1. Der Prozess

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Rechtsanwalt Ulf Bergmann saß im Büro seiner Kanzlei und arbeitete an einem Fall, welcher morgen zur Verhandlung anstand. Es war ein schwieriger Fall, da alles gegen seinen Mandanten sprach. Immer wieder las er sich die Ermittlungsakte durch. Er wusste das er dort die Lösung finden konnte. Eine Zeugenaussage passte nicht zu den anderen Aussagen und gerade diese Aussage belastete seinen Mandanten schwer. Es ging um einen Fall von sexueller Misshandlung an Schutzbefohlenen. Sein Mandant soll zwei Kinder beim Anlegen einer frischen Windel unsittlich berührt und sich dadurch befriedigt haben. Die Zeugin, Leiterin einer Kindertagesstätte, soll die Berührungen gesehen und ein lustvolles Aufstöhnen ihres beurlaubten Mitarbeiters gehört haben. Das passte alles nicht mit den Räumlichkeiten der Kita zusammen.

Der Rechtsanwalt sah sich nun den Grundriss der Kita an und schüttelte immer wieder mit dem Kopf. Die Zeugin konnte nichts gesehen haben, weil es keine Möglichkeit gab, neben seinen Mandanten oder vor ihm zu stehen. Über die Schulter konnte sie ihm auch nicht sehen, denn er war 1,93 m groß und die Zeugin 1,58 m groß. Kameras gab es in den Raum nicht, da es verboten war dort Aufnahmen zu machen.

Nachdem er seine Notizen für die morgige Verhandlung gemacht hatte, packte er sie in seine Tasche. Er hatte nur den einen Prozess-Termin und der war auf sechs Stunden angesetzt. Anschließend hatte er keine weiteren Termine. Es war Wochenende und an diesem Wochenende hatte er seine beiden Kinder Heike (15) und Jasmin (14) zu besuch. Die Kindesmutter war von den regelmäßigen Besuchen der Kinder bei ihrem Vater nicht erfreut, musste es aber akzeptieren.

Ulf war seit mehr als sechs Jahren geschieden von seiner Ex-Frau Martina. Seid dem hatte er keine neue Partnerin gefunden. Nicht jede Frau konnte mit seinem Neigungen umgehen.

Das Telefon klingelte. Seine Sekretärin meldete ihm einen Anruf von Martina.

„Was kann ich für dich tun, Martina", fragte er seine Ex-Frau.

„Die Kinder kommen dieses Wochenende nicht zu dir. Die beiden gehen ab Montag für zwei Wochen auf Klassenfahrt und ich muss mit ihnen noch die letzten Sachen kaufen gehen", antwortete ihm Martina.

„Das hättest du doch schon längst erledigen können und nicht mir das gemeinsame Wochenende mit den Kinder versauen müssen", beschwerte sich Ulf lautstark.

„Ich habe noch anderes zu tun und arbeiten gehen muss ich auch, weil du mich damals mit unseren Ehevertrag über den Tisch gezogen hast. Ich musste Überstunden machen, damit ich die Klassenreise für die Mädchen bezahlen konnte. 1500 € kann ich nicht so einfach aus den Ärmel schütteln und das Auto musste auch in die Werkstatt", erklärte ihm Martina ebenfalls in einen lauten Ton.

„Ich habe dir doch das gesamte Geld für die Klassenreise der Mädchen gegeben. Was hast du mit den 2000 € gemacht", wollte er nun von seiner Ex-Frau wissen.

„Ich musste damit andere Sachen bezahlen, was wichtiger war. Du gibst mir kein Geld, außer den Unterhalt für die Kinder", beschwerte sich seine Ex.

„Du bist selbst schuld daran. Im Ehevertrag stand deutlich geschrieben, dass du keinen Unterhalt für Dich bekommst, wenn du Untreu warst. Du hast mich mit meinem Kanzlei-Partner betrogen und bist schwanger von ihm gewesen. Dein Pech war, das er dir zwar die Ehe versprochen hatte, aber die junge Rechtsreferendarin von Knaust & Partner geheiratet hatte. Sie war ebenfalls von ihm schwanger, und war im gleichen Monat wie du. Ob das nur ein Zufall war?"

„Musst du mir meine Fehler und den Tod des Kindes immer wieder unter die Nase reiben. Ja, ich hatte eine heftige Affäre mit Jürgen und wurde schwanger, aber ich bin hier das Opfer. Jürgen wollte über mich an deine Kanzlei. Er war auch immer da, wenn du nicht da warst. Ich habe von ihm Trost bekommen, wenn ich es brauchte, und um die beiden Mädels hatte er sich auch immer gekümmert. Das er zweigleisig gefahren ist, wusste ich nicht. Als ihm der alte Knaust seine Kanzlei überschrieben hatte, war ich Luft für ihn und er hat mich fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Ich habe danach noch einen schweren Fehler gemacht. Dieser Fehler hat dem ungeborenen Kind das Leben gekostet und ich kann keine Kinder mehr bekommen", sagte Martina zu Ulf.

„Du hättest damals zu mir zurück kommen können. Ich habe es dir angeboten, aber du wolltest es nicht, sondern hast dich in das nächste Abenteuer gestürzt. Aber das ist Deine Sache. Heike und Jasmin kommen an dem Wochenende nachdem sie wieder zurück sind zu mir. Sie werden Freitagabend kommen und am Sonntagabend wieder bei dir sein, als Ausgleich für das ausgefallene Wochenende. Schicke sie bitte an diesen kommenden Sonntag kurz zum Kaffee zu mir. Ich möchte ihnen etwas für ihre Klassenreise geben und ihnen eine gute Reise wünschen", sagte er zu seiner Ex-Frau.

Nachdem er das Gespräch beendet hatte, ging er nach vorn ins Sekretariat der Kanzlei und schickte alle in den Feierabend. Morgen sollte nur seine Sekretärin anwesend sein und alle anderen im Home-Office arbeiten. Am Montag sollte das Büro wieder normal besetzt sein. Anschließend ging er in den privaten Bereich seines Hauses und ließ den Abend ruhig ausklingen.

Am nächsten Tag machte er sich um 08:00 Uhr auf den Weg zum Landgericht. Um 09:00 Uhr war er am Gericht und betrat einen Büroraum, welcher für Anwälte vorgesehen war. Er ging noch einmal die Akten durch und traf sich auf den Gang vor dem Verhandlungssaal mit seinen Mandanten. Der Fall hatte für einigen Wirbel in der Öffentlichkeit gesorgt und so war auch bereits die Presse zahlreich vertreten. Sie versuchte von seinem Mandanten und ihm eine Stellungnahme zu bekommen. Ulf zog seinen Mandanten in sein Büro und verschloss die Tür. Hier konnten sie sich auf den Prozess vorbereiten. Noch einmal ließ sich der Anwalt anhand des Grundrisses erklären, wo er die beiden Kinder gewickelt hatte. Er fragte nach Überwachungskameras, Beleuchtung und Beobachtungsmöglichkeiten durch dritte Personen. Mitten im Gespräch klopfte es an der Tür und ein Justizwachtmeister fordert sie auf, über einen Seiteneingang in den Saal zu kommen. Der Hauptzugang zum Saal war durch die Presse versperrt.

Nachdem die Richterin den Saal betreten und die Verhandlung eröffnet hatte, wurde die Anklage verlesen und der Mandant sollte zu der Anklage Stellung nehmen. Der Mandant machte Angaben zu seiner Person, widersprach der Anklage und verweigerte, wie abgesprochen, die weitere Aussage zum Vorwurf. Er stand auf und setzte sich zu seinem Rechtsanwalt.

Bevor nun die erste Zeugin in den Saal gerufen wurde, wurde ein Tisch in die Mitte getragen und drei Stellwände mit einer Breite von 1m um den Tisch gebaut. Auf den Tisch befand sich eine Wickelunterlage, eine Pampers-Windel und eine Puppe in der Größe eines 2-jährigen Kindes. Als alles fertig aufgebaut war, wurde die Zeugin Eleonore Hufnagel in den Saal gerufen.

Nachdem sie Angaben zur Person gemacht hatte, machte sie ihre Aussage und der Staatsanwalt, sowie der Richter und die beiden Schöffen befragten die Frau. Als letztes stellte Ulf Bergmann seine Fragen. Zuerst antwortete die Zeugin schnell und korrekt, aber der Rechtsanwalt wusste, wie er die Zeugin anfassen musste. Seine Fragen wurden immer schwerer und dann zeigte der kluge Rechtsanwalt der Zeugin ein Schriftstück und forderte sie auf das einmal vorzulesen. Trotzdem das Schriftstück direkt vor ihrer Nase lag, musste die Zeugin eine starke Brille aufsetzen um es lösen zu können. Auf die Frage nach ihrer Brillenstärke gab die Zeugin Minus zwölf Dioptrien an. Als der Rechtanwalt ihr einmal vier und einmal zwei Finger zeigte, konnte die Zeugin diese nicht erkennen  und  bei der Demonstration an dem aufgebauten Tisch konnte die Zeugin nicht überzeugen. Sie konnte aufgrund ihrer Größe von 1,58 m nicht über die Schulter des Angeklagten schauen. Eine andere Möglichkeit der Beobachtung des Angeklagten gab es nicht. Außerdem war sie extrem kurzsichtig. Sie musste zugeben das ihre Aussage frei erfunden war. Als Begründung gab sie an, dass sie den Angeklagten nicht weiter in der Kita beschäftigen wollte, weil er als erwachsener Mann Windeln trug.

Der Staatsanwalt verzichtete auf die Vernehmung weiterer Zeugen und die Verhandlung endete mit einem Freispruch für den Angeklagten. Die Zeugin Eleonore Hufnagel muss die Kosten der Verhandlung tragen.

Die ganze Verhandlung hatte nur zwei Stunden gedauert und alle freuten sich auf das Wochenende.

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Eine besondere Potsdamer WGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt