6 - Atmen!

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Um ehrlich zu sein fühlt es sich mehr als nur surreal an, eine Viertelstunde später vor der Tauchschule Lost in the ocean zu stehen. Die Schule befindet sich direkt am Strand und sieht von außen wie eine unscheinbare Strohhütte aus. Lediglich die Schwimmflossen-Skulpturen, die neben der Eingangstür und auf dem Dach angebracht sind, geben einen Hinweis darauf, dass es sich um eine Tauch- oder Schwimmschule handeln könnte.

Gemeinsam mit Landon betrete ich die Hütte und finde mich sogleich in einem kleinen Raum wieder, der mit einem Empfangstresen, mehreren Stühlen und einem Aquarium ausgestattet ist. An der rechten Wandseite, die so türkisfarben wie das Meer schimmert, hängt ein weißes Schild.

You're not lost. You're here.

Moment mal. Verfolgt mich dieser Spruch etwa oder sehe ich schon Gespenster?

Mit gerunzelter Stirn drehe ich mich zu Landon und frage ihn neugierig: „Warum gibt es hier dasselbe Schild wie im Lost?"

Landon weiß sofort, wovon ich spreche, denn sein Blick wandert zu der türkisfarbenen Wand hinüber. „Das ist der Leitspruch von Sunhaven", erklärt er mir lächelnd. „Du findest ihn und das Schild in der ganzen Stadt."

Einen besseren Spruch hätten die Einwohner nicht auswählen können – jedenfalls ist das meine Meinung.

Landon und ich schauen noch ein paar Sekunden zu dem weißen Schild, ehe mein Begleiter kaum merklich den Kopf schüttelt und mir mitteilt: „Ich hole mal schnell unsere Tauchausrüstung, damit wir gleich anfangen können. Warte einfach hier auf mich, ja?"

„Okay."

Während Landon hinter einer Tür verschwindet, die mit einem riesigen pinken Oktopus bemalt ist, schaue ich mir die vielen Fische im Aquarium an. Sie schillern in den bunten Farben des Regenbogens und führen einen Tanz der Sorglosigkeit auf.

Vielleicht klingt es kitschig, doch die Fische rufen ein Gefühl der Freiheit in mir hervor.

Ob ich mich beim Tauchen im Meer genauso frei fühlen werde? Ich hoffe es!

Schon nach wenigen Minuten gesellt sich Landon wieder zu mir und legt zwei große Kleidersäcke auf dem Boden ab. „Ich habe einfach mal Größe M für dich mitgenommen", murmelt er mit einem Hauch von Verlegenheit in der Stimme. „Sollte dir der Tauchanzug nicht passen, sag mir ruhig Bescheid. Dann hole ich dir einen anderen."

Da es mir unangenehm ist, über mein Gewicht zu reden, nicke ich bloß.

Mit meinen 1,81 Metern bin ich für eine Frau relativ groß. Leider wurde ich aber nicht mit den America's-Next-Topmodel-Genen gesegnet, sondern mit Fettpolstern und dem ein oder anderen Speckröllchen am Bauch.

Es hat mehrere Jahre gedauert, bis ich mich im Sommer getraut habe, kurze Hosen und figurbetonte Oberteile zu tragen. Franny hat mir dabei geholfen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin und meinen Körper mitsamt seinen Makeln wertzuschätzen.

Dafür bin ich meiner besten Freundin unheimlich dankbar, denn ohne sie wäre meine Selbstliebe vermutlich noch immer unter dem Erdboden vergraben.

„So ...", klatscht Landon plötzlich in die Hände, womit er mich zurück in die Realität reißt. Seine dunklen Augen funkeln vorfreudig, als er ankündigt: „Ich zeige dir jetzt, wie man die Taucherausrüstung richtig anzieht. Also pass gut auf, Maila!"

Nervosität flutet meinen Körper und ich spüre, wie sich ein Feuer der Ungewissheit in mir ausbreitet.

Bringt mir Landon wirklich das Tauchen bei? Oh man, worauf habe ich mich da bloß eingelassen?

Na ja, Life is short. Do stuff that matters, richtig?

„Zuerst ziehen wir uns einen Neopren-Unteranzug an. Er sorgt dafür, dass der Körper warm bleibt und bietet gleichzeitig eine bessere Isolation", erklärt mir Landon. „Ich war mal so frei und habe mir den Unteranzug schon angezogen. Den Anblick von meinem Bierbauch wollte ich dir lieber ersparen." Landon zwinkert mir zu und ich muss lachen.

Meersalzküsse im GepäckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt