Belauscht

65 4 0
                                    

JESSICA POV

„Ist irgendwas passiert?" fragt mich mein Mann, als ich endlich wieder zurück an den Tisch komme, an dem er schon geraume Zeit mit seinem neuen Freund sitzt. Die beiden haben sich die ganze Zeit hervorragend unterhalten. Sie scherzen miteinander. Lachen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die beiden sich näher kennen. Das das Zusammentreffen hier kein Zufall ist.

„Dad ist im Bad ausgerutscht. Er hat es erst unter Wasser gesetzt und dann ist er gefallen. Der Unterarm ist gebrochen. Aufgrund seines Alzheimer werden sie ihn konventionell behandeln. Also keine OP."

„Hat Aimée Dich angerufen?"

„Nein, Ben hat mir geschrieben. Er hat Mama geholfen und den Notarzt gerufen."

„Er ist doch selbst Arzt."

„Er lag mit seiner Diagnose ja auch richtig. Aber nur der Notarzt kann die Einweisung ins Krankenhaus machen. Ich hab Aimée angerufen, die mir bestätigt hat, dass ich nichts tun kann."

„Ich dachte wenigstens im Urlaub würde ich diesen Namen mal nicht hören. In den letzten Monaten dreht sich bei Dir alles nur noch im Ben und Deine Eltern. Ich hab das wirklich satt."

Er stand einfach auf und ging.

„Vielleicht sollten Sie ihm nachgehen." meint Yves.

„Bestimmt nicht. Wir haben das tausendmal diskutiert. Ich stehe hinter seinem Job. Ich stehe hinter ihm. Aber ich habe auch eine Verantwortung meinen Eltern gegenüber und ich bin sehr froh, dass Ben nun neben ihnen wohnt. Dann werde ich ein besseres Gefühl haben, wenn ich auch nach Köln ziehe."

„Mich geht das nichts an. Reden Sie mit ihm."

Ich hab die Faxen so dicke. Immer wieder diese Angriffe. Immer wieder die Vorwürfe, weil ich im Allgäu geblieben bin und damit dem Wunsch unserer Tochter gefolgt bin. Sie wollte nicht weg. Nie, niemals habe ich Christian einen Vorwurf gemacht, weil er diesen neuen Job angenommen hat. Ohne mich zu fragen, hat er damals die Bewerbung geschrieben und erst als er eingeladen wurde hat er mir davon erzählt. Erst auf diesem Wege habe ich erfahren, dass er seinen damaligen Job nicht mehr mochte. Das er etwas Neues brauchte. Aber ich habe ihn verstanden und ab da unterstützt. Nur eben in dieser einen Sache wollte ich nicht nachgeben und nun hält er es mir immer und immer wieder vor. Wie es unserer Tochter geht, das interessiert ihn reichlich wenig.

Da es schon langsam Zeit wird, sich fürs Abendessen fertig zu machen, verabschiede ich mich von Yves und verabrede mich nochmal mit ihm für später im Restaurant. Als ich auf unserer Kabine ankomme, da sitzt Christian über seinem Laptop.

„Ich geh unter die Dusche. Yves treffen wir in einer Stunde im Restaurant."

„Mhh." mehr bekomme ich nicht zu hören und das ganze geht so, bis er mir die Türe aufhält und wir vor dem Aufzug stehen, der uns zwei Decks nach unten bringen wird.

„Ist das Kleid neu?"

„Nein, aus dem letzten Jahr. Hab ich in Berlin gekauft."

„Ah, Berlin. Hast Du ihn da getroffen?"

„Wie bitte? Nein. Ich war mit Angie und Peggy da. Paar Tage ohne Männer. Das schließt Ben mit ein."

„Steht Dir gut." versucht er freundlicher.

„Danke." antworte ich kurz.

Vor der Türe zum Restaurant wartet bereits Yves auf uns. Er sieht hervorragend aus in seinem dunklen Anzug den er lässig mit einem T-Shirt kombiniert hat. Eines muss man ihm lassen: Der Typ hat eine Top Figur.

Die beiden Männer lassen mir den Vortritt und eine nette Mitarbeiterin begleitet uns zu unserem Tisch. Entgegen meiner Erwartungen wurde der Abend sehr nett. Yves ist wirklich ein netter Mensch und er und Christian scheinen sich wirklich gut zu verstehen. Eigentlich sollte mich das freuen. Schließlich hat Christian wegen seines Jobs Familie und Freunde verlassen. Ein paar neue Freunde in Köln sollten mir doch willkommen sein. Schließlich werde auch ich demnächst dort leben. Allerdings muss ich über eines mal genau nachdenken: Warum wechselt mein Mann das Thema, wenn die Sprache auf unser Haus in Widdersdorf kommt?

First LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt