Kapitel 22

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Mein Körper war schwer wie blei, als ich von meinem nervtötenden Wecker geweckt wurde.
Ich hätte das Gerät gerne gegen die Wand geworfen, aber dazu fehlte mir die Kraft.

Nachdem ich mit einer tonnenschweren Last aufstehen konnte, schrieb ich Taehyung wie jeden morgen eine Nachricht.
Ich erhielt ebenfalls eine Nachricht, in der er mir einen guten Morgen wünschte.
Nichts ungewöhnliches, aber es verunsicherte mich, schließlich würden wir uns gleich gegenüber stehen.

Als ich am Eingang des Geländes auf Taehyungs wartete, wurde mir schon schlecht vor Aufregung.
Er ließ sich merklich Zeit und ich hatte schon die Befürchtung, er würde heute Zuhause bleiben, bis ich seine Stimme hier mir wahrnahm.

"Hallo, Kookie." begrüßte er mich freundlich und schloss mich in eine Umarmung.
Taehyung verhielt sich keineswegs verändert und stellte keinerlei Fragen.

Hat er vergessen, dass ich ihn gestern plötzlich geküsst habe?

Erwiderte er meine Gefühle nicht und wollte nicht darüber sprechen oder war es ihm schlichtweg unangenehm?
"Taehyung.." stammelte ich und sah zu Boden.
Vorsichtig hebte Taehyung mit seinem Finger mein Kinn an und als sich unsere Blicke trafen, hoffte ich, auf eine Reaktion, aber er lächelte mich nur freundlich an.

"Entschuldige die Verspätung.
Komm, sonst sind wir noch zu spät zum Unterricht."
Er hatte Recht, wir sollten uns zügig zu unseren Räumen begeben.
Taehyung und ich haben heute nur eine gemeinsame Pause, in der wir uns wieder treffen würden.
Bis dahin verabschiedeten wir uns und unsere Aufmerksamkeit wurde dem Kurs gewidmet, zumindest versuchte ich, mich zu konzentrieren.

Ich wusste nicht, ob mir eine Ablehnung oder Ungewissheit lieber war.
Es zeriss mich innerlich und die Aufregung in meinem Körper ließ mich kaum noch still sitzen.
Nach einigen Stunden ohne Taehyung, freute ich mich trotzdem ziemlich darauf, gleich wieder in einer Nähe zu sein.
Ich sollte genießen, dass unsere Freundschaft besteht, wie zuvor.

Hat er wohlmöglich gar nicht verstanden, dass ich mit dem Kuss meine romantische Liebe für ihn andeuten wollte?

Wir trafen uns an unseren gewohnten Treffpunkt, den schattenspendenen Eichenbäumen.
Als ich ihn sah, bemerkte ich jedoch sofort, dass Taehyung ein verwundetes Gesicht hatte – eine versteckte Spur von Schmerz, die ich nicht ignorieren konnte.
Besorgt näherte ich mich meinem Freund und fragte leise nach. "Taehyung, was ist passiert? Bist du verletzt?"

Taehyung zog instinktiv eine Hand vor sein Gesicht, um die Verletzung zu verbergen, und versuchte, sein Lächeln aufrechtzuerhalten.
"Ach, das ist nichts, Kookie. Ich bin nur gestolpert und habe mir eine kleine Schramme zugezogen."
Doch ich blieb war skeptisch.
Ich kannte Taehyung mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er nicht einfach gestolpert sein konnte.
"Das sieht aber nicht nach einer einfachen Schramme aus, Taehyung. Sei ehrlich mit mir, was ist wirklich passiert?

Er zögerte einen Moment lang, bevor er schwer schluckte und auf seiner Antwort beharrte.
"Es war wirklich nichts Ernstes, Kookie. Nur ein Missgeschick, keine Sorge."

Ich sah seinen den älteren besorgt an und konnte die Ungewissheit in Taehyungs Augen sehen.
"Taehyung, ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass da mehr ist, als du mir erzählst. Bitte, vertrau mir. Wenn du Probleme hast, können wir sie zusammen bewältigen."
"Es ist wirklich nicht so schlimm, Jungkook. Ich habe die Sache schon geklärt."

Ich seufzte, wissend, dass ich Taehyung nicht weiter bedrängen konnte, wenn dieser nicht bereit war, zu sprechen, aber die Besorgnis ließ mich nicht los. "Versprich mir bitte, dass du mir Bescheid sagst, wenn du irgendwelche Schwierigkeiten hast oder dich bedroht fühlst. Ich möchte, dass du sicher bist."
Taehyung nickte und lächelte mich mit seinem typischen Kastenlächeln an.
"Ich verspreche es, Kookie.
Danke, dass du dir Sorgen um mich machst."
Weiterhin besorgt um Taehyung, sprachen wir über unsere heute durchlebten Kurse und tauschten Informationen aus.

"Ich werde mich in der nächsten Pause mit Jimin treffen, ist das in Ordnung?
Weil ich die freie Zeit nicht mit dir verbringen kann und ungerne alleine über das Geländer schlendern möchte, habe ich ihn gefragt, ob er mir Gesellschaft leisten kann." erklärte ich zögerlich.
Er blickte ein wenig überrascht, ehe wieder das Lächeln seine Lippen verzierte.
"Natürlich, welche Einwände sollte ich haben?"

Ohne die rhetorische Frage zu beantworten, bereiteten wir uns zunächst für die nächste Hälfte des Lehrtages vor.
Mir wurde  schon ein bisschen mulmig zumute, bei dem Gedanken, die Pause nicht mit Taehyung verbringen zu dürfen und in diesem Moment kein Auge auf ein zu werfen.

War er in Sicherheit?

Ich möchte nicht, dass er sich in Schwierigkeiten verwickelt.
Zur Not wäre Jimin da, er würde auch helfen, oder?
Die Frage könnte ich ihm sofort stellen, als ich mich auf den Weg zum Außenbereich machte, aber ich würde den Treffpunkt mit Jimin nicht erreichen.

Taehyung rannte weinend aus dem Schulgebäude.

Sichtlich besorgt und überrascht über seinem plötzlichen Ausbruch eilte ich uhn hinterher.
Ich wollte meinem Freund beistehen, aber jedes Mal, wenn ich versuchte, Taehyung einzuholen, beschleunigte dieser nur seinen Schritt.

Taehyung, warte!" rief ich besorgt.

Doch Taehyung lief weiter, als wolle er alles hinter sich lassen, sogar mich.
Als ich ihn schließlich aufholte, versuchte ich, Taehyung aufzuhalten und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde.

Doch bevor er etwas sagen konnte, spürte ich nur, wie Taehyung seine Hand an meine Wange legte und unsere Lippen sich trafen.
Es war ein Kuss voller Verzweiflung und Angst. Ein Kuss, der zeigte, dass Taehyung seine Worte nicht finden konnte, um zu erklären, was in seinem Inneren vorging.
Ich spürte den Schmerz in diesem Kuss, aber ich spürte auch die Liebe und Vertrautheit, die wir miteinander teilten.

Taehyungs Tränen vermischten sich mit meinem eigenen, als wir uns voneinander lösten.
Doch bevor ich etwas sagen konnte, wandte Taehyung sich abrupt ab und setzte seinen Weg fort, ohne zurückzublicken.
Ich blieb verwirrt und zurückgelassen stehen, meine Lippen brannten noch von dem Kuss.

Ich verstand nicht, warum Taehyung weggelaufen war, anstatt sich mir anzuvertrauen, aber ich wusste, dass es jetzt nicht der richtige Moment war, ihn zu bedrängen.
Taehyung brauchte Zeit und Raum, um mit seinen eigenen Gefühlen ins Reine zu kommen.

Hate to Love // Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt