Der Junge von Nebenan

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Nachdem ich hinter unseren letzten Gäste das Gartentörchen geschlossen habe, setzte ich mich wieder zu Ben, der sich keinen Milimeter weg bewegt hat. Jeden Gruss hat er erwidert, aber mehr auch nicht. Ich denke, es wird eine Zeit dauern, bis er sich hier wieder eingelebt hat.

„Also, warum hast Du Dich entschieden nach Kempten zurück zu kommen?" Nehme ich unser Gespräch wieder auf.

„Hauptsächlich, weil ich aus Berlin raus wollte. Ich vermisse die Berge. Und als der Chefarztposten ausgeschrieben wurde, da hab ich die Gunst der Stunde genutzt. Das gerade dann meine Eltern so kurz hinter einander sterben, dass war hart." Seine Augen bekommen einen traurigen Ausdruck. Er hat die beiden sehr geliebt.

„Ja, das war es. Mama wollte die goldene Hochzeit auch eigentlich nicht feiern. Aber ich hab sie davon überzeugt. Es gibt so viele Menschen, die den beiden gratulieren wollten." Und ich bin mir sicher, seine Eltern hätten nicht gewollt, das sie nicht feiern. Ihre Feier wäre in zwei Wochen gewesen und ich kann mir lebhaft vorstellen, welche Sause sie gemacht hätten. Wahrscheinlich würden noch wochenlang die Nachbarn darüber reden.

„Dein Dad hat das ganz gut überstanden. Er war teilweise richtig gut drauf." stellt der Herr Doktor fest.

„Manche Tage ist es gut, manche nicht. Diese Krankheit ist nun mal nicht einfach. Letztens hab ich seine Geldtasche im Kühlschrank gefunden. Mama macht das total fertig."

„Holt Ihr Euch Hilfe, wenn Du nach Köln gehst?" Da trifft er einen heiklen Punkt.

„Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Mama will niemand ‚fremdes' im Haus. Obwohl die Einliegerwohnung frei ist. Da hat nach Markus nie jemand drin gewohnt."

Er schaut mich an und ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal das intensive Blau seiner Augen wahr genommen habe. Es war auf Mallorca. Ich werde es nie vergessen. Ich hing über dem Abgrund an seinem Arm, hatte eine Angst, wie man es sich nicht vorstellen kann und dann sah ich ihn, seine Augen und ich wusste, es wird alles gut gehen, du überlebst das hier.

Tja, und dann war da dieser Abend. Er war total besoffen. Es war nach der Party zu seinem 18. Geburtstag. Er und Markus haben zusammen gefeiert. Draußen im Jugendheim. Eigentlich war ich um 22 Uhr nach Hause gegangen, so wie es meine Eltern wollten, aber dann bin ich heimlich aus dem Fenster gestiegen und zurück gelaufen. An diesem Abend hab ich so ziemlich gegen alle Regeln meines Vaters verstoßen. Das er mich überhaupt zu der Party ließ war nur meiner Mutter zu danken. Ich sah damals immer schon älter aus, als ich war. Meine Mutter sagte, ich sei eine Frühentwicklerin. Ich hatte schon einen schönen Busen und meine Tage hatte ich auch schon. Eine Tatsache, die meinem Vater den Schweiß auf die Stirn trieb. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er mir die Pille verabreicht. Nur aus Angst, ich könnte an irgendeinen unverantwortlichen Jungen geraten, der mich direkt schwängert.

Als ich wieder zurück war, an diesem späten Abend hatte ich eigentlich nur ein Ziel. Ich wollte Ben sagen, dass ich mich in ihn verliebt habe. Aber dann musste ich zusehen, wie er mit geöffneter Hose vor Carina stand und diese gerade dabei war ihm einen zu blasen. Ich hatte damals von Sex nur wenig Ahnung. Theoretisches Schulwissen. Mehr nicht. Und das, was in dieser Jugendzeitschrift stand. Aber lesen und etwas live sehen, dass sind zwei verschiedene Dinge. Jeder kann sicher verstehen, dass ich ziemlich geschockt war und so schnell das Weite gesucht habe, wie ich konnte. Zu Hause angekommen, heulte ich mir die ganze Nacht die Augen aus dem Gesicht.

„1000 Euro für Deine Gedanken." Soll ich ihm es wirklich sagen?

„Ich musste gerade an Euren 18. Geburtstag denken." entscheide ich mich für die Wahrheit.

„Ah, und an was speziell?" Er grinst. Natürlich weiß er es ganz genau. Wir haben schon sooft über diesen Moment gesprochen.

„An Dich und Carina."

First LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt