8 - Unter Wasser

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Als mein Handywecker um halb sechs am Morgen klingelt, bin ich kurz versucht, einen nicht ganz jugendfreien Fluch auszustoßen, doch dann erinnere ich mich wieder daran, wo ich mich momentan befinde und wie kostbar die Zeit ist.

‚Life is short. Do stuff that matters', wiederhole ich den Spruch von meinem Tischkalender wie ein Mantra in meinem Kopf.

Mit neuem Elan krabbele ich schließlich aus dem Bett, ziehe mir ein geblümtes Sommerkleid an, erledige meine Routine im Bad und heiße danach sowohl den Strand als auch das Meer willkommen.

Ich genieße die Ruhe und die Harmonie, die so früh am Morgen herrschen. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel, wie sich die orangefarbene Sonnenscheibe aus dem Ozean erhebt und die Welt mit ihren leuchtenden Strahlen zum Leben erweckt.

Der Sand ist bereits lauwarm, als ich mich auf den Weg in Richtung Tauchschule mache. Es weht kaum ein Wind, sodass auch nur vereinzelte Wellen am Ufer brechen.

Ich atme die salzige Meeresluft ein und spüre, wie sie meine Sinne beflügelt.

Vollgepumpt mit positiver Energie erreiche ich wenige Minuten später das Lost in the ocean. Wie auch schon am Vortag sitzt Landon auf einem Handtuch und meditiert.

Ich bin fasziniert, wie entspannt, losgelöst und zufrieden er aussieht; so als würde es keine Probleme auf der Welt geben.

Vielleicht sollte ich ihn mal nach ein paar Tipps fragen, die mir meinen stressigen Alltag zuhause in England erleichtern könnten.

Ich warte noch, bis Landon fertig mit dem Meditieren ist und begrüße ihn dann mit einer Umarmung. „Guten Morgen", säusele ich in sein Ohr. „Wie hast du geschlafen?"

Landon versteift sich und seufzt. Kurz zögert er, ehe er zugibt: „Nicht so gut."

„Oh, warum nicht?", hake ich direkt nach.

Vorsichtig löse ich mich aus Landons Armen, um ihm in die Augen schauen zu können. Sein Ausdruck ist undefinierbar und jagt mir eine eisige Gänsehaut über das Rückgrat.

Landon schluckt schwer und räuspert sich einmal. Erst danach traut er sich zu sagen: „Vor fünf Monaten wurde ein kleines Mädchen von einem Auto angefahren. Ich war zufällig auf der gegenüberliegenden Straßenseite und habe sofort erste Hilfe geleistet. Das Mädchen ist noch vor Ort in meinen Armen gestorben; wenige Minuten, bevor der Rettungswagen kam." Landons Stimme zittert gefährlich und spült ein paar Tränen an die Oberfläche – nicht nur bei ihm. „Seitdem habe ich oft Albträume und kann nicht mehr richtig schlafen. Ich mache mir Vorwürfe; ob ich vielleicht nicht genug getan habe, um sie zu retten."

Scheiße! Was sagt man zu solch einem grausamen Vorfall? Ein „Tut mir leid" scheint mir in dieser Situation überhaupt nicht angebracht zu sein.

„Landon, ich-", setze ich an. Letztendlich muss ich allerdings innehalten, da ich nicht weiß, wie ich meinen Gefühlswirbelsturm in Worte fassen soll.

„Schon gut, Maila", winkt Landon mit einem traurigen Lächeln ab. „Ich gehe einmal in der Woche zum Psychologen, um mein Trauma zu bewältigen. Bei mir dauert es einfach nur ein bisschen länger als bei anderen."

Okay, jetzt bin ich offiziell sprachlos.

Landon ist mit Abstand der stärkste Mensch, den ich kenne. Es ist mutig, seine Probleme nicht einfach unter den Teppich zu kehren oder zu verdrängen, sondern sich ihnen zu stellen. Dass er sich professionelle Hilfe gesucht hat, ist in meinen Augen das Beste, was er hätte machen können.

Um auch nur annähernd das auszudrücken, was sich gerade in meinem Herzen abspielt, greife ich nach Landons Hand und sage voller Aufrichtigkeit: „Danke, dass du mir davon erzählt hast. Ich weiß dein Vertrauen sehr zu schätzen!"

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