6. Kapitel

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Eine heiße Spur kann schnell erkalten. Das mussten Jenneth und ich schmerzlich feststellen. Denn obwohl wir einen der datierten Zauberstäbe als den Elderstab identifiziert hatten... So sehr wir auch suchten, in ganz Durmstrang, wir fanden ihn nicht. Dieser Umstand nagte an meinen Nerven, zerrte daran und machte mich ungeduldig. Die Ungeduld ließ mein Blut kochen und so nahm ich mir ganz fest vor, in den Ferien weiterzusuchen. Zwar konnte ich in den Ferien nicht in Durmstrang suchen, aber Bücher hatte ich trotz allem. Genau darauf würde ich zurückgreifen.
Inzwischen war der letzte Tag vor den Ferien, in einer halben Stunde war es soweit. Jenneth und ich standen nebeneinander in einer Masse von Durmstrangschülern, die allesamt hyperventilierten. Charina hämmerte mit ihrer Haarbürste auf den Kopf ihrer Freundin Anastasia ein, Junosch tippte in unregelmäßigen Abständen mit dem Fingernagel gegen die Wand, Sergej kaute an etwas, das ich als Abschlusszeugnis definierte, Alexej flirtete mit irgendeiner Blondine, die allerdings aussah, als würde sie gleich davonlaufen. Direkt neben Jenneth und mir fochten zwei Drittklässler ein Duell mit ihren Zauberstäben aus. Fochten. Sie zauberten nicht, nein. Sie fochten. Wie mit Schwertern. "Die armen Zauberstäbe.", sagte ich zu Jenneth und zog den Kopf zur Seite, um nicht den Zauberstab des einen ins Auge zu bekommen. "Definitiv.", stimmte er mir zu und wich einen Schritt nach links aus, was aber dazu führte, dass er dem Mädchen neben ihm auf den Fuß trat. Mit einer Stimme, schriller als Stahl, der über Beton kratzt, fuhr sie ihn an: "Spinnst du?" Jenneth verdrehte die Augen. Im Herablassend-Sein war er ziemlich gut geworden. Denn er erwiderte nichts, ignorierte sie und blickte wieder zu mir. "Wie im Irrenhaus.", murmelte er. "Wie im Irrenhaus?", wiederholte ich und grinste. "Wir sind das Irrenhaus." "Ha!", jetzt grinste Jenneth auch. "Stimmt." "Sag ich doch. Ich hab immer Recht.", antwortete ich selbstbewusst. "Hast du.", bestätigte Jenneth, nun wieder vollkommen ernst. Karinja, drei Meter von mir entfernt, war gerade damit beschäftigt, das Gesicht ihres Gegenübers, ich erkannte ihren Exfreund, mit Ohrfeigen zu traktieren. "Fass mich nicht an du Widerling!", kreischte sie immer wieder, jedem ihrer Sätze folgten drei Ohrfeigen. "Fass.", ein Schlag. "Mich.", noch eine Ohrfeige. "Nicht.", noch eine Ohrfeige. "An." Eine weitere Ohrfeige. Ja, so war meine Exfreundin und momentanes Nebenspielchen. Wenn sie nicht wollte, dass jemand sie küsste oder auch nur schief ansah, hagelte es Ohrfeigen. "Also, eins muss ich ihr lassen", sagte ich mit gesenkter Stimme zu Jenneth "Temperament hat sie ja." Jenneth hob die Augenbrauen und folgte meinem Blick. Anschließend nickte er. "Ja, stimmt.", pflichtete er mir anschließend bei. "Hoffentlich hält Direktorin Wynoriva bald ihre Abschlussrede. Mir wird langweilig.", fügte er hinzu. 
"Absolut. Es ist obsolet, hier zu stehen, solange nichts passiert.", stimmte ich ihm zu. Bei den Heiligtümern! Unsere Schulleiterin sollte sich wirklich beeilen, wenn sie nicht wollte, dass ihre Schüler die Wände hochgingen! Aber ich kannte dieses Spielchen, seit ich in Durmstrang war. Vermutlich würde sie in fünf Minuten auftauchen, uns beruhigen und eine einschläfernde Rede halten und dabei strahlen wie ein Weihnachtsbaum. Es war wirklich schrecklich. Nicht, dass ich Durmstrang nicht liebte. Im Gegenteil. Durmstrang war mein Zuhause. Aber Wynoriva als Schulleiterin ging mir wirklich auf die Nerven. Zumindest am Anfang und Ende jeden Schuljahres. Dazwischen war sie eigentlich in Ordnung. Solange sie Jenneth und mir nicht auf die Schliche kam - was sie aber nicht tat, ich hatte unsere Spuren mit allergrößter Sorgfalt verwischt. Niemand würde uns auf die Spur kommen. Niemand. Gerade, als ich überlegte, ob ich einfach gehen sollte, kam Wynoriva und stellte sich an ihr Rednerpult, wie wir Schüler es nannten. "Meine Schüler!", rief unsere Schulleiterin. Ich seufzte. "Jaaaha?", murmelte Jenneth mir ins Ohr. "Was will sie?" "Uns zu Tode langweilen.", schlug ich vor.
"Die alte Trulla.", brummte Junosch hinter mir. Dann herrschte Stille. Unsere Schulleiterin lächelte. "Ein erfolgreiches Jahr liegt hinter uns. Es wurden hervorragende Leistungen erbracht.", sie sprach weiter, aber ich hörte nicht mehr zu. Jenneth zwirbelte an einer seiner hellbraunen, karamellfarbenen Haarsträhnen und seufzte. "-ebenso wie für exzellentes, magisches Talent.", sagte unsere Schulleiterin gerade. Wer?, überlegte ich und strich mir eine goldblonde Locke aus dem Gesicht. Egal. Unsere Schulleiterin redete und redete. Dann, endlich, nach einer Viertelstunde, hörte sie auf.
"Eeeeendlich.", krakeelte Jenneth, als wir vor Durmstrang standen. "Bald wäre ich ins Koma gefallen.", prophezeite ich. Er grinste. "Nicht nur du. Alle." "Nicht weiter verwunderlich.", fasste ich zusammen und Jenneth nickte. "Bis nächstes Jahr, Jenn. Aufdass wir den Elderstab dann endlich finden.", fuhr ich fort. Jenneth nickte, seine grauen Augen wanderten über mich. "Bis nächstes Jahr, Gellert. Künftiger Meister des Elderstabes." "Darauf kannst du dich verlassen.", antwortete ich, legte einen Arm um seine Schultern, zog ihn zu mir hinauf und küsste ihn. Ganz kurz nur, dann löste ich mich von ihm, trat zurück, zog meinen Zauberstab und ging einige Schritte weg, um zu apparieren. Jenneth apparierte zur gleichen Zeit wie ich. Bis nächstes Jahr. Ja. Bis nächstes Jahr. Und wenn ich den Elderstab hatte, würde ich Jenneth genauso von mir stoßen, wie alle meine Spiele vor ihm. Ich liebte ihn nicht, ich brauchte ihn nur. Und das auch nur vorübergehend. Bald hätte er seinen Zweck erfüllt, dann würde ich ihn los sein.

Mal ganz ehrlich: Was hatte ich anderes erwartet? Nichts! Als Begrüßung, dass ich wieder Zuhause war, hatte Vylanara mir mal gleich eine Ohrfeige verpasst. Einfach, weil ich es gewagt hatte, wieder nach Vacanović zu kommen. Gut, dass ich keine hohen Erwartungen hatte und nicht erwartet hatte, dass sie mir ein großes Willkommensfest bereitete. Tja. Jedenfalls kam es nun, dass ich in Vacanovićs Vorhof stand und ausdruckslos zusah, wie meine Eltern wieder in unserem Haus (ich sagte immer Haus, obwohl Vacanović eher eine Villa war) verschwanden. Als sich das Haupttor öffnete, stürmte eine kleine Gestalt nach draußen. Sie blieb vor Vylanara und Naryc stehen und sagte etwas. Ich sah, wie mein Vater kurz nickte. Jetzt sah ich, wie die kleine Gestalt in meine Richtung kam. Wärme stieg in mir auf.
Gina.
Schon war sie da und warf sich in meine Arme. "Gellert!", quietschte sie. Ich konnte nicht anders, ich lachte und wirbelte sie einmal im Kreis. Dann setzte ich sie vorsichtig wieder ab und ließ mich auf einem Knie nieder, damit wir auf Augenhöhe waren. "Gina.", erwiderte ich zärtlich. Sie strahlte mich an. "Du bist wieder da.", flüsterte sie und schmiegte sich an mich. "Hast du oft an mich gedacht?"
"Jeden Tag, Gin.", murmelte ich und das war nicht einmal gelogen. "Jeden Tag." Ich vergrub das Gesicht in ihren weichen Locken. Meine Schwester atmete lange ein und lehnte ihren Kopf seitlich an meine Brust. "Ich hab dich auch vermisst.", sagte sie leise. "Oh Gina.", die Liebe zu ihr ließ meine Stimme brechen. Sanft zog ich sie fester an mich. Eine Weile lang schwiegen wir. "Wie steht es mit den Heiligtümern?", fragte meine Schwester dann. "Jenneth und ich sind dem Elderstab auf der Spur.", gab ich zurück. "Das ist gut. Stell dir nur vor, was ihr damit machen könntet! Den Menschen helfen!", rief Gina begeistert. "Was glaubst du?", erwiderte ich, rückte etwas von ihr ab und strich ihr zärtlich die blonden Locken aus dem Gesicht. "Mit der Macht der Heiligtümer könnten wir die Welt zum Besseren ändern, Gin. Stell dir vor, wie viele Menschen vor dem Tod bewahrt werden können, wenn es erstmal wieder einen Meister des Todes gibt. Ich werde die Heiligtümer einen, Gin und du wirst an meiner Seite sein. Ich weiß nicht, ob Jenneth es auch sein wird. Aber du wirst es.", ich senkte den Kopf und lehnte meine Stirn sanft an ihre. "Ich liebe dich, Gina. Mehr, als alles andere auf dieser Welt." Ginas himmelblaue Augen blickten mich voller Bewunderung an. "Ich dich auch, Gellert. Egal, was du machst." Darauf lächelte ich und zog sie noch einmal enger zu mir. "Dein Bild war sehr schön, Gin.", sagte ich sanft. "Ich hab mir auch Mühe gegeben.", erwiderte Gina und blinzelte mich an. "Ich weiß. Du gibst dir immer Mühe." Ich kniete mich anders hin und zog Gina liebevoll auf meinen Schoß. Sie kuschelte sich an mich und fuhr fort: "Mum und Dad haben wieder böse über dich geredet, während du weg warst.", meinte sie. "Sie haben gesagt du hättest-", sie zögerte. Mir war klar, dass meine Eltern vermutlich mit einer neuen Ebene der Verleumdung gestartet hatten. "Ich was?", hakte ich sanft nach, schlang die Arme um ihre schmalen Schultern und ließ meine ineinander verschränkten Hände auf ihrer Brust ruhen. "Sie haben gesagt, du hättest kein Herz.", flüsterte meine Schwester und lehnte den Kopf an meine Schulter. "Ich hätte kein Herz.", wiederholte ich ausdruckslos. "Glaubst du das?" "Nein!", Gina wandte den Kopf und sah mich trotzig an. "Natürlich nicht!" Ich schenkte ihr ein Lächeln. "Danke." "Mum und Dad sind lieb zu mir. Aber zu dir nicht. Weißt du, was ich beschlossen habe?", wollte sie wissen. "Nein. Was denn?", fragte ich. "Dass ich nicht auf Mum und Dad hören werde, wenn sie über dich reden.", sagte meine Schwester und fügte dann unsicher hinzu: "Ist das gut?" "Ist es, Gin. Ehrlich.", erwiderte ich leise und legte sanft mein Kinn auf ihren Kopf. Es war egal, wo der Elderstab war. Oder die anderen Heiligtümer. Für den Moment zählte nur Gina. Meine Gina. Meine geliebte Schwester.

Loveless || Gellert Grindelwald FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt