20 | Neugier ist der Staatsfeind Nummer Eins

197 31 60
                                    

Da ich zu dem reifen Entschluss gekommen war, dass ich Johnny nicht mehr ausspionieren würde, war mir nur durch reinen Zufall aufgefallen, dass dies nun schon die dritte Woche in Folge war, dass er das Haus mit einem Blumenstrauß verließ. Es war zwar auf gar keinen Fall meine Angelegenheit, wem er Blumen brachte, aber Neugier war eben mein Staatsfeind Nummer Eins. Also hatte ich mich diesmal bereits in einen Schal gewickelt, meinen Mantel zugeknöpft und mir eine Kappe über die Ohren gezogen, während ich mit meinen Chucks ungeduldig gegen mein E-Fahrrad kickte.

Ich war eine schreckliche Person, aber von denen brauchte es auf diesem Planeten eben auch einige, um die Güte der anderen auszugleichen. Zumindest war das die Entschuldigung, mit der ich es rechtfertigte, Johnnys Truck zu verfolgen, sobald er losgefahren war. Der Gegenwind brachte meine Augen zum Tränen, aber wenn Johnny eine Freundin hatte, dann wollte ich wissen, wer es war. Oder vielleicht brachte er die Blumen nur seiner Großmutter und ich musste es trotzdem wissen, denn das würde ihn in meinen Augen zu einem noch besseren Menschen machen. Auf jeden Fall wollte ich niemandem hinterherrennen, der einem anderen Mädchen hinterherrannte und daher brauchte ich absolute Sicherheit.

Ich war noch nie in meinem Leben so froh gewesen, dass das Höchstlimit in dieser Stadt so tief war, denn mir fiel einmal mehr auf, wie unendlich unsportlich ich war. Das hier war eine Qual. Wer mochte es, Fahrrad zu fahren? Johnny lenkte seinen Wagen durch zahlreiche Wohnquartiere, ehe er mitten im Nichts am Rand der Straße hielt.

Da ich ein bisschen dumm und ein bisschen unfähig war, fiel mir das leider erst zu spät auf und ich hielt erst, als mein Fahrrad gegen seinen Wagen klatschte. Ich keuchte überrascht auf und versuchte, irgendwie mein Gleichgewicht wieder zu finden, stattdessen kippte ich zur Seite und konnte mich kaum mit meinen Händen auf dem Boden aufstützen, als auch schon das elektrische Fahrrad mein linkes Bein zerquetschte. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht los zu weinen, als sich schlagartig Schmerzen in meinen Gelenken und meiner aufgeschürften Handfläche breitmachten. Das hier war gar nicht gut.

„Wheeler?" Johnny schlug seine Autotür hinter sich zu, ehe er zu mir joggte und das Fahrrad langsam von mir schälte. Ich drehte mich auf die Seite, und richtete mich langsam auf. Ich war nicht für diese Sportart geschaffen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, mich auf so eine Foltermaschine zu setzen? Und damit noch in den offenen Verkehr zu fahren? Ich war scheinbar lebensmüde.

„Johnny!", rief ich aus, wobei ich mir Mühe gab, möglichst überrascht zu klingen. Nun, ich war schon ein bisschen überrascht, dass seine Haare zerzaust waren, dass seine Stirn gefurcht war und dass seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst waren. „Was für ein Zufall, dass man sich hier so begegnet. In der Wildnis", fügte ich hinzu, um möglichst glaubwürdig zu klingen. Vielleicht musste ich daran noch arbeiten. Aber was konnte ich denn tun, wenn ich plötzlich nervös war und mein Herz ein bisschen schneller schlug?

„Ein Zufall? Du meinst, du hast mein Auto nicht gesehen, als du mir hinterhergefahren bist?"

Nun, ich hatte definitiv nicht genug Würde, um das zuzugeben. Stattdessen nahm ich mein Fahrrad wieder in meine Hände und verzog kurz das Gesicht, weil ich für den Bruchteil einer Sekunde vergessen hatte, dass sie aufgeschürft waren. Details. „Ich würde an deiner Stelle nicht alles so persönlich nehmen, Johnny. Ist dir eigentlich klar, dass sich nicht die ganze Welt um dich dreht? Woher hätte ich wissen sollen, dass wir uns rein zufällig begegnen hier? Mitten im Nichts?"

Johnny rieb sich über sein Gesicht. „Ich habe dich schon gesehen, als ich die Ausfahrt verlassen habe. Und wenn du nicht plötzlich eine sportliche Ader entwickelt hast, finde ich es schwierig zu glauben, dass du mit deinem Fahrrad überhaupt irgendwo hinfährst."

Er hatte mich gesehen? Ohgottohgott. Dieses Gespräch war soeben tausendmal peinlicher geworden. „Ich-...ich weiß nicht, was du von mir hören willst", sagte ich schwach, als wäre diese ganze Situation nicht zu einhundert Prozent meine Schuld. Als hätte ich nicht damit rechnen müssen, dass Johnny durch seinen Rückspiegel oder zumindest Seitenspiegel sehen konnte, wenn er mitten in der Pampa – naja, nicht ganz Pampa, aber das hier war nah dran – von einem Fahrrad verfolgt wurde.

Heart on Fire [LAUFEND]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt