BEN POV
Erschrocken öffne ich die Augen. Es ist schon hell draußen. Der Wecker auf dem Nachtisch zeigt Punkt 10 Uhr. Das hatte ich lange nicht mehr. Sonst bin ich meist früh auf den Beinen. Meine innere Uhr ist auf früh aufstehen programmiert und wenn ich nicht zum Dienst muss, dann Jogge ich eine Runde oder gehe ins Fitnessstudio.
Ich strecke mich und bleibe ruhig liegen. Horche. Im Haus scheint es sehr ruhig zu sein. Dann werde ich wohl mal aufstehen und nach Jessica schauen. Ich hab sie noch nie am Morgen gesehen. Eine Vorstellung, die mir gefällt. Ungeschminkt, mit zerzaustem Haar. Wie gerne wäre ich neben ihr eingeschlafen und mit ihr aufgewacht. Es ist zum verrück werden. Seit 20 Jahren bekomme ich es nicht hin ihr zu sagen, was ich für sie empfinde. Nichts hat geholfen um an meinen Gefühlen für sie etwas zu ändern. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn wir uns getroffen haben, dann wurde es schlimmer. Sie ist einfach eine wundervolle Frau. Wir haben den gleichen Humor. Lieben es Sport zu treiben und wir mögen die gleichen Filme.
Warum nur muss sie ausgerechnet diesen Arsch Christian lieben? Was findet sie nur an ihm?
Der letzte Abend geht mir durch den Kopf. Ich schmunzle. Schon lange habe ich mich nicht mehr so gut unterhalten. Mit Jess ist immer alles so leicht. Sie ist keine von diesen anstrengenden Frauen und sie interessiert sich für soviel mehr als für die üblichen Themen mit denen sich ihre Geschlechtskolleginnen oft auseinander setzen. Die neuste Tasche von Gucci, Schuhe von Manolo, das Kleid von Ralph Lauren etc. Ich wette, in diesem Haus gibt es keine Modezeitschrift. Jess ist, wie ich selbst schon erleben durfte, vor allem auch in Fußball und beim Wintersport sehr gut bewandert. Bis sie sich mit 14 ein Bein brach, war sie selbst eine sehr gute Skiläuferin. Kein Hang war zu steil für sie. Wie oft ist mir fast das Herz stehen geblieben, wenn sie sich vor Markus und mir einen Hang hinunter stürzte?
Nun aber Schluss. Ich sollte nicht in der Vergangenheit leben. Wichtig ist nur die Zukunft und nur die können wir beeinflussen. Keine Angst, ich werde mich nicht in ihre Ehe mischen. Das ist nun wirklich nicht mein Stil. Aber mir hin und wieder ein paar schöne Stunden mit ihr zu gönnen, solange sie noch hier ist, das kann mir niemand verbieten. Und für Sex gibt es immer genug andere Kandidatinnen.Also schwinge ich meinen Körper aus dem Bett, mache ein paar Dehnübungen und besuche erstmal die keramische Abteilung. Puh, ein Blick in den Spiegel verrät mir, dass der Abend lang war. Auch an mir geht das nicht mehr spurlos vorbei. Dabei hab ich nichtmal übermäßig viel getrunken. Zurück im Gästezimmer ziehe ich kurz meine Jogginghose über und meinen geliebten New York Hoodie. Später werde ich noch duschen und mich angemessen anziehen. Aber jetzt erstmal schauen, ob die Mädels auch Frühstück können.
Unten in der Küche treffe ich auf Aimée. Sie hat einen Shorty an und sieht wirklich sehr sexy aus. Das fällt auch mir auf. Ein richtig heißer Feger, wie ihre Mutter. Ob sie einen Freund hat? Aber dann würde sie wohl nicht nach Boston gehen.
„Morgen Ben. Gut geschlafen?" begrüßt sie mich und richtet ihren Blick von ihrem Handy auf mich.
„Ja. Sehr gut, Danke."
„Mum ist Semmeln holen. Sie wird jeden Moment wieder da sein. Magst Du einen Kaffee?"
„Gerne. Schwarz."
„Ärztekaffee." bemerkt sie und steht auf und geht Richtung Küche.
„Woher weißt Du wie Ärzte Kaffee lieben?"
„Ich hab in den letzten Sommerferien ein Praktikum gemacht im Krankenhaus. Da bekommt man einiges mit."
„Interessierst Du Dich für Medizin?"
„Ja, aber leider wird mein Abi nicht reichen um direkt zu studieren. Daher plane ich nach meinem Jahr in Boston eine Ausbildung zur Medizinisch Technischen Assistentin. Danach kann ich dann immer noch studieren."
„Wenn Du wirklich diesen Weg gehen willst, dann gibt es auch andere Wege."
„Ja, aber keiner den ich gehen will. Mein Plan steht."
„Viellicht sollten wir uns darüber nochmal unterhalten. Spätestens wenn Du wieder da bist."
„Ich werde drauf zurückkommen." Sie hat auch das gleiche umwerfende Lächeln wie ihre Mutter.
In dem Moment geht die Haustüre auf und Jess ist wieder da. Sie sieht zwar nicht so aus, wie ich sie gerne mal sehen würde, aber die enge Jeans betont ihre langen Beine und die Daunenjacke in grün betont ihre Augenfarbe. Sie lächelt mich an und ich habe das Gefühl die Sonne geht gerade auf.
„Hey. Ausgeschlafen oder abgebrochen?" begrüßt sie mich und ein Kuss landet aus meiner Wange. Dabei sauge ich ihren Duft auf. Er ist einzigartig und ich würde ihn unter tausenden herausfinden.
„Ausgeschlafen. Normal bin ich immer schon im 7 Uhr wach."
„Ich hab heiße Seelen von Sinz mitgebracht. Die magst Du doch so gerne." Sie wedelt mit der Tüte durch die Luft. Sie kennt mich einfach. Früher ist um diese Dinger manchmal ein wahrer Wettkampf entbrannt, wenn nur noch eine vorhanden war.
„Eines der Dinge, die ich in Berlin vermisst habe." Ich schnappe mir die Tüte und tue so, als würde ich sie nie wieder hergeben.
Aimée hat schon den Tisch gedeckt und bittet mich Platz zu nehmen, was ich gerne mache. Bodentiefe Fenster über die gesamte Hausseite geben hier den Blick frei auf den Garten. das Haus liegt etwas erhöht am Hang und von hier hat man einen sehr guten Blick auf die Berge. Diese sind heute zum Greifen nah.
Während der Frühstücks löchert mich Aimée über meine Zeit in den Staaten. Sie ist ehrlich interessiert und ich gebe ihr gerne Auskunft. Mit Jess spreche ich über ihre Freundinnen und ein paar weitere gemeinsame Bekannte und alte Lehrer. Im Herbst hat unsere Schule ihr 100jähriges Jubiläum. Das wird groß gefeiert und alle ehemaligen Schüler sind dazu natürlich auch eingeladen.
„Wirst Du im September zum Jubiläum kommen?" frage ich.
„Das hab ich mir noch nicht überlegt. Aber wahrscheinlich. Wenn Christian Zeit hat. Oder ich komm alleine. Mal sehen."
„Das würde mich sehr freuen." Und ich wäre mehr als enttäuscht, sie nicht dabei zu haben. Wäre ich noch in Berlin, wäre sie der einzige Grund überhaupt an dieser Veranstaltung teilzunehmen.
„Soll ich Dich zu Deinen Auto bringen? Dann kann ich direkt bei meinen Eltern vorbei schauen." wechselt sie plötzlich das Thema.
„Ja, danke. Ich wollte mich noch bei den Beiden bedanken." Das hat sie absichtlich gemacht. Sie weiß, ich rede nicht gerne über Christian. Und dass sie sich so abhängig gemacht hat von ihm, dass hat mir auch noch nie gefallen. Warum kann sie nicht ohne ihn kommen?
„Ich hab Dir Handtücher ins Bad gelegt. Du kannst vorher noch duschen. Wann wirst Du nach Berlin fahren?"
„Erst Dienstag. Ich hab Morgen noch ein Gespräch mit der Klinikleitung."
„Magst Du morgen Abend zum Essen kommen? Ich würde uns was leckeres kochen und wir können noch ein bisschen reden." Das ist das erste Mal, dass sie mich einlädt.
„Wir könnten aber auch Essen gehen, dann hast Du nicht die Arbeit." mache ich einen Gegenvorschlag.
„Ja, wäre auch machbar." Sie lächelt mich an und ich....
„Geht doch ins Korbinian. Ich war da letztens mit Freunden. Super gemütlich und das Essen ist auch gut." macht Aimée einen Vorschlag, den ich super finde. Da war ich lange nicht mehr. Ich nicke.
„Dann ist das abgemacht. 19 Uhr im Korbinian." beschließe ich unser Frühstück und ziehe mich ins Gästezimmer zurück.
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First Love
RomanceDie eine, die große Liebe. Manche treffen sie schon früh, Andere gar nicht. Manchmal aber auch sind es Umstände, Entscheidungen, die wir treffen und unsere Liebe weggeben. So ist es Ben und Jessica ergangen. Ob sie ihre neue Chance nutzen?