Entgegen meiner Erwartungen waren es nicht Johnny und seine Mom, die mich abholten, sondern meine eigene, leibliche Mutter, die vor mir stand, als ich entlassen wurde. Um vier Uhr morgens.
„Lizzzzzzz, da bist du ja", sagte sie mit mehr Nachdruck, als eine nüchterne Person zustande gebracht hätte. Für einen kurzen Moment glaubte ich tatsächlich, ihre Präsenz erträumt zu haben. Ich hatte meine Mutter bereits seit Monaten nicht mehr gesehen. Nun stand sie vor mir. Sie war dünner geworden. Ihre blonden Haare waren zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden und ihre Lippen hatte sie blutrot bemalt. Auf ihrer Stirn klebte ein Pflaster und in ihrem Minikleid und den hohen Schuhen sah sie eher aus wie ein Teenager als ich.
„Mom", stellte ich fest. War das, wofür sie mich in den letzten Monaten vergessen hatte? Ihr Partyleben? Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ich kannte diese Seite von meiner Mutter. Ich wusste, wieso Dad den Großteil meiner Erziehung übernommen hatte. Ich wusste, wieso sie uns verlassen hatte. Nur hoffte ich jedes Mal, dass sie sich ändern würde. Dass ein Besuch bei mir sie dazu überreden könnte, tatsächlich zu bleiben und sich für mich zu engagieren, statt auf die nächste Partyinsel zu fliegen und zu vergessen, wo links und rechts war.
„Dein Fahrer wartet draußen."
Mein Fahrer. Bedeutete das, dass sie nach diesem kleinen Besuch nach Hause gehen würde? Hatte Dad sie hierhergeschickt? Vermutlich schämte er sich dafür, dass seine einzige Tochter im Gefängnis gelandet war. Die Leute vom Sicherheitsdienst winkten mich fort, offensichtlich genervt von dem Theater, das Mom vermutlich veranstaltet hatte, ehe sie in mein Blickfeld getreten war.
Ich rannte beinahe nach draußen. Je ordentlicher ein Ort war, desto mehr Chaos stellte meine Mutter an. Sie sah fröhlich aus und das brach mein Herz noch mehr, als wenn sie traurig gewesen wäre. Ich wollte, dass meine Mutter glücklich war, aber es war schwer zu akzeptieren, dass sie das problemlos auch ohne mich schaffte.
„Willst du einen Drink?", fragte sie mich, als ich mich zu ihr in die Limousine gesetzt hatte, für die sie bestimmt nicht selbst gezahlt hatte. Der Fahrer, den Dad für mich angestellt hatte, warf mir einen warnenden Blick zu. Ich war eine Minderjährige und er wollte keinen Ärger, denn sonst könnte ich Dad mit meinem Verhalten blamieren. Einmal mehr.
„Es ist vier Uhr morgens. Das Einzige, was ich brauche, ist ein Bett."
Mom schwieg, während sie sich Champagner eingoss. Ich mied ihren Blick und ihre Aufmachung und alles, was mit ihr zu tun hatte. Es wäre eine Schande gewesen, hier und jetzt in Tränen auszubrechen.
„Liz, bist du etwa wütend auf mich?"
„Nein." Ich sagte das Wort viel zu schnell, um glaubwürdig zu klingen, aber Mom hatte noch nie darin brilliert, zwischen den Zeilen zu lesen.
„Du musst dich nicht dafür schämen, im Gefängnis gelandet zu sein."
Ich schwieg. Das war nicht wahr und nur weil ihr solche Dinge egal waren, übertrug sich das nicht auf mich.
„Dein Vater wird dich schon nicht enterben, Liz. Du musst dir keine Sorgen um deine Zukunft machen."
„Meine Zukunft hängt nicht von meinem Erbe ab", brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich hasste es, dass alle in mir nur die Geldscheine meines Vaters sahen. Ich hatte vielleicht nicht viel zwischenmenschliches Potenzial, aber ich konnte mir wohl einen eigenen Job finden, selbst wenn ich für den Rest meines Lebens Artikel im Supermarkt scannen musste. Was wohlbemerkt ein sehr respektabler Beruf war, den Ruf meines Vater womöglich allerdings in den Dreck ziehen würde. Immerhin würden dann alle glauben, dass er mir kein Geld geben wollte, was nicht wahr war.
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Heart on Fire [LAUFEND]
Humor„Ich habe Angst, dein Gesicht zu ruinieren, falls das hier schiefgeht!" „Mit deinem Lippenstift?" „Mit dem Absatz meiner Stiefel." ----------- Liz Wheeler hat nur ein Ziel: An ihrer New York School of Design angenommen zu werden. Niemals hätte sie d...