Puh, was für ein Tag! Ich lasse mich auf den bequemen Stuhl neben mir fallen, strecke alle Viere von mir, lege meinen Kopf in den Nacken und schließe meine Augen. Alle Anspannung scheint aus meinem Körper zu weichen. Am liebsten möchte ich laut stöhnen. Meine Füße tun mir weh und ich habe einen wahnsinnigen Kohldampf. Die Reste des Buffets stehen drin im Kühlschrank, fein säuberlich mit Folie abgedeckt. Eigentlich müsste ich nur aufstehen. Aber dafür fehlt mir einfach die Kraft. Gefühlt bin ich seit 24 Stunden auf den Beinen. Ein erster Impuls sagt mir: Schuhe ausziehen. Aber dann komme ich nie wieder da rein und ein anderes Paar hab ich leider nicht dabei.
Ich atme einmal tief durch und bleibe wie ein nasser Sack sitzen. Mein Blick geht rauf in den Himmel. Der Tag heute war angenehm warm. Ungewöhnlich für April. Der Frühling scheint in diesem Jahr nur kurz zu sein und Winter geht fast sofort in Sommer über. Dabei liebe ich den Frühling. Die Natur erwacht, alles beginnt zu blühen. Es duftet ganz anders. Schon ein paar Mal bin ich über Fasching nach Mallorca geflogen. Dort habe ich mir eine Brise Frühling geholt. Die Mandelblüte bewundert und einfach Kraft und Sonne getankt, wenn es hier im Allgäu noch weiß war und kalt.
<Jemand bringe mir ein Bier> möchte ich rufen. Aber ich bin sicher, niemand wird mir diesen Wunsch erfüllen.
Ich blicke in den Garten, in dem vor ein paar Stunden noch 50 Personen versammelt waren. Hinten an der Theke stehen noch ein paar Männer aus der Nachbarschaft und unterhalten sich. Zwischendurch ist es mal ziemlich laut geworden. Die liebe Politik. Da erhitzen sich schon mal schnell die Gemüter. Ihre Frauen sitzen ein paar Meter entfernt und leeren die nächste Flasche Sekt. Was die so besprechen ist mir auch klar: Der neue Nachbar und seine riesige Baustelle.
Inzwischen ist Selbstbedienung angesagt. Die letzten Servicekräfte sind seit einer Stunde zu Hause. Und entsprechend stehen jede Menge Flaschen vor ihnen.
Und während die letzten Gäste sich es gut gehen lassen, habe ich zwischenzeitlich schon mal zusammen mit meiner Tochter alles soweit aufgeräumt. Morgen müssen wir dann nur noch die Deko abbauen und am Montag dann kommt früh die Cateringfirma und holt alles wieder ab. Die große Anspannung fällt langsam von mir ab. Aimée hab ich heim geschickt. Sie wollte noch mit ihrer Freundin in den USA telefonieren.
Jetzt, wo ich endlich entspannen kann erkämpft sich die Wut ihren Platz, die ich seit ein paar Stunden empfinde. Wut auf meinen Mann und auf meinen Bruder Markus und seine blöde Ehefrau. Sie haben nicht einen Finger gekrümmt. Alles ist an Aimée und mir hängen geblieben. Und jetzt sind sie schon lange weg. Und ich sitze noch immer hier. Ich mag gar nicht auf die Uhr schauen. Ich atme einmal tief durch. Warum nur bin immer ich es, die nie Nein sagen kann?
Mein Blick auf den Himmel gerichtet, versuche ich mich zu beruhigen. Nur mit einer leichten Jacke sitze ich hier und mir ist nicht kalt. Es ist eine klare Nacht. Der Mond scheint als kleine Sichel am Nachthimmel und ein paar Sterne funkeln.
Ich versuche mich an das positive an diesem Tag zu erinnern. Das Fest zur Goldenen Hochzeit meiner Eltern hat super funktioniert. Alle schienen froh und glücklich zu sein. Das Essen war sehr lecker und das was übrig geblieben ist, dass werden wir morgen schon noch leer bekommen. Getränke waren auch genügend da und die Musik im Hintergrund hat Aimée, meine Tochter, sehr schön zusammengestellt. Sie hat alte Platten meiner Eltern durchstöbert und nach den Titeln im Internet Ausschau gehalten. Dann hat sie alles auf ihren IPod gezogen und den haben wir mit 4 Bluetooth Lautsprechern gekoppelt. Zwischendurch haben meine Eltern sogar einmal kurz getanzt. Der Auftritt von Mama's Chor war eine Überraschung für die Beiden und dass der Bürgermeister vorbei geschaut hat und sogar ein paar Worte gesprochen hat, das hat meine Eltern sichtbar bewegt.
Wehmut mischt sich unter meinen Stolz. Bis vor ein paar Jahren war Tanzen die große Leidenschaft meiner Eltern. Sie haben sich einst im Tanzkurs kennengelernt und liebten es, sich gemeinsam übers Parkett zu bewegen. Sie waren beide ausgezeichnete Tänzer. Es war immer so schön, den beiden zuzuschauen. Sie schienen regelrecht übers Parkett zu schweben. Aber seit Papa nicht mehr kann ist meiner Mutter nur noch der Chor geblieben. Ihre kleine Auszeit von der Pflege meines Vaters. Ich hoffe sehr für sie, dass sie sich das noch eine Weile erhalten kann.
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First Love
RomanceDie eine, die große Liebe. Manche treffen sie schon früh, Andere gar nicht. Manchmal aber auch sind es Umstände, Entscheidungen, die wir treffen und unsere Liebe weggeben. So ist es Ben und Jessica ergangen. Ob sie ihre neue Chance nutzen?