Einigung

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JESSICA POV

Eigentlich hätte ich mir das Hotelzimmer sparen können. Ich hab keine Minuten geschlafen. Mir geht so unglaublich viel durch den Kopf. Gerne hätte ich mit Angie gesprochen. Aber ich blöde Kuh hab ja mein Handy zu Hause vergessen.

Mir ist klar, dass ich nochmal ruhig mit meinem Mann sprechen muss. Er hat ja irgendwie Recht. Wir sind viel mehr als ein Liebespaar gewesen. Seine Schwester Susanne und ich sind zusammen im Volleyball-Verein gewesen. Auf einem ihrer Geburtstagsfeste habe ich ihn kennen gelernt. Wir haben uns immer gut verstanden. Haben viel gelacht zusammen. Gleiche Interessen in Sachen Musik und Film hat uns immer geeint. Wir beide lieben es zu reisen. Unsere Urlaube haben uns fast überall auf dieser Welt hingeführt. Beide lieben wir Mallorca. Eine Zeit lang haben wir sogar überlegt uns dort ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen.

Das alles war nicht schlecht. Wahrscheinlich war wirklich nur unser Sex einfach mies.

Christian hat mich zwar anfangs ziemlich alleine mit dem Baby gelassen und nur sehr wenig unterstützt, aber dafür hat er mich dann unterstützt, als ich angefangen habe zu arbeiten. Ohne ihn, wäre ich nie soweit gekommen. Damals habe ich mir nichts zugetraut. Was hatte ich denn schon, außer einem wirklich guten Abitur. Danach habe ich ein Kind geboren. Mich um unsere Tochter und um den Haushalt gekümmert. Dann kam der Hausbau. Ohne Ausbildung hat Christian mir einen Job gegeben. Durch ihn konnte ich von einer wirklichen Fachfrau lernen. Dagmar hat mir alles beigebracht. Sie hat es nie gestört, dass ich die Frau vom Chef war. Hatte ich Mist gebaut, dann musste ich dafür gerade stehen. Es gab bei ihr keine Sonderbehandlung.

Ich sollte das nicht vergessen. Aber was mich wirklich aufregt sind seine Alleingänge. Er hat ohne mein Wissen das Haus verkauft, das Haus in Widdersdorf abgesagt und eine Wohnung gekauft. So kann er einfach nicht mit mir umspringen. Das muss ich ihm klar machen. Ja, das Haus gehört ihm, aber trotzdem leben Aimée und ich darin. Was bleibt mir denn jetzt anderes als ins Haus meiner Eltern zu ziehen? Die Einliegerwohnung. Ich mag sie eigentlich nicht. Aber wenn ich sie mir neu einrichte. Vielleicht kann ich mich dann darin sogar wohlfühlen.

Apropos. Wenn ich mein Handy habe, werde ich wohl mal mit Ben reden müssen. Er weiß noch gar nicht, dass ich den Reinigungstrupp verpflichtet habe. Auch sonst sollte ich endlich mal mit ihm reden. Er hat mich so oft angerufen und mir geschrieben. Ich schulde ihm eine Antwort.

Nachdem ich mein Frühstück im Hotel eingenommen habe, mache ich mich auf den Weg nach Hause. Vernünftig miteinander reden.

Christian macht mir die Türe auf.

„Guten Morgen."

„Morgen." brummt er. Offensichtlich hat auch er keine gute Nacht gehabt.

„Ist Aimée zu Hause?" frage ich ihn.

„Sie war eben kurz da. Hat nach Dir gefragt. Dann ist sie wieder verschwunden. Sie meinte, Du sollst Ben anrufen."

„Das mache ich. Sobald wir geredet haben."

„Magst Du einen Kaffee?"

„Ich hatte schon genug für heute."

„Können wir vernünftig miteinander reden?"

„Ich weiß, dass ich gestern über reagiert habe. Aber vielleicht kannst Du das verstehen. Ich habe vor 10 Tagen erfahren, dass mein Mann sich verliebt hat. Das er ein Leben mit seinem Freund plant. Dann erzählst Du mir, dass Du dieses Haus verkauft hast. Das ich in eine Wohnung ziehen soll, die ich noch nie gesehen habe. Wie um Himmels Willen soll ich da ruhig bleiben?"

„Das alles hatte ich so nicht geplant. Ich wollte Dir das alles auf der Reise schonend beibringen. Mir ist klar, das dieses Leben in Köln nicht das ist, was Du Dir erhofft hast. Aber ich hatte nie vor, Dich komplett alleine zu lassen und Dich nur, wie hast Du gesagt, als ‚Vorzeigefrau' hervorholen.

Wir beide sind doch mehr als nur ein Ehepaar. Für mich bist Du meine beste Freundin. Die Frau mit der ich lachen kann und weinen. Ich liebe die Reisen mit Dir, unsere Filmabende und so viel mehr. Das will ich auch nicht aufgeben. Yves weiß, dass ich meine Zeit mit Dir brauche. Ich will auch keine Dreierkiste daraus machen. Das ganz bestimmt nicht. Du hast einen festen Platz in meinem Herzen. Als Mutter unserer Tochter aber auch als meine Freundin."

„Aber für's Bett hast Du jemand anderen."

„Ja. Und für die Sachen, die wir nicht miteinander machen. Sport. Schachspielen. Was weiß ich. Yves und ich, wir ticken sehr ähnlich. Ich bin sehr gerne mit ihm zusammen. Nicht nur wegen Sex. Mit ihm ist alles so selbstverständlich."

„Bitte hör auf. Ich muss keine Details hören. Das er Dich glücklich macht ist offensichtlich. Deine Augen strahlen, wenn Du von ihm erzählst. So wie ihn, hast Du mich nie angesehen."

„Ich wünschte.."

„Nicht, Christian. Es ist alles ok. Wie soll es denn jetzt weiter gehen?"

„Du hast ja klar gestellt, dass Du nicht mit nach Köln willst. Das verstehe ich. Mir wäre es zwar lieber, aber ich habe gestern natürlich gesehen, dass Deine Eltern Hilfe brauchen. Ich hab Dich nicht unterstützt, als Du von einem Pflegedienst gesprochen hast, weil ich geahnt habe, dass Du nicht mit nach Köln kommst. Aber ..."

„Du willst unsere Ehe aufrecht erhalten und nach außen hin weiter ein Leben als Hetero führen. Findest Du das Fair Yves gegenüber? Er muss sich doch wie die heimliche Geliebte fühlen."

„Yves kann ähnlich wie ich nach außen hin nicht zu uns stehen. Er arbeitet in der Kanzlei seines Vaters. Der alte Herr weiß zwar, was sein Sohn treibt, aber er verlang Diskretion von ihm. Daher versteht er mich. Jessi, ich bin schon auf der Suche nach was anderem. Die ganze Geschichte mit den Senioren ist doch nicht so mein Ding. Ich will zurück in die Hotellerie. Aber das ist nicht so ganz einfach. Ich suche schon. Solange wie ich nichts anderes habe möchte ich an unserer Ehe festhalten."

„Und was sagen wir unserer Familie?"

„Erstmal nichts. Bitte. Da wir hier in Kempten ein Haus haben ist das Risiko zu groß. Mich kennt hier fast jeder. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand davon erfährt und dann wird es Köln mitbekommen. Das kann ich nicht riskieren. Ein Rausschmiss kommt nun mal nicht gut in einem Lebenslauf."

„Aber Dir ist schon klar, dass dieser Passus in Deinem Vertrag sittenwidrig ist."

„Das weiß ich. Aber ich will mich da auch nicht gegen wehren. Diese Generation Menschen, die bei uns wohnen, die stehen diesen Dingen halt noch nicht so offen entgegen."

„Was, wenn ich jemanden treffe?"

„Dann reden wir. Vielleicht hat sich dann ja auch schon alles erledigt."

Was soll ich nur machen? Einerseits will ich ihm nicht im Weg stehen und ihn auch nicht bloßstellen, aber auf der anderen Seite muss ich doch auch nach vorne schauen.

„Gut. Aber erwarte bitte nicht von mir, dass ich mit Euch beiden auf Reisen gehe und mir Euer Geturtelt ansehe."

„Ich sagte doch schon, ich will das nicht mischen."

Ich atme einmal tief ein. Streit mit ihm ist das letzte, was ich will. Aber wir müssen gewisse Dinge klären.

„Was machen wir mit den Möbeln aus unserem Haus? Ich würde in die Einliegerwohnung ziehen und die gerne neu einrichten."

„Nimm Dir, was Du haben möchtest. Den Rest besprechen wir. Die Wohnung in Köln ist fast leer. Eine Küche ist drin und ich hab mir das Schlafzimmer provisorisch eingerichtet. Ich würde mich freuen, wenn Du mich hin und wieder besuchst und dann dort wohnst. Deshalb sollte es Dir auch gefallen."

„Dann läuft der Umzug also wie geplant."

„Ja. Aber leider kann ich Dir nur wenig helfen beim Einpacken. Nur an den beiden letzten Wochenenden. Der Wagen kommt am 30.8. wenn ich das bestätige."

„Einverstanden."

Plötzlich nimmt er mich in den Arm. „Ich bin so froh, dass wir uns noch zusammen gerauft haben. Ist alles nicht optimal gelaufen."

„Nein, ist es nicht. Aber wir geben wie immer unser Bestes."

„Jessi, tu mir bitte einen Gefallen, wenn es Dir zu viel wird, oder Du Dich vielleicht wirklich verliebst, dann rede mit mir. Wir finden eine Lösung."

„Ich werde es mir merken."

First LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt