36 - Beim Psychiater

114 11 2
                                    

Yoongis Sicht

Die Schuld zerfraß mich innerlich beinahe. Ich machte mir Sorgen um meine kleine Schwester. Sie hatte in ihren jungen Jahren schon so viel Leid erfahren müssen. Wenigstens ein bisschen wollte ich ihr diese Last abnehmen.

Ich wünschte nur, dass sie sich mir anvertrauen würde. Sich mir öffnen würde, aber nein... das tat sie nicht. Dem einzigen, dem sie sich bis jetzt ein kleines bisschen geöffnet hatte, war Tae. Warum eigentlich...? Empfand sie vielleicht auch etwas für ihn? Oder vertraute sie ihm nur mehr, als uns anderen.

Alleine dieser Gedanke, dass sie mir nicht vertraute, brach mir das Herz. Ich war ihr Bruder verdammt. Warum konnte sie mir nicht vertrauen? Klar, ich ging weg, um meinen Traum zu verwirklichen, aber davor verstanden wir uns doch echt gut. Also warum war da jetzt diese Distanz zwischen uns?

So sehr hoffte ich, dass es wieder so werden würde wie früher. Dass sie lachte, Blödsinn machte und mir auf die Nerven ging. Sie war früher so quirlig und laut, dass ich zu Hause nur selten meine Ruhe fand. Aber bei ihr störte es mich so gut wie kaum. Bei ihr machte mir das nichts aus. Ich hatte wohl einen heftigen Schwesternkomplex, bemerkte ich.

Aber jetzt war nichts mehr von ihrem früheren Charakter zu sehen. Ich wusste er war noch da, aber sie hatte ihn in sich verschlossen. Wahrscheinlich hatte sie Angst ihre Ängste und Gefühle nach außen hin zu zeigen. Und mehr als einmal fragte ich mich, was war passiert, dass sie jetzt ein anderer Mensch geworden war?

Aus diesem Grunde hatten wir uns ja am heutigen Tage aufgeteilt. Jeder hatte seine Mission zu erledigen. Und Namjoon und ich waren daher auf dem Weg zu ihrem ehemaligen Psychiater.

Als wir die Praxis betraten standen wir in einem kleinen offenen Raum. Die Wände waren in einem hellen blau gestrichen und der Boden war ein heller Vinyldesignerboden. Die Anmeldung befand sich gegenüber der Türe und der Wartebereich befand sich in einem separaten Raum neben der Anmeldung. Die Praxis war nicht sonderlich groß wirkte aber dadurch überschaubar und man fühlte sich gleich wohler.

Namjoon und ich gingen in Richtung der Anmeldung, als wir auch schon von einer etwas älteren Dame bemerkt wurden.

„Guten Tag! Kann ich Ihnen weiterhelfen?", fragte die Dame freundlich. Es war nicht diese aufgesetzte Freundlichkeit, welche ich erwartete. Sie war natürlich.

„Ja. Ich bin Yoongi und neben mir ist Namjoon. Ich habe vor einer Woche angerufen und einen Termin mit dem Doktor gemacht, welcher für meine kleine Schwester Li Na zuständig war", erklärte ich. Die Dame nickte und tippte etwas in ihrem Computer herum.

„Ah ja. Da habe ich es gefunden. Nehmen Sie doch bitte im Wartebereich platz, bis Sie aufgerufen werden", verkündete die Frau. Wir nickten zustimmend und setzten uns brav dort hin.

Nervös bewegte ich meine Beine auf und ab. Ich konnte sie sobald wir saßen nicht mehr ruhig halten. Was würde uns dort erwarten? Was würden wir dort erfahren? Immerhin war sie meine Schwester und ich ertrug es nicht sie weiter leiden zu sehen.

Innerlich war ich ein nervöses Wrack, aber nach außen hin zeigte ich dies nicht und setzte eine neutrale Maske auf. Dachte ich jedenfalls. Aber dem Leader konnte ich so schnell nichts vormachen. Er bemerkte sofort, wenn einer von uns nicht ganz da war. Nicht umsonst war er unser Leader. Er sah mich von der Seite aus besorgt an, aber gerade als er den Mund aufmachen wollte, unterbrach ich ihn schon.

„Mir geht's gut", sagte ich patziger, als beabsichtigt und zwang mich dazu meine Beine still zu halten.

„Ja das sehe ich", erwiderte er ironisch und zog seine Augenbrauen skeptisch zusammen.

„Yoongi beruhige dich. Es wird schon alles gut gehen", versuchte er mich zu beruhigen, was aber gewaltig nach hinten los ging.

„Beruhigen? Wie soll ich mich beruhigen, wenn ich nicht weiß was mich erwartet? Oder was wir erfahren?", zischte ich.

Silent VoiceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt