BEN POV
Mein Wecker sagt mir, dass es 14.30 Uhr ist, als ich wieder aufwache. Ich hab tief und fest geschlafen. Die Unruhe der letzten Wochen ist irgendwie weg. Und der Grund dafür wohnt neben an und wird mir heute nicht mehr ausweichen. Ich muss endlich wissen, was mit ihr los ist. Es ist doch noch nie ihre Art gewesen betrunken Auto zu fahren. Sie war und ist sehr verantwortungsbewusst. Das ist nicht ihre Art.
Ich muss zugeben, die Dusche heute hat besonders gut getan. Die letzten Monate waren anstrengend und langsam merke ich, dass ich so einen Nachtdienst doch nicht mehr so einfach wegstecke. In Jogginghose und Hoodie will ich gerade die Treppe runter gehen, als ich das Klingeln an meiner Haustüre höre. Gleich darauf wird die Türe aufgeschlossen. Das kann eigentlich nur bedeuten, das Jessica kommt. Gibt auch sonst niemanden, der außer mir und Florian einen Haustürschlüssel hat.
Sie erschrickt ein bisschen, als sie mich die Treppe runter kommen sieht und sofort schleicht sich das schlechte Gewissen auf ihr Gesicht. Sie weiß genau, dass sie Scheiße gebaut hat und dass sie mir jetzt Rede und Antwort stehen muss.
„Hallo." sagt sie leise, so dass ich sie kaum verstehen kann. Damit keine Zweifel über meine Gefühle aufkommen, antworte ich ihr erstmal gar nicht. Wortlos gehe ich an ihr vorbei und hole mir eine Tasse aus dem Schrank. Ich brauch jetzt erstmal einen Kaffee.
Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, dass sie sich auf einem der Barhocker an meiner Küchentheke nieder läßt. Sie hat ein einfaches Shirt an und eine leichte Hose. Dazu ihre geliebten Chucks.
Obwohl ich ihr soviel zu sagen hätte, lasse ich sie schmoren. Sie muss aus sich heraus kommen, sonst wird das nichts mit der Wahrheit. Eine beherrschte, kontrollierte Jessica wird mir nie sagen, was mit ihr los ist. Eine wütende vielleicht. Und mit meiner Ignoranz mache ich sie wütend. Ganz bestimmt.
Nachdem mein Kaffee komplett in der Tasse ist, nehme ich diese und gehe ins Wohnzimmer. Ich schnapp mir die Fernbedienung und schalte den Fernseher ein. Mal sehen, welcher Schrott so im Nachmittagsprogramm läuft. Unglaublich, was sich die Leute so alles reinziehen. Bei einer Kochshow bleibe ich hängen.
„Wenn Du Dir lieber Küchentipps holst, dann kann ich ja wieder gehen." sagt Jess plötzlich und scheint tatsächlich auf dem Weg zur Türe zu sein. Aber nicht mit mir. Ich springe auf und versperre ihr den Weg.
„Du...gehst....nirgendwo... hin." sage ich bestimmt und merke selbst, dass meine Stimme sehr bedrohlich wirkt. Ich nehme ihren Oberarm und ziehe sie zurück ins Wohnzimmer.
„Ben, was soll der Scheiß?"
„Hinsetzen. Wir reden jetzt." Ich glaube sie hat verstanden, dass gerade nicht gut Kirschen essen mit mir ist.
Wie ein Kind, dass sich bewusst ist, dass es Mist gebaut hat, sitzt sie vor mir auf meiner Couch. Ihre Hände hat sie unter ihren Oberschenkeln eingeklemmt. Sie fühlt sich sichtlich unwohl. Ich stelle mich vor sie und verschränke meine Arme.
„Ich frage mich, wie lange Du uns alle noch verarschen willst? Glaubst Du im Ernst, Peggy, Angie und ich merken nicht, dass irgendwas mit Dir nicht stimmt? Normalerweise bist Du ein sehr kommunikativer Mensch. Du hast es immer geliebt mit Deinen Freundinnen zusammen zu sein. Aber seit dieser blöden Kreuzfahrt ziehst Du Dich zurück. Du warst nicht einmal mit den beiden weg. Verkriechst Dich in Deinem Keller da drüben und kommst maximal raus, um Zeit mit mir zu verbringen. Ich mein, ich beschwere mich nicht. Ich bin gerne mit Dir zusammen. Sehr gerne. Aber trotzdem bist Du nicht mehr die Jessica, die wir alle kennen. Also, spuck es aus: Was ist los mit Dir? Und verbessere mich, aber ich denke, es hängt mit Deinem Arschloch-Ehemann zusammen."
Mal sehen, wie sie auf diese Provokation reagiert?
JESSICA POV
Eigentlich müsste ich mich aufregen. Aber grundsätzlich hat er ja nicht ganz unrecht. Und mit allem anderen hat er das auch. Doch...bin ich soweit ihm alles zu sagen?„Jess, bitte, rede mit mir. Ich ertrage es nicht, Dich so zu sehen." Und ich mag es eigentlich gar nicht ihn und auch meine Freundinnen zu belügen. Aber ich habe Christian mein Wort gegeben.
„Ich hab ihn gesehen. Im Hotel in Palma." Was? Das kann doch nicht wahr sein.
„Während Du Dir die Seele aus dem Leib geheult hast, hat er .."
„Dieser Mistkerl." Ich will nicht, dass er weiter redet. Von wegen Vorstandstagung im Landhotel. Er war mit Yves in unserem Hotel. Wie kann er nur!
„Seit wann weißt Du es?" fragt er mich. Er kennt mich zu gut, als das er es nicht bemerkt hätte. Ich muss es ihm sagen. Ich kann ihn nicht länger anlügen. In meinem Leben ist nichts mehr wirklich gut. Aber ich kann ihn nicht ansehen, während ich ihm alles erzähle. Also stehe ich auf und gehe zum Terrassenfenster. Draußen ist heute beschissenes Wetter. Bestimmt regnet es heute noch.
„Gespürt habe ich es eigentlich schon immer. Während der Kreuzfahrt war irgendwas anders wie sonst. Er machte viel alleine. Ihm schien es unangenehm zu sein in meiner Nähe. Ich hab mir erst nichts dabei gedacht. Unsere Ehe war nie so, wie soll ich sagen, zärtlich. Vielleicht ist das nicht der richtige Ausdruck, aber Du weißt es ja. Wir...wir haben in der Öffentlichkeit nie eine besondere Nähe demonstriert. Das haben Angie und Peggy mir oft vorgehalten. Aber warum sollten wir in der Gegenwart anderer etwas spielen, was wir nie waren. Zärtlichkeiten, Sex spielte in unserer Ehe nie eine besondere Rolle. Einen Orgasmus kenne ich nur aus der Theorie. Sex war für Christian immer nur ein Pflichtprogramm. Auch am Anfang unserer Ehe. Wie oft habe ich ihn verführt um überhaupt mal sowas zu bekommen? Irgendwann hab ich mich damit abgefunden."
Ich fass es nicht. Hier stehe ich in seinem Hause und erzähle dem Mann, den ich liebe die Geschichte meiner verkorksten Ehe. Ihm, der in mir seine kleine Schwester sieht, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er war mir in den letzten Monaten mehr ein Bruder als Markus es in vielen Jahren.
Draußen zieht gerade der Regen auf. Es ist ziemlich dunkel geworden. Sinnbild für meine eigene Stimmung. Ich spüre ihn hinter mir stehen. Vorsichtig nimmt er mich in die Arme.
„Er hat sich verliebt. In Yves. Ein zugegebener Maßen toller Mann. Ich hab ihn kennengelernt auf dem Schiff. Sie sind schon fast ein Jahr zusammen."
„Es tut mir so leid, Jess."
„Du bist ein schlechter Lügner, Ben. Du mochtest ihn nie."
„Weil..."
Was will er mir sagen?
„Weil...Du wegen ihm so viele Träume aufgeben musstest."
„Daran war er nicht alleine schuld. Du weißt doch, für ein Baby sind immer zwei Personen nötig."
„Aber er war der Ältere und Erfahrenere."
„Und er hat zu seiner Verantwortung gestanden. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, dann hätte meiner eine Abtreibung vornehmen sollen. Er hat ihm und mir sogar Geld dafür geboten."
„Wie bitte?"
„Ich war nicht die Traumschwiegertochter die der alte Burghammer sich gewünscht hat. Aber Christian hat sich damals sehr korrekt verhalten. Das hätte auch anderes ausgehen können. Das Baby hätte ich auf jeden Fall bekommen."
„Aimée ist auch wirklich ein tolles Mädchen."
„Ja, das ist sie."
Hier, vor dem großen Terrassenfenster stehend, in Ben's Armen fühle ich mich aufgehoben und geborgen. Ein Gefühl, dass mir in der letzten Zeit so gefehlt hat. Und irgendwie ist es intensiver als bei Christian. Vielleicht, weil ich für Ben so viel mehr fühle. Ich muss es ihm sagen, auch auf die Gefahr hin, dass unsere Freundschaft dann zu Ende ist. Ich muss.
„Was hast Du heute Nacht gemeint? Was wünschst Du Dir?". Flüstert Ben in mein Ohr. Er ist so nah. Fast kommt es mir vor, als könne ich seinen Herzschlag spüren.
Puh, tief Luft holen. <Fass Dir endlich ein Herz>, feure ich mich selbst an.
„Ich wünschte, ich hätte damals den Mut gehabt, Dir zu sagen, dass ich mich in Dich verliebt habe."
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First Love
RomanceDie eine, die große Liebe. Manche treffen sie schon früh, Andere gar nicht. Manchmal aber auch sind es Umstände, Entscheidungen, die wir treffen und unsere Liebe weggeben. So ist es Ben und Jessica ergangen. Ob sie ihre neue Chance nutzen?