal so möchte, befindet sich nur zwanzig Meter entfernt von mir eine kleine Hütte mit Strohdach. An der Fassade sind mehrere Lichterketten und blinkende Schilder, die wie Meerestiere aussehen, angebracht worden, um die Atmosphäre aufzulockern.
Mit einem vorfreudigen Lächeln auf den Lippen schlendere ich durch den lauwarmen Sand und erreiche wenige Sekunden später die Hütte. Direkt neben der Eingangstür hängt ein weißes Schild mit der Aufschrift You're not lost. You're here.
Ob das wohl ein weiteres Zeichen des Schicksals ist? Wie es scheint, bin ich endlich am richtigen Ort angekommen.
Ich schaue mir noch kurz das weiße Schild an und präge mir den Spruch ein, bevor ich die Hütte betrete und mich an einem Tisch, der mit Muscheln und Sandmalereien verziert ist, niederlasse.
Die Hütte stellt sich als Strandbar heraus, in der eine ausgelassene Stimmung herrscht. Eine Mischung aus knusprigen Pommes und süßen Cocktails wabert durch die Luft und umgibt mich wie eine zweite Aura. Musik dröhnt aus Lautsprechern, bunte Scheinwerfer ziehen Kreise durch den Raum und zwei junge Mädchen tanzen fröhlich auf dem Parkett.
„Wow", raune ich leise. Dieser Ort ist magisch und pulsiert vor lauter Energie und Lebensfreude.
Am liebsten würde ich den beiden Mädchen noch länger dabei zusehen, wie sie ihre Hüften kreisen lassen, doch ein Mann mit schwarzen Locken, dunklen Knopfaugen und Dreitagebart schiebt sich frecherweise in mein Sichtfeld.
„Herzlich Willkommen im Lost", begrüßt er mich freundlich. „Was darfs denn sein?"
„Äh", stammele ich überfordert, da ich noch keinen Blick in die Speisekarte geworfen habe. „Habt ihr einen Tequila Sunrise?"
„Klar", grinst mich der Mann gutgelaunt an, wodurch er eine Reihe strahlendweißer Zähne entblößt. „Kommt sofort!" Er notiert sich noch etwas auf seinem Block, ehe er zu einem anderen Tisch weiterhuscht und auch dort die Bestellungen aufnimmt.
Während ich auf meinen Cocktail warte, beobachte ich die anderen Menschen im Lost. Sie unterhalten sich angeregt miteinander, lachen, singen oder wippen zum Takt der Musik mit.
Was sie alle gemeinsam haben? Sie sehen glücklich aus!
Je mehr Zeit ich hier in Sunhaven verbringe, umso deutlicher spüre ich, dass es die richtige Entscheidung war, meinen Alltag hinter mir zu lassen und stattdessen meinen Träumen zu folgen.
„Einen Tequila Sunrise für die junge Dame", reißt mich der Kellner mit den dunklen Knopfaugen ein zweites Mal in die Realität zurück. Er stellt ein Glas, das die Form eines Fisches hat, vor mir ab und säuselt dann zwinkernd: „Guten Durst!"
Überrumpelt von seiner offenen Art schaffe ich es nicht, etwas auf seine Worte zu entgegnen.
Hat er gerade mit mir geflirtet? Oder zwinkert er jedem weiblichen Gast zu?
Oh man, noch mehr Chaos kann ich gerade echt nicht in meinem Leben gebrauchen!
Umgeben von Musik, positiver Energie und blinkenden Lichtern trinke ich meinen Cocktail auf. Nachdem ich bei Mister Knopfauge bezahlt habe, verlasse ich das Lost und opfere meinen restlichen Handyakku dafür, um ein Foto von dem Schild neben der Eingangstür zu machen.
You're not lost. You're here.
Ein sehr passender und irgendwie auch inspirierender Spruch, wie ich finde.
Da ich noch von dem Flug erschöpft bin und mich Alkohol oft müde macht, beschließe ich, den Rückweg zu meinem Hotel anzutreten. Begleitet von einem Gefühl der Sehnsucht lasse ich die Strandbar hinter mir und schlendere langsam am Meeresufer entlang.
Die Wellen umspielen meine Füße und erzeugen ein kühles Prickeln auf meiner Haut. Wie hypnotisiert gleitet mein Blick in die Ferne und verliert sich in dem türkisfarbenen Wasser, das im Sonnenschein magisch glitzert.
Wie kann ein Ort nur so verdammt traumhaft sein? In der Realität ist Sunhaven noch zehnmal beeindruckender als auf all den Fotos, die ich im Internet gesehen habe.
Ich seufze zufrieden und möchte meine Aufmerksamkeit zurück auf den Strand richten, als meine Augen plötzlich an einem kleinen Punkt weit hinten im Meer haften bleiben.
Es dauert einen kurzen Moment, bis sich meine Sicht schärft und ich realisiere, was dort gerade passiert.
Ein Mensch rudert wild mit den Armen und wird immer wieder von den Wellen verschluckt. Dass er zu ertrinken droht, ist nicht zu übersehen.
Scheiße!
Was soll ich jetzt bloß machen?
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Meersalzküsse im Gepäck
ChickLitMaila Westfield ist mit ihrem Leben unzufrieden, denn statt ihren Träumen zu folgen, versinkt sie in einem Berg aus Arbeit und Uni-Stress. Nach einer weiteren vergeigten Prüfung zieht Maila dann die Reißleine und bucht sich kurzerhand einen Flug nac...