𝟏𝟖 | 𝐉𝐚𝐬𝐨𝐧 𝐌𝐨𝐦𝐨𝐚

489 21 0
                                    


◦•●◉✿ Teil I ✿◉●•◦

Gestresst sehe ich zum wiederholten Male auf meine Uhr und dann wieder auf die leeren Gleise. Laut Fahrplan sollte meine Bahn schon vor vier Minuten abgefahren sein. Laut meiner App vor sieben Minuten. Und von der elektronischen Anzeigetafel, die die Abfahrten der Busse und Bahnen in 'Echtzeit' wiedergeben soll, ist sie schon vor zwei Minuten verschwunden.

Meine Bahn ist verschwunden. Mal wieder. Natürlich weiß ich, dass sie noch kommen wird und dass sie nicht wirklich verschwunden ist, aber es macht mich so unfassbar nervös, nicht genau zu wissen, wann. Vor allem, weil ich schon längst auf der Arbeit hätte sein müssen.

Als die Bahn irgendwann doch noch vor mir stehen bleibt, steige ich schnell ein und verbiete es mir der müde aussehenden Fahrerin dabei einen bösen Blick zuzuwerfen. Sie kann ja schließlich auch nichts für all die Baustellen und Idioten, die ihre Autos zur Hälfte auf den Gleisen parken, nur um 'schnell bei der Bank reinzuspringen' oder 'schnell was bei der Apotheke abzuholen'.

Die alte Dame wirft mir einen abschätzigen Blick zu, ganz nach dem Motto 'diese Jugend, immer im Stress' und würde mir wahrscheinlich am liebsten einen Vortrag à la früher war das noch anders, wir haben unsere Zeit besser genutzt und mehr aus uns gemacht, dabei hatten wir nicht die Chancen, die ihr heute habt... Furchtbar. Aber wahrscheinlich ist das einfach der Lauf der Dinge. Man wird alt und erzählt den jüngeren Generationen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wie viel besser alles früher war. Weil es einem eben so vorkommt.

Ich steige aus. Ich muss hier umsteigen und renne beinahe kopflos über die Straße, um den Bus noch zu erwischen. Wie eine Blöde winke ich dem Fahrer schon von weitem zu, aber der Depp winkt nur zurück und fährt dann los. Er lässt mich einfach hier stehen und lacht sich wahrscheinlich noch ins Fäustchen. Dieser Arsch!

Frustriert stampfe ich auf und balle die Fäuste, würde am liebsten in den Himmel schreien und irgendjemanden verfluchen, aber die vulgären Worte bleiben mir im Hals stecken, als ich nach vorne sehe und mich ein kleiner Junge mit Zahnlücke schüchtern angrinst. Peinlich berührt von meinem beinahe-Ausbruch erwidere ich sein Grinsen und winke ihm sogar leicht zu, schaue dann zur Mutter, wie um ihr zu versichern, dass ich kein kranker, auf Kinder stehender Psychopath bin.

Ich schrecke zusammen, als hinter mir ein Auto hupt. »Hey, D/N! Sollen wir dich irgendwo mit hinnehmen?«, ertönt eine Stimme, die ich überall wiedererkennen würde. »Dad! Hey, Gott, du kommst gerade wie gerufen!« Erleichtert renne ich zu der schwarzen Limousine, die er heute fährt, öffne die Beifahrertür und erstarre, weil ein Bär darauf sitzt.

Also nicht wirklich ein Bär, sondern ein Mann, der genau wie einer aussieht. »Ähm, hi. Sorry...«, murmle ich und würde am liebsten meinen Kopf gegen die Autotür hauen. »Ich... steige dann mal hinten... ein...« Über mich selbst den Kopf schüttelnd mache ich die Tür wieder zu und gehe weiter nach hinten. Beinahe vorsichtig öffne ich die hintere Tür und begegne dem amüsierten Grinsen eines Mannes, der alles, aber nicht unbekannt ist.

Erstaunt erstarre ich, bis er mir die große Hand hinhält. »Guten Morgen, möchtest du nicht einsteigen?«, fragt er mit tiefer und rauer Stimme und wie automatisch nicke ich. Es ist nicht so, als würde ich diesen Mann nicht kennen, ich bin einfach gerade total überrascht ihn wiederzusehen und dass mein Dad wieder für ihn arbeitet.

»Henry! Hey...«, betont cool steige ich ein und stolpere fast über Kal, der zusammengerollt auf dem Boden liegt. »Kal! Hey mein Großer!« Begeistert wedelt er mit seinem Schwanz und schleckt mir die Hand ab, als ich durch sein weiches Fell streiche. Nebenbei ziehe ich die Tür zu und setze mich in den Fußraum neben den Hund, der sofort vertrauensvoll seinen großen Kopf auf meinen Schoß legt.

𝐅𝐀𝐑 𝐅𝐑𝐎𝐌 𝐑𝐄𝐀𝐋𝐈𝐓𝐘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt